Gutachten: Stand- und Weiterentwicklung der gesetzlichen Regelungen zu medizinischen Versorgungszentren (MVZ)

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Gutachten: Stand und Weiterentwicklung der gesetzlichen Regelungen zu medizinischen Versorgungszentren (MVZ)

(Update: Stellungnahmen zu Wenner, SGb 2021, 593 ff)

Im November 2020 wurde von den Professoren Dres. Andreas Ladurner, Ute Walter und Beate Jochimsen ein Rechtsgutachten zum „Stand und Weiterentwicklung der gesetzlichen Regelungen zu medizinischen Versorgungszentren (MVZ)“ vorgelegt, welches das Bundesministerium für Gesundheit in Auftrag gegeben hatte.

Die drei Gutachter kommen zu Ergebnissen und Empfehlungen (Seiten 2 – 5 des Rechtsgutachtens, im Folgenden: Gutachten), die einer kritischen Analyse unterzogen werden müssen.

Unter anderem schlagen die Gutachter eine Mindestgröße für MVZ im Umfang von drei vollen Versorgungsaufträgen vor. Diese soll gesetzlich geregelt werden (vgl. Gutachten, Seite 2, Punkt 3). Der Vorschlag ist abzulehnen: Es besteht keine rechtliche Notwendigkeit für diese Eingrenzung, zudem werden gerade für die institutionellen Träger Marktzugangschancen ohne sachlichen Grund begrenzt. Außerdem entstehen gesellschafts- und steuerrechtliche Mienenfelder, die der Vorschlag in keiner Weise thematisiert. Schließlich entspricht die Eingrenzung auch nicht den Interessen der handelnden Akteure und er stärkt gerade nicht die MVZ, die von Ärzten betrieben werden.

Dies zeigt der nachfolgende Beitrag:

1. Der Vorschlag:

Im Rechtsgutachten heißt es hierzu (vgl. Gutachten, Seite 2):

Mit Wegfall des Wesensmerkmals der Fachübergreiflichkeit hat sich das MVZ von einer Versorgungsform in Richtung einer Organisationsform verändert. Um die Kontur des Leistungserbringertyps MVZ zu schärfen, schlagen die Gutachter vor, eine Mindestgröße für MVZ im Umfang von drei vollen Versorgungsaufträgen gesetzlich vorzusehen. Damit werden die Vorteile dieses Anbietertyps als eines institutionalisierten Leistungserbringers mit kontinuierlich-kooperativem Versorgungsangebot gestärkt. Für unterversorgte Planungsbereiche kann eine Ausnahme von der Mindestgröße vorgesehen werden.“

In dem Gutachten stellen die Verfasser fest, mit dem Wegfall des ursprünglich für MVZ konstituierenden Merkmals der „Fachübergreiflichkeit“ durch das GKV-VSG vom 23.07.2015 sei „eines der wesentlichen Wesensmerkmale des Leistungserbringertyps MVZ entfallen“ (vgl. Gutachten, Seite 39). Mit dem GKV-VSG sei deshalb das bisherige „Konzept einer besonderen Versorgung (interdisziplinäre Versorgung „aus einer Hand“) durch ein eher formal-organisatorisches Konzept einer bestimmten Leistungserbringerform ersetzt worden“ (vgl. Gutachten, a.a.O.).

In Folge dieser Entwicklung seien die Leistungserbringertypen MVZ und BAG mittlerweile einander deutlich angenähert. Soweit in Verwaltungspraxis und Rechtsprechung auch MVZ mit zwei halben Versorgungsaufträgen verschiedener Ärzte anerkannt würden, „gleiche sich das MVZ darüber hinaus sogar der ärztlichen Einzelpraxis an“ (vgl. Gutachten, Seite 39).

Auf Seiten 41 und 42 des Rechtsgutachtens werden dann in Form einer Tabelle die Unterschiede zwischen den Organisationsformen MVZ, BAG und Einzelarzt dargestellt. Die Gutachter kommen zu dem Ergebnis, aus den „mittlerweile eher feinen, punktuellen Unterschieden zwischen den Leistungserbringertypen“ (vgl. Gutachten, Seite 43) folge eine gewisse „Konturlosigkeit“ (vgl. Gutachten, Seite 43). Insbesondere habe das MVZ nach Wegfall der Zulassungsvoraussetzung der Fachübergreiflichkeit ein bedeutsames Unterscheidungsmerkmal verloren, während sich zugleich die BAG in ihren rechtlichen Möglichkeiten immer mehr dem MVZ annähere (vgl. Gutachten, Seite 43).

Vor diesem Hintergrund solle die Mindestgröße eines MVZ mit drei vollen Versorgungsaufträgen zur konstitutiven Voraussetzung eines MVZ werden. Versorgungspolitisch gerechtfertigt sei dies dadurch, dass die gemeinsame Behandlung der Versicherten durch eine bestimmte, gesetzlich garantierte Mehrzahl von Ärzten in einer Einrichtung (Institution) Versorgungsvorteile mit sich bringe. So sei insbesondere die Behandlungskontinuität im Urlaubs-, Krankheits- und Schwangerschaftsfall verbessert, ebenso der fachliche Austausch zwischen den Berufsträgern. Außerdem ließen sich ab gewisser Größe Skaleneffekte heben – insbesondere bei der Digitalisierung der Versorgung. Als Leistungserbringertyp und „Versorgungskonzept“ einer kontinuierlichen, kooperativen Versorgung gewinne das MVZ eine Daseinsberechtigung im Vergleich auch zur Einzelpraxis oder kleinen BAG, denen sich umgekehrt ein neuer „exklusiver“ Versorgungsbereich (d.h. Versorgung in Einheiten unterhalb von drei Versorgungsaufträgen) eröffne. Nur größere Einheiten wie MVZ mit mindestens „drei“ Versorgungsaufträgen rechtfertigten zudem die vom Gesetzgeber verwendeten Begriffe „Einrichtung“, „Zentrum“ und „ärztliche Leitung“ (vgl. Gutachten, Seite 43).

Um etwaige Nachteile für schlecht versorgte Gebiete zu vermeiden, soll nach dem Vorschlag in Gebieten mit vom Landesausschuss festgestellter drohender oder eingetretener Unterversorgung (§ 101 Abs. 1 Satz 1 SGB V) oder in nicht unterversorgten Gebieten mit festgestelltem zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarf (§ 101 Abs. 3 SGB V) eine Absenkung auf zwei volle Versorgungsaufträge möglich sein. Die Mindestzahl von zwei vollen Versorgungsaufträgen sei aber auf jeden Fall notwendig, um den Charakter eines institutionellen Leistungserbringers zu wahren und die Abgrenzung zur Einzelpraxis zu erreichen (vgl. Gutachten, Seite 43).

Mit der Einführung einer Mindestgröße für MVZ müsse für bereits bestehende, kleine MVZ Bestandsschutz eingeführt werden. Dies solle in der Weise erfolgen, dass MVZ, die bei Inkrafttreten der Neuregelung über weniger als drei (ggfls. in schlecht versorgten Gebieten weniger als zwei) volle Versorgungsaufträge verfügten, in dem Umfang, den sie bei Inkrafttreten aufweisen, als dann für sie geltenden Mindestumfang unbegrenzt weiter betrieben werden könnten (vgl. Gutachten, Seite 44).

MVZ, die indes bei Inkrafttreten der Neuregelung über die erforderlichen drei Versorgungsaufträge oder mehr verfügten, sollen dagegen keinen Bestandsschutz erhalten. Sie würden danach zukünftig ihre Zulassung verlieren, wenn sie länger als sechs Monate unter die gesetzlich definierte Mindestzahl von drei Versorgungsaufträgen fallen. Dies – so die Gutachter – sei auch zumutbar, da stets die Möglichkeit bestehe, Anstellungsgenehmigungen in Zulassungen umzuwandeln, sodass die mit einer Zulassung verbundenen wirtschaftlichen Werte nicht verloren gehen. Schrumpft ein MVZ nach Inkrafttreten der Neuregelung unter die neue Mindestschwelle von drei (bzw. zwei) vollen Versorgungsaufträgen, könne das Versorgungsangebot mit den nach Umwandlung vorhandenen einzelnen Zulassungen als BAG oder in Form mehrerer Einzelpraxen fortgeführt werden (vgl. Gutachten, a.a.O.).

Auch unter verfassungsrechtlicher Perspektive müsse Bestandsschutz für MVZ nur in ihrem Bestand bei Inkrafttreten der Neuregelung gewährt werden. Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzuträten, was hier nicht der Fall sei, genieße die bloße „allgemeine Erwartung“, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz (vgl. Gutachten, a.a.O. m.V.a. BVerfG vom 30.06.2020 – AZ: 1 BvR 1679/17 – Rn. 125, zitiert nach juris).

2. Kritische Würdigung

Der Vorschlag, zukünftig eine gesetzliche Mindestgröße für MVZ im Umfang von mindestens drei vollen Versorgungsaufträgen vorzusehen, hält einer Prüfung unter einer Vielzahl von Gesichtspunkten nicht stand. Vorliegend wird er im Hinblick auf die gesellschafts- und steuerrechtlichen Implikationen sowie die Steuerungswirkung kritisch betrachtet.

Die Ausführungen, „es bestehe stets die Möglichkeit, die mit einer Zulassung verbundenen wirtschaftlichen Werte zu erhalten“ (Gutachten Seite 44) sind schlicht falsch:

Verliert eine Träger-GmbH mit drei vollen Anstellungsgenehmigungen die Zulassung, weil ein Angestellter ausscheidet und der Versorgungsauftrag nicht innerhalb des zulässigen Zeitraums nachbesetzt werden kann, so entsteht neben der Vielzahl von sozialrechtlichen Problemen folgendes: Der MVZ-Träger kann zwar zugunsten der angestellten Ärzte auf die Anstellungsgenehmigungen verzichten. Damit werden die ehemals angestellten Ärzte zugelassen. Diese könnten grundsätzlich als zugelassene Ärzte in Einzelpraxis oder in einer BAG weiterarbeiten. Damit die wirtschaftlichen Werte des GmbH-Trägers „erhalten“ bleiben, müssten die Ärzte dem GmbH-Träger aber das materielle Anlagevermögen und den Goodwill mindestens abkaufen. Die Ärzte haben sich aber in aller Regel bei der GmbH anstellen lassen, weil sie gerade nicht freiberuflich tätig werden wollen. Regelhaft besteht seitens der betroffenen Ärzte überhaupt kein Interesse daran, dem Träger der MVZ-Zulassung irgendetwas abzukaufen. Dies betrifft v.a. zulassungslos gewordene Krankenhaus-MVZ. Aber auch bei ärztegetragenen MVZ gilt dasselbe: Wird ein MVZ als MVZ-GmbH gründet, in die drei volle Anstellungsgenehmigungen eingebracht wurden, so besteht auch hier bei fehlgeschlagener Nachbesetzung keinerlei wirtschaftlich sinnvolles Übernahmekonzept. Die Gutachter haben vollständig übersehen, dass zwischen den Trägergesellschaftern und den angestellten Ärzten in einem MVZ in der Rechtsform einer GmbH in der Regel eine klare Interessendifferenz besteht. Gerade heute treten in die MVZ junge Ärztinnen und Ärzte ein, die zunächst und v.a. die sichere Anstellung möchten und denen nichts weniger gelegen kommt, als eine ungeplante Übernahme.

Wie die Gutachter selbst aufgeführt haben (Abbildung 4 auf Seite 23), sind zudem in 2018 über 22% der MVZ als solche mit zwei Ärzten, 16% der MVZ als solche mit drei Ärzten und 14% der MVZ mit vier Ärzten betrieben worden. Die dahinterstehenden Versorgungsaufträge sind in der Aufstellung nicht erfasst. Jedenfalls arbeiten in knapp 40% aller MVZ lediglich zwei oder drei Ärzte (vgl. Gutachten Seite 22). Geht man davon aus, dass auch in den MVZ mit vier Ärzten nicht immer vier volle Versorgungsaufträge hinterlegt sind, so sind es über 50% der MVZ, die bei fehlen-der Nachbesetzungsmöglichkeit mit einem Zulassungsentzug bedroht wären. Denn die Entwicklung der MVZ (vgl. Gutachten, Abbildung 1 auf Seite 20) zeigt zugleich, dass die ganz überwiegende Mehrzahl der MVZ mit Angestellten betrieben wird.

Die strukturellen steuerlichen Verwerfungen bei der Rückabwicklung der – zumeist Kredit finanzierten – Investitionen im Rahmen einer GmbH-Gründung wurden im Gutachten mit keinem Wort erwähnt, geschweige denn einer sinnvollen Lösung zugeführt. Es ist mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, in der MVZ-GmbH bilanziertes Vermögen bei Verlust der Zulassung steuerlich unschädlich entweder zu veräußern oder auf die Ebene der Muttergesellschaft zu heben, zumal wenn diese ohne langfristige Planung erfolgen soll – wie im Falle eines Zulassungsverlusts. Noch komplizierter wird es, wenn Kredite oder ein Teil des Vermögens möglicherweise von Dritten übernommen werden müssen usw. Der Vorschlag ist insofern ein Beschäftigungsprogramm für Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und Rechtsanwälte, nicht jedoch eine praxistaugliche Verbesserung der MVZ-Strukturen.

Darüber hinaus entfaltet der Vorschlag auch fatale Steuerungswirkungen. MVZ sind danach für institutionelle Träger nur noch mit 3 vollen Versorgungsaufträgen gründ- und führbar. Die Versorgungsrealität kleinerer Krankenhäuser in der Fläche, die infolge des Ärztemangels dringend ein ambulantes Portal benötigen, trifft dies nicht. Solche MVZ werden häufig mit weniger als 3 vollen Versorgungsaufträgen betrieben oder sie liegen knapp darüber. Die Krankenhausträger würden künftig überhaupt kein ambulantes Portal mehr betreiben können. Einmal unabhängig von den verfassungsrechtlichen Vorbehalten gegen eine solche Einschränkung des Betätigungsfeldes, die schwerlich mit reinen „Konturierungsbestrebungen“ begründet werden kann, geht dies an den Versorgungsbedürfnissen der Bevölkerung völlig vorbei: Gerade in der Fläche werden zukünftig MVZ als ambulante Leistungserbringer von Krankenhausträgern geführt werden müssen. Die Bereitschaft der Ärzte, sich in eigener Praxis niederzulassen, nimmt kontinuierlich ab, und sie ist in Kleinstädten noch viel geringer als in den Zentren. Wenn der Gesetzgeber seinen Auftrag zur Schaffung und Erhaltung gleichwertiger Lebensverhältnisse in Stadt und Land ernst nimmt und daran festhält, dass ambulante und stationäre Versorgung auch abseits der Zentren auf hohem Niveau erbracht werden soll, um die Lebensverhältnisse in Stadt und Land dauerhaft gleich zu halten, so darf er die institutionellen Träger nicht auf eine Einrichtungsgröße festlegen, die den praktischen Bedürfnissen nur sehr in Teilen entspricht.

Nicht zuletzt muss auch folgendes bedacht werden: Wer ein MVZ mit drei vollen Versorgungsaufträgen betreibt, ist seinen Arbeitnehmern nahezu „ausgeliefert“, weil er ständig fürchten muss, bei ungeplantem Ausscheiden eines der angestellten Ärzte die Zulassung für das gesamte MVZ mit den geschilderten Folgen zu verlieren. Die angestellten Ärzte erhalten hier eine Position, die der Risikoverteilung nicht gerecht wird. Der Vorschlag ist auch unter diesem Gesichtspunkt praxisfern und absolut abzulehnen.

Vielmehr wäre eine ganz andere Konsequenz zu sehen: Der bestimmende Unterschied des MVZ zur BAG besteht nach derzeitiger Rechtslage darin, dass MVZ sowohl in der Rechtsform einer Personengesellschaft geführt werden können, als auch in der Rechtsform einer GmbH. Die BAG ist hingegen nur als Personengesellschaft, namentlich als GbR oder Partnerschaftsgesellschaft führbar. Ansonsten gibt es keine praktisch relevanten Unterschiede mehr. Die zunächst nur für das MVZ vorgesehenen „Privilegien“ (Anstellung von Ärzten, Zahl der zulässigen Nebenbetriebsstätten, Umfang der zulässigen Tätigkeit) wurden weitgehend angeglichen, wie das Gutachten richtig feststellt. Aber nur das MVZ ermöglicht mit der Rechtsform der GmbH den Ärzten Zugang zu einer Haftungsbeschränkung, die nicht nur die Berufsversehen umfasst – wie die Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung -, sondern das gesamte wirtschaftliche Betätigungsfeld der Ärzte wie Mieten, Gehälter, usw. und den Zugang zum Steuerrecht der Kapitalgesellschaften eröffnet. Dieses Bedürfnis steigt. Da das MVZ zugleich auch als Personengesellschaft betrieben werden kann und nicht mehr fachübergreifend tätig werden muss, weist das MVZ alle Möglichkeiten auf, die im ambulanten Bereich bei Betrieb einer BAG denkbar sind. Mit anderen Worten: Die BAG hat ausgedient, denn sie bringt niedergelassenen Ärzten keinen relevanten Mehrwert mehr. Ärzte können als Einzelpraxis oder im Zusammenschluss als MVZ sozialrechtlich transparent tätig werden und die Scheindifferenzierung zur BAG entspricht nicht mehr den Bedürfnissen und ist völlig überholt.

3. Stellungnahme zu Wenner, SGb 2021, 593 ff

Prof. Dr. Wenner, Vorsitzender Richter des 6. Senates des BSG, der für Vertragsarztrechts zuständig ist, hat sich mit den vorstehenden Erwägungen kritisch auseinandergesetzt. Er führt folgende Überlegungen an:

  • Wenner befasst sich mit der obigen Kritik an der Mindestgröße von drei Versorgungsaufträgen. Er merkt hierzu an:

„Warum das zu bedauern wäre, erfährt man nicht und es ist wohl auch nur für den selbstverständlich, der davon überzeugt ist, die Krankenhäuser würden MVZ aus mehr oder weniger altruistischen Motiven zur Sicherung einer ambulanten Versorgungsstruktur betreiben und deshalb müsse ihnen der Gesetzgeber dies möglichst leicht machen. Diese Erwägung liegt eher fern, es geht den Krankenhäusern bei der Gründung von MVZ vorrangig um die Sicherung von Zuweisungen und die Verzahnung von ambulanter und stationärer Versorgung sowie die optimale Auslastung des vorhandenen Personals. Zudem dürften Krankenhäuser, die ein MVZ mit nur zwei Versorgungsaufträgen betreiben wollen, eher zu den kleineren Häusern gehören, deren Zukunft ungeachtet der Lehren aus der Corona-Pandemie mit guten Gründen in Frage gestellt wird. Hier dürfte dann die Gründung eines MVZ zumindest auch einer proaktiven Bestandsicherung in dem Sinne dienen, dass die Idee einer Schließung schwerer umzusetzen ist, wenn sie auch das angegliederte MVZ betrifft.“ (Klammerzusätze durch d. Verf.)

  • Zu den Überlegungen bezüglich der Auswirkungen der Erhöhungen auf drei Versorgungsaufträge führt er aus:

Zu Recht weisen Pittrof und Penner in ihrer Kritik an dem Vorschlag von Ladurner auf einen Aspekt hin, der im Gutachten nicht behandelt wird, nämlich eine Machtverschiebung innerhalb von kleineren MVZ zu Gunsten der dort tätigen Ärzte und zu Lasten der Betreibergesellschaft: Wenn nach der Änderung der Rechtslage im Sinne des Vorschlags einer von drei angestellten Ärzten das MVZ verlässt, muss dieses innerhalb von sechs Monaten die Stelle besetzen, andernfalls sind die Gründungsvoraussetzungen nicht mehr erfüllt und dem MVZ ist die Zulassung zu entziehen (§ 95 Abs. 6 Satz 3 SGB V). Zumindest in Regionen, in denen die Nachbesetzung einer Arztstelle nicht einfach ist, würde die Vorgabe einer Mindestzahl von Versorgungsaufträgen im MVZ die Position der dort tätigen Ärzte stärken: Die MVZ-Betreibergesellschaft hat ein vitales Interesse, dass Ärzte bleiben oder zumindest so geordnet und planbar gehen, dass eine nahtlose Nachbesetzung möglich wird. Was jedoch wäre an der Stärkung der Stellung der Ärzte im MVZ problematisch? Das MVZ sollte für junge Ärztinnen und Ärzte die Möglichkeit bieten, auch ohne Praxisgründung und Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit eine persönlich und wirtschaftlich interessante Tätigkeit in der ambulanten Versorgung auszuüben. Eine starke Stellung der angestellten Ärzte im MVZ (auch) gegenüber der Betreibergesellschaft ist deshalb sinnvoll, weil das versorgungspolitische Ziel von MVZ die Sicherung der Behandlung von Patienten durch Ärzte und nicht die Sicherung der Rendite für Krankenhauskonzerne und Private-Equity-Fonds sein sollte. (Klammerzusätze und redaktionelle Berichtigung der Autorenreihenfolge durch d. Verf.)

Zu diesen Erwägungen ist Folgendes festzuhalten:

Zunächst befremdet, dass auch Wenner nicht zwischen der Anzahl der vollen Versorgungsaufträge und der Anzahl der darauf angestellten Ärzten unterscheidet, wenn er die Folgen des Vorschlags bewertet. Es wurde bereits in unserer ersten Stellungnahme darauf hingewiesen, dass jeder volle Versorgungsauftrag mit bis zu vier Ärzten auf jeweils ein bis zehn Wochenstunden besetzt werden kann (vgl. § 51 Abs. 1 BedPlR-Ärzte). Es ist einer der folgenschwersten handwerklichen Fehler des Gutachtens, dass es eine Erhebung zur Kopfzahl der in MVZ tätigen Ärzte aus dem Jahr 2018 (Abb. 4, S. 23 des Gutachtens) mit den dahinterstehenden Versorgungsaufträgen gleichsetzt und darum in den Raum stellt, die Folgen des Wegfalls der Betreibereigenschaft nach Verlust eines Versorgungsauftrags betreffe heute schon nur 22 % und damit einen kleinen Teil der MVZ (vgl. S. 43 und Fn. 96 des Gutachtens). Das ist falsch: Eine Erhebung zur Anzahl der in einem MVZ tätigen Ärzte lässt gerade keine Schlussfolgerung darüber zu, ob bis zu vier Ärzte auf einem Versorgungsauftrag arbeiten oder vier Ärzte auf jeweils vollem Versorgungsauftrag! Es ist deshalb umso bedauerlicher, dass Wenner darauf nicht eingeht und damit die Versorgungsrealität kleinerer Landkrankenhäuser und v.a. der von Ärzten getragenen MVZ schlicht ignoriert: Es ist dort eben keine Seltenheit, dass MVZ mit wenigen Versorgungsaufträgen geführt werden, weil diese geteilt wurden. Gerade in strukturschwachen Gegenden müssen Krankenhausärzte häufig halb im stationären und halb im ambulanten Versorger arbeiten, weil das Haus keine anstellungswilligen neuen Ärzte findet, das ambulante Portal aber benötigt. Davon unabhängig wollen immer mehr Ärzte lediglich in Teilzeit angestellt werden. Zum einen liegt das offensichtlich daran, dass die heranwachsende Generation potentiell in der Niederlassung tätiger Ärzte und Ärztinnen auch nach Familiengründung eine gleichberechtigte Teilhabe beider Elternteile an Berufs- und Arbeitsleben verwirklichen will. Dies ist grundsätzlich zu begrüßen und es gibt zudem keinerlei Anzeichen dafür, dass sich daran etwas ändern wird. Zum anderen ist bedeutsam und wirkt insoweit trendverstärkend, dass der Anteil der Frauen unter den Studierenden im Fach Medizin seit Jahren bei ca. 66% liegt. Die Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Patientinnen und Patienten, Claudia Schmidtke, hatte mit Blick auf den hohen Frauenanteil in der Medizin im Jahr 2018 vor „existenziellen Versorgungsproblemen“ gewarnt und eine „Männer- bzw. Diversenquote“ gefordert, die allerdings von der Bundesregierung abgelehnt wurde (vgl. „Forschung und Lehre online vom 14.05.2019, Hrsg: Deutscher Hochschulverband). Hingewiesen hatte die Beauftragte darauf, dass viele Frauen mit Kindern auch künftig in Teilzeit arbeiten werden.

Vor diesem Hintergrund wirken die Ausführungen von Wenner schlicht „aus der Zeit gefallen“. Ärzte und Ärztinnen, die Verantwortung in einer ambulanten Einrichtung übernehmen wollen, haben heute eine riesige Auswahl: Sie können gleich einer BAG beitreten oder auch nach einer gewissen Zeit der Anstellung in einer BAG nach Umwandlung der besetzten Anstellungsgenehmigung in eine Zulassung als GesellschafterIn der BAG beitreten (vgl. § 95 Abs.9 b SGB V) Auch können sie sich zunächst in einem von Ärzten getragenen MVZ anstellen lassen und dann an der Ärztegesellschaft beteiligt werden, die das MVZ trägt (vgl. § 95 Abs. 6 Satz 5 SGB V). Sogar Beteiligungsmodelle an institutionell betriebenen MVZ existieren.

Angesichts dieser Möglichkeiten ist es völlig überflüssig und gerade auch in Bezug auf die von Ärzten getragenen MVZ nicht interessengerecht, Kollegen, welche von den bestehenden Möglichkeiten der Mitsprache aber auch Mitverantwortung auf der Trägerebene einer ambulanten Einrichtung keinen Gebrauch machen wollen, wirtschaftliche Druckmittel zu Lasten des Unternehmens an die Hand zu geben, die über die arbeitsrechtlichen Möglichkeiten hinausgehen. Dies gilt umso mehr als das Arbeitsrecht ein seit langem durch den Gesetzgeber, die Tarifparteien und nicht zuletzt die Gerichte in allen Einzelbereichen differenziert ausgestaltetes System ständigen Ausgleichs zwischen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerinteressen vorhält und – last but not least – Ärzte in allen Bereichen gesucht sind. Sie haben auch wegen der demographischen Entwicklung langfristig die „Marktmacht“ auf ihrer Seite.

Nochmals sei darauf hingewiesen, dass nach dem Gutachtervorschlag ein MVZ schon dann die Betreibereigenschaft verliert, wenn die Anzahl der versorgungsaufträge unter 3,0 geht, z.B. also eine ÄrztIn ausscheidet und nicht nachbesetzt werden kann, die nur 10 Wst. in der Einrichtung tätig war, obwohl in dem MVZ – im Maximalfalle – noch 11 Ärzte angestellt arbeiten.

Tatsächlich sind die Nachteile des Verlusts der Betreiberbefugnis gerade für die von Ärzten getragenen MVZ enorm und – wie bereits in unserem ersten Beitrag aufgeführt – im Ergebnis werden sie häufig desaströs sein. Sie liegen in den Friktionen begründet, die der Wechsel der Rechtsform von einer GmbH in eine Personengesellschaft v.a. steuerlich nach sich zieht und können, gerade wenn das MVZ noch Kredit finanziert arbeitet, die GmbH und ihre Gesellschafter wirtschaftlich in den Ruin treiben. Denn man kann eine GmbH eben nicht ohne erheblichen Beratungs- und Zeitaufwand in eine Personengesellschaft umwandeln, schon gar nicht ohne langen zeitlichen Vorlauf und noch dazu unter Umständen unterjährig. Da wirkt es geradezu naiv, wenn von den Gutachtern angeführt und von Wenner übernommen wird, die angestellten Ärzte könnten ja die Zulassungen übernehmen. Das können sie natürlich, aber damit werden sie noch nicht Gesellschafter der inzwischen in Liquidation befindlichen Trägergesellschaft, deren Gesellschafter die Werte zum Ankauf der Sitze einmal aufgebracht haben. Für sie bestehen keinerlei mit der erforderlichen Schnelligkeit umsetzbare Rechte, die nun zugelassenen Ärzte – einmal abgesehen von deren Interessen – zwangsweise zu Gesellschaftern zu machen bzw. zum Verzicht auf die Zulassungen zu Gunsten einer GbR in Gründung zu bewegen – schon gar nicht in den Bestands-MVZ, für die sich ja bis dato keinerlei Regelungsbedürfnis in dieser Richtung ergeben hat. Damit sind die Gesellschafterärzte in MVZ-GmbHen in ihrer verfassungsrechtlichen Position aus Art. 12 Abs. 1 GG sogar noch intensiver getroffen als institutionelle Träger, weil bei diesen das Risiko des Verlusts der Betreibereigenschaft keine Naturperson sondern eine Muttergesellschaft trifft, hinter der entweder die öffentliche Hand oder ein privater bzw. frei- gemeinnütziger Träger steht. Die Verfassung schützt indes in Art. 2, 12, 14 GG nicht primär den Inhaber einer Zulassung, sondern die unternehmerische bzw. freiberufliche Betätigung in allen zulässigen Betätigungsformen, sei es nun in Einzelpraxis, Personengesellschaft oder vermittels der Errichtung einer juristischen Person, die zudem als solche geschützt wird (Art. 19 Abs. III GG – dazu mit Blick auf MVZ: BVerfG, 1 BvR 1326/15, Rn. 21 f). Dieser Schutz ist unabhängig davon, ob ein Gesellschafter selbst in der Einrichtung tätig ist oder ob er Leistungen durch Angestellte erbringen lässt. Er dient auch nicht primär dem Interesse der Angestellten, deren schutzwürdige Belange arbeitsrechtlich abgesichert sind (vgl. oben).

Dass das Ganze (die Gesellschaft als Träger eines MVZ mit einer Mehrzahl von Versorgungsaufträgen) mehr ist als die Summe seiner Teile (der einzelnen Anstellungsgenehmigungen), erkennt die Verfassung unproblematisch an – während es den Akteuren im Vertragsarztrecht mitunter sehr schwer fällt, wie gerade wieder einmal zu beobachten ist: Die Rückumwandlungsmöglichkeit von Anstellungsgenehmigungen in Zulassungen nach Verlust der Betreibereigenschaft einer MVZ-GmbH ist nicht grundrechtsneutral, weil das Recht am Versorgungsauftrag vom bisherigen Inhaber – wie im Fall der Ausschreibung –  auf einen neuen Inhaber übertragen werden muss. Einmal unabhängig von dessen Interesse, überhaupt selbstständig tätig zu sein, führt dies unweigerlich zur Zerschlagung der Einrichtung. Deren auf Dritte übertragende „Teile“ sind regelmäßig wirtschaftlich erheblich weniger Wert als die bisherige Gesamtheit, eine auch im Bereich der Unternehmensbewertung völlig unstreitige Tatsache. Der bisherige Betreiber, der das MVZ aufgebaut und darin investiert hat, verliert allein durch die Verwertung nur der einzelnen „Zerschlagungsteile“ einen erheblichen Teil des Wertes des von ihm aufgebauten, wirtschaftlich ja völlig „gesunden“ Unternehmens. Dieser Wertverlust wird noch verstärkt, weil die Verwertung unter Zeitdruck erfolgen muss.

Das macht auch versorgungspolitisch wenig Sinn: Wer unter Druck einzelne Versorgungsaufträge „zu Geld machen muss“, ist nicht in der Lage, regional sinnvolle Versorgungsstrukturen zu erhalten oder mitzugestalten. Er muss seine Sitze „meistbietend“ losschlagen – läuft „privat equity“ geradezu in die Arme!

Versorgungspolitisch ist außerdem zu befürchten: Allein die mit einem etwaig drohenden Verlust der Betreiberbefugnis aufgezeigten Unwägbarkeiten für die Gesellschafter eines von Ärzten getragenen MVZ sind so enorm, dass sie – würde der Vorschlag umgesetzt – das Ärzte-MVZ als Einrichtungsform bei einer kritischen Größe von wenig mehr als drei vollen Versorgungsaufträgen schlicht indiskutabel macht. Gerade die MVZen dieser Größenordnung sind aber in der Praxis besonders leistungsstark: Denn die Fachkompetenz der Ärztegesellschafter gepaart mit deren bestehender wirtschaftlicher Verantwortung für die Einrichtung bei zugleich überschaubarem Gesellschafter- und Angestelltenkreis sind attraktiv für junge Kollegen: Weil die Ärztegesellschafter ein eigenes Interesse daran haben, dass die jungen Kollegen dienstleistungsorientiert, fachlich auf hohem Niveau und in einem motivierten Team zunächst angestellt arbeiten können – denn sie sollen häufig erst später die Gesellschaftsanteile der „Gründer“ übernehmen -, ist der Wille zur Einarbeitung der Jungen und zur echten Teambildung hier besonders hoch und die Lebensplanung der Jungärzte kann verwirklicht werden: Sie übernehmen die Gesellschafteranteile „ihres MVZ“ in einem Stadium, in dem sie privat „aus dem Gröbsten heraus“ sind und ihre Bindung an die Einrichtung bereits gefestigt ist. Die Gründung solcher MVZ zu erschweren oder zu unterbinden, ist deshalb absolut kontraproduktiv, gerade wenn die Gründung und der Betrieb institutioneller MVZen mit Argwohn betrachtet wird.

Weiterhin überraschen auch die Erwägungen mit dem Fokus auf Krankenhaus-MVZ. Hier wird die in den Raum gestellt, die kleineren MVZ dienten dem Erhalt nicht versorgungsrelevanter kleinerer Krankenhäuser und damit der Aufrechterhaltung einer ineffizienten Versorgung. Das wird allerdings nicht belegt. Aus der hier interessierenden rechtlichen Perspektive kann ohnehin nur interessieren, ob der Betrieb „kleiner“ MVZ materiell rechtmäßig verboten werden kann und welche Gründe die Auflösung bestehender MVZ tragen könnten, wenn sie unter die Schwelle der drei vollen Versorgungsaufträge fallen. Hier gilt jedoch – wie bereits erläutert: Die MVZ-GmbH ist Grundrechtsträger und von  Art.. 12 Abs. 1, 14 GG geschützt. Sie bewegt sich im Bereich der  verfassungsrechtlich geschützten Berufsausübungsfreiheit. Es müssten wenigstens vernünftige Erwägungen des Allgemeinwohls diese Regelungen zweckmäßig erscheinen lassen. Genau daran fehlt es aber: Denn allein die Schärfung des Profils der BAG gegenüber dem MVZ ist keine substanzielle zweckmäßige Erwägung zur Einschränkung einer Betätigungsform. Auch kann das mitunter strapazierte Argument nicht überzeugen, Wesenskern der „beruflichen Betätigung“ von Krankenhausträgern sei die stationäre Versorgung, sodass Beschränkungen im ambulanten Bereich lediglich nachrangig geschützte Randpositionen der beruflichen Betätigung dieser Versorger betreffen oder gar keinen Schutz genieße, weil nur eine Erweiterung der Berufsfreiheit versagt würde, was keinen Eingriff darstellt. Denn es bedarf nicht erst einer einfachgesetzlichen Erlaubnis, um in den Genuss der verfassungsrechtlich gewährleisteten Berufsfreiheit zu kommen. Schon der Ausschluss der Tätigkeit selbst ist, gleich ob früher oder aktuell möglich, ein rechtfertigungsbedürftiger Eingriff.

Folglich sind die Überlegungen von Wenner daraufhin zu überprüfen, ob sie andere Argumente liefern, die einen Ausschluss eines MVZ-Betriebes mit einem Umfang von einem bis 2,75 Versorgungsaufträgen begründen könnten.

Das erste Argument von Wenner zielt möglicherweise dahin, dass im Fall etwaiger altruistischer Tätigkeit von Krankenhäusern als MVZ-Betreiber der Eingriff durch einen Mindestumfang von 3,0 Versorgungsaufträgen schwerer zu rechtfertigen wäre. Das mag sein, trägt aber keine Rechtfertigung für die Beschränkung im Falle altruistischer Tätigkeit in sich. Ein Grundrechtseingriff in eigennütziges Handeln wird nicht dadurch gerechtfertigt, dass der gleiche Eingriff in fremdnütziges Handeln möglicherweise schwerer zu rechtfertigen wäre. Aus grundrechtlicher Perspektive gälte im Zweifel ohnehin das Gegenteil: Grundrechte zielen gerade auf den Schutz eigennützigen Handelns und erreichen dort ihre effektiv stärkste Durchschlagskraft, wenn das Handeln eigenem Nutzen und gesellschaftlich anerkannten Interessen dient. Darüber hinaus ist Wenner selbstverständlich zuzustimmen, dass Krankenhäuser MVZ nicht aus Altruismus, sondern auch und soweit betreiben, wie sie eigene Vorteile erwarten. Das ist allerdings kein Spezifikum, wie Wenner an anderer Stelle des Aufsatzes belegt, wenn er ausführt:

Das strategische Dilemma derjenigen, die von der Gesundheitswirtschaft leben – und teilweise sehr gut leben –, den Investoreneinfluss aber abwehren wollen, besteht nun darin, dass sie die fundamentale Kritik an jeder Kommerzialisierung des Gesundheitswesens zwar dankbar aufgreifen können, ihr aber auch nicht zu weit nachgeben dürfen, ohne die wirtschaftlich einträglichen eigenen Positionen zu gefährden. Also muss man argumentativ zwischen „gutem“ Geld in der Gesundheitsversorgung (Überschüsse aus vertrags(zahn)ärztlichen Praxen, Erlöse von Krankenhäusern <auch solchen in der Trägerschaft von Finanzinvestoren!>, Gