Entscheidung des OLG Nürnberg zur Rückforderung des Arzthonorars wegen vermeintlich fachfremder Leistungen (hier: MRT durch Orthopäden)

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Entscheidung des OLG Nürnberg zur Rückforderung des Arzthonorars wegen vermeintlich fachfremder Leistungen (hier: MRT durch Orthopäden)

OLG Nürnberg, Urt. v. 09.03.2020 – 5 U 634/18

I. Einleitung

Die Frage ob und wann ein Arzt bei privatärztlichen Leistungen solche Leistungen erbringen darf, die nicht direkt zu seinem Fachgebiet gehören ist nach wie vor umstritten, doch unterstützt eine jüngere Entscheidung des OLG Nürnberg und eine weitere Entscheidung des LG Darmstand die liberale Tendenz, die das Bundesverfassungsgericht vorgegeben hat. Danach darf im konkreten Fall ein Facharzt für Orthopädie, Chirurgie und Unfallchirurgie, der nicht Facharzt für Radiologie ist, dennoch MRT-Untersuchungen im Rahmen privatärztlicher Leistungen durchführen und befunden.

Aus Art. 34 HKaG (Heilberufe-Kammergesetz in Bayern) wurde zwar einmal vom LG Mannheim geschlussfolgert, dass Leistungen eines Arztes nur innerhalb seiner Gebietszuständigkeit erfolgen dürfen, da diese sonst als fachfremd gelten und eine Vergütung dafür ausscheide (LG Mannheim, Urteil vom 17. 11. 2006, 1 S 227/05). Mit gleicher Richtung sah das OLG Celle sogar einen Verstoß gegen die ärztliche Kunst, wie sie in § 1 Abs. 2 GOÄ verankert ist, und verneinte eine Vergütung (OLG Celle, Urteil vom 22.10.2007, 1 U 77/07).

Diesen Erwägungen tritt das OLG Nürnberg jedoch entgegen: Es wird klargestellt, dass das bayrische Weiterbildungsrecht im Bereich Orthopädie nicht die Befähigung zur Durchführung von MRT umfasse, dennoch erscheint dies nach Ansicht des OLG Nürnberg als unerheblich, was zur Folge hat, dass die durchgeführten MRT-Maßnahmen samt Befundungen vergütet werden können. Das ist auf der Basis der umfassend erlangten Approbation eines Arztes sowie den rechtlichen Bestimmungen zur Abrechnung zutreffend. Mit gleichem Ergebnis hat dies nachfolgend das LG Darmstadt mit Urteil vom 13.05.2020, 19 O 550/16, zu § 34 Hess. HeilberG entschieden. Auch das LG Berlin hatte zuvor mit Urt. v. 16.01.2019, 84 O 300/17, so entschieden.

Interessant wird es nun sein, wie sich der BGH zu der Problematik stellt. Die Revision gegen die Entscheidung des OLG Nürnberg wurde von diesem zugelassen und wird gegenwärtig unter dem Az. III ZR 79/20 durchgeführt. Daneben ist die Berufung gegen die erwähnte Entscheidung des LG Darmstadt beim OLG Frankfurt unter dem Az. 22 U 131/20 anhängig.

II. Problemstellungen

Die Problemstellung ergibt sich aus dem Spannungsverhältnis der ärztlichen Ausbildungsgestaltung. Die Approbation erlaubt prima facie die Durchführung jeglicher ärztlichen Behandlung. Aus haftungsrechtlicher Sicht Bedarf es nur in der Art und Weise der Beachtung des jeweiligen fachärztlichen Standards. Zugleich ist es ausgeschlossen Alleskönner zu sein. Die Weiterbildungsordnungen sehen zwischenzeitlich über 34 Gebiete mit über 50 Facharztqualifikationen vor, hinzu treten noch Schwerpunkte und bald 60 Zusatz-Weiterbildungen. Die Ausbildungsdauer für eine Facharztqualifikation umfasst in der Regel fünf bis sechs Jahre (im Überblick siehe die aktuelle Musterweiterbildungsordnung). In der Regel verfügen Ärzte auch „nur“ über eine Facharztqualifikation ggf. noch ergänzt mit Schwerpunkten und einer oder ggf. mehrere Zusatzweiterbildungen. Doppelqualifikationen, also zwei Facharztausbildungen, sind bereits sehr selten.

Das scheint aufzudrängen, dass es nicht sein kann, dass ein Facharzt „fachfremd“ tätig ist. Der zwischen einem Patienten und Arzt geschlossene Behandlungsvertrag, der eine Überschreitung des Fachgebietes vorsieht, könnte u. U. gemäß § 134 BGB nichtig sein, und zwar wegen Verstoßes gegen das, in den Heilberufsgesetzen der Länder verankerte, Gebot – grundsätzlich nur in dem Gebiet tätig zu werden, in dem der Arzt seine Facharztausbildung absolviert hat (Möller, jurisPR-MedizinR 9/2020 Anmerkung zu LG Berlin 84. Zivilkammer, Urteil vom 16.01.2019 – 84 O 300/17). Jedenfalls könnte aber die Möglichkeit der Abrechnung sog. fachfremder Leistungen ausgeschlossen sein.

Hier wurde die bezüglich eines Arztes für Orthopädie, Chirurgie und Unfallchirurgie, strittig, der MRT-Untersuchungen durchführte und auch befundete. Zu entscheiden war, ob die notwendigen Voraussetzungen tatsächlich nur durch den formalen Nachweis einer Facharztqualifikation erbracht werden können. Immerhin ist es denkbar und möglich, dass jedenfalls die Qualifikationen für einzelnen Leistungen, insbesondere im Zusammenhang mit dem eigenen Hauptgebiet, auch erlangt werden können, ohne dass eine formale Ausbildung durchlaufen wurde. Mithin ist letztlich die Frage eines etwaigen Qualifikationsmonopols zu entscheiden und damit auch unterschwellig eines etwaigen Wettbewerbsschutzes. Schließlich steht im Hintergrund als eigentliches Motiv der Versuch von privaten Krankenversicherungen, ihr Leistungsversprechen per Durchsetzung allgemeiner Schranken für die Leistungserbringung und Abrechnung durchzusetzen, die dann auch für alle gelten würden, die den Arzt unabhängig von einer Versicherungsdeckung in Anspruch nehmen wollen.

III. Fall

Im zu entscheidenden Fall wurde zwischen dem Arzt und einer Krankenhaus GmbH ein Kooperationsvertrag geschlossen, der eine Mitbenutzung medizinischtechnischer Großgeräte vorsieht und aufgrund dessen er MRT-Geräte an zwei Standorten in Regensburg mitbenutzen darf. Zum Streitgegenstand zwischen dem Arzt und der klagenden PKV wurden dann 48 Untersuchungen mittels der MRT-Geräte, die einen Streitwert iHv. 19.193,85 € ergaben.

Nach Erstattung der Kosten an die Versicherungsnehmer in voller Höhe, macht die Klägerin geltend, ihre Versicherungsnehmer hätten die entsprechenden Beträge ohne Rechtsgrund geleistet, weil die Behandlungsverträge wegen Verstoßes gegen Art. 34 des bayrischen Heilberufe-Kammergesetz (HKaG) iVm. § 134 BGB nichtig seien.

Zur Begründung wird aufgeführt, dass es sich um fachgebietsfremde Leistungen und damit um solche handele, die nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst für die medizinisch notwendige ärztliche Versorgung erforderlich gewesen seien. Außerdem liegt nach ihrer Ansicht ein Verstoß gegen § 1 Abs. 2 GOÄ vor, und es habe an der persönlichen Leistungserbringung des Beklagten gefehlt, weil dieser schlechterdings nicht über die erforderliche Qualifikation zur Durchführung der infrage stehenden MRT-Untersuchungen verfüge. Dies führe dazu, dass die Leistungen des Arztes nicht abrechenbar waren.

IV. Entscheidung

Den Erwägungen der PKV hat das OLG Nürnberg nun eine Absage erteilt. Bereits in der Vorinstanz wurde die Klage abgewiesen, da die MRT-Leistungen für den Beklagten als Facharzt für Orthopädie, Chirurgie und Unfallchirurgie nicht als fachfremd und ebenso wenig von ihm als nicht persönlich erbracht angesehen werden könnten. Mithin hat also ein Rechtsgrund bestanden, sodass die Zahlungen rechtmäßig erfolgten.

Unter genauer Betrachtung von Art. 34 HKaG lässt sich schlussfolgern, dass Leistungen eines Arztes nur innerhalb seiner Gebietszuständigkeit erfolgen dürfen, da diese sonst als fachfremd gelten und nicht vergütet werden können. Kern des Problems ist also, ob eine MRT-Untersuchung, welche durch einen Facharzt vorgenommen wird, der selbst kein Radiologe ist, als fachfremd angesehen werden müssen mit der Folge, dass eine Vergütung nicht erfolgt, weil – wie bereits oben erwähnt – ein Gesetzesverstoß vorliegt, der die geschlossenen Behandlungsverträge zunichte macht. Dieser Auffassung war 2006 das LG Hamm (LG Mannheim, Urteil vom 17. 11. 2006 – 1 S 227/05). Mit einer anderen Begründung schlug das OLG Celle 2007 in dieselbe Kerbe. Es stützte seine Erwägungen allerdings auf § 1 Abs. 2 S. 1 GOÄ, wonach der Arzt Vergütungen nur für Leistungen berechnen darf, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst für eine notwendige ärztliche Versorgung erforderlich sind. Hier wird also eine Überschreitung des Fachgebietes als Verstoß gegen die ärztliche Kunst angesehen. Damit könne auch deshalb keine Vergütung erfolgen (OLG Celle, Urteil vom 22.10.2007 – 1 U 77/07).

Beiden Begründungsansätzen kann nach Ansicht des OLG Nürnberg entgegengehalten werden, dass das Verbot der Betätigung außerhalb des Fachgebietes bei verfassungsgemäßer Auslegung nur als eine allgemeine Richtlinie zu verstehen ist (BVerfGE 33, 125; BVerfG, MedR 2011, 572.). Deswegen seien auch fachgebietsfremde Tätigkeiten erlaubt, wenn ihr Anteil an der gesamten ärztlichen Tätigkeit des betreffenden Facharztes nur „geringfügig“ ist. Mit anderen Worten: Solange das Übergewicht der ärztlichen Tätigkeit nicht fachfremd ist, sind kleinere fachfremde Tätigkeiten absolut legitim. Damit ist auch der Behandlungsvertrag nicht nichtig. Hier bedarf es einer Einzelfallabwägung, weil ein allgemeines Kriterium hierfür nicht herangezogen werden kann, nachdem die Überschreitung der Schwelle der Geringfügigkeit angenommen werden kann bzw. muss. Weiterhin spricht zumindest für den Fall in Bayern auch nicht die Weiterbildungsordnung für Ärzte gegen diese Annahme, denn sie versteht den Begriff „Gebiet“ als definierten Teil einer Fachrichtung der Medizin. Damit werden die Grenzen fachärztlicher Tätigkeiten auch durch die Gebietsdefinition bestimmt. Nach anderer Ansicht war bzgl. der Gebietsgrenzen auf Weiterbildungsinhalte abzustellen. Diese sollten jedoch nicht starr verstanden, sondern als auch geeignete Inhalte zur Gebietsabgrenzung verstanden werden. Würde man nur auf die Inhalte der Weiterbildung abstellen, müsste gesehen werden, dass MRT-Verfahren und Befundung ausschließlich Inhalte der Weiterbildung zum Facharzt für Radiologie sind – für den Beklagten ergäbe sich demnach, dass er fachfremd gehandelt und ihn deshalb allen bereits dargelegten Konsequenzen treffen müssten.

Konkret ergibt sich zur Gebietsdefinition für die Gebiete, Chirurgie, Orthopädie und Unfallchirurgie, dass die Erkennung von chirurgischen Erkrankungen, Verletzungen und Verletzungsfolgen der Gefäße, der inneren Organe einschließlich des Herzens, der Stütz- und Bewegungsorgane etc. erfasst wird und bestimmt dabei zugleich nicht mit welchen diagnostischen Methoden die Erkennung der Erkrankungen zu erfolgen hat. Damit ist eine Befundung durch MRT-Verfahren von der Gebietsdefinition des Beklagten umfasst.

Dass die Weiterbildung zum Orthopäden, Chirurgen und Unfallchirurgen die Anwendung von MRT-Geräten und Befundungen nicht umfasst, beschränkt die Tätigkeit für ihn nicht, denn aus § 2 Abs. 2 S. 3 WBO ergibt sich insofern, dass die in der Facharztkompetenz vorgeschriebenen Weiterbildungsinhalte nicht die Ausübung der fachärztlichen Tätigkeit im Gebiet beschränken – mit den Worten des OLG Nürnberg: „Die innerhalb eines Gebietes berufsrechtlich erlaubten Tätigkeiten gehen also über die Summe der Weiterbildungsinhalte hinaus […]“.

V. Bewertung

Der Entscheidung ist zuzustimmen. Weder ist einem Arzt, der kein Facharzt ist, quasi alles verboten mangels Facharztausbildung, wie auch ein Arzt, der Facharzt ist, die vorherige uneingeschränkte Kompetenz durch Vertiefung eines Gebietes nicht per se verloren geht bzw. er eben auch jenseits formale Facharztausbildungen Qualifikationen erlangen und erhalten kann. Dies führte vor dem OLG Nürnberg der Sachverständige aus. Nach dessen Ansicht hat der Beklagte eingehend dargelegt, dass er durch verschiedene Lehrgänge zur Anwendung der MRT hinreichend qualifiziert sei. Das LG Darmstadt bewertet die Frage zur Befähigung zur MRT-Untersuchung ähnlich (Rn. 19 aaO):

„Da es allein um die tatsächliche praktische Befähigung geht, eine MRT-Untersuchung sach- und fachgerecht durchzuführen, sind hier vielfältige, auch alternative Möglichkeiten des Qualifikationsnachweises denkbar. Auch nach den Ausführungen der Landesärztekammer Hessen, auf die Bezug genommen wird, können diese Qualifikationen, die praktisch zur Befähigung führen, auch auf anderen Wegen erreicht werden. Warum und weshalb, die seitens der Beklagten vorgelegten Qualifikationsnachweise von anerkannten Berufsverbänden u.a. des Deutschen Orthopäden Verbandes e.V., bzw. der Akademie Deutscher Orthopäden, nicht ausreichen sollen und nicht geeignet sind, die rein praktische Befähigung zur Durchführung von MRT-Untersuchungen zu belegen, ist nicht ersichtlich, noch dargetan.“

Insofern besteht kein Qualifikationsmonopol. Unangetastet davon bleibt selbstverständlich das Haftungserfordernis, stets auf Facharztstandard leisten zu müssen, wie auch Patienten gefordert bleiben, eine eigene Meinung zu bilden, wenn kein Ausweis typisierter Qualifikationen vorliegt. Beide Erwägungen sind aber von der Vergütungsfrage zu trennen und dürfen nicht durch die Hintertür des Vergütungsrechtes zur Einengung und Monopolisierung von Versorgungs- und Ausbildungsangeboten führen, jedenfalls so lange hier keine Änderung des einfachen Rechts vorgenommen wird. Ebenso wenig bietet das einfache Recht die Möglichkeit, den Leistungsumfang einer privaten Versicherung zu beschneiden – worum es ausweislich der Regresssituation hier eigentlich ging. Wollen die Versicherungen sich hier ihre bisherigen Leistungsversprechen einschränken ist das eine Frage der Gestaltung der Versicherungsbedingungen. Hierzu können die Versicherungen nicht das allgemeine Vergütungsrecht instrumentalisieren.

Abzuwarten bleibt gleichwohl, wie nun der BGH entscheidet. Dieser zeigt sich den Begehren der Privaten Krankenversicherungen nach Kostenbegrenzung zu Lasten der allgemeinen Behandlungsmöglichkeiten von Patienten gegenüber mitunter durchaus nachgiebig und lässt diese – sachfremden Erwägungen – bei der Entscheidungsfindung durchschlagen. Als allgemeingültig kann die Unabhängigkeit von formalen Fachgebietsgrenzen also noch nicht eingestuft werden. Offen ist sodann auch, ob es ausschließlich der Entscheidung der Patienten und den Bestimmungen des Haftungsrechtes überlassen bleibt, die Behandlung auf dem Facharztstandard zu gewährleisten, oder ob ggf. Substitute verlangt werden, d. h. z. B. sonstige Ausbildungsnachweise, Nachweise von Häufigkeiten, eine etwaige Fachaffinität o. ä. Ansatzpunkte gibt das einfache Recht mit Folge für die Vergütung nicht her. Es bleibt die Beachtlichkeit von Regelungen des Berufsrechtes, die einer Erbringung ohne Gewährleistung des Facharztstandards entgegenstehen können, ohne allerdings die Nichtigkeit des Behandlungsvertrages oder die Unwirksamkeit des Vergütungsanspruchs zu begründen. Weitergehende Folgerungen bedürften damit der Herbeiführung einer Rechtsänderung. Es fragt sich alleine, ob hier tatsächlich ein Problem in der Qualität der Leistungserbringung besteht, das per Schärfungen der Voraussetzungen für die Leistungserbringung oder der Abrechnung geeignet zu beheben ist.

Dr. Andreas Penner
Rechtsanwalt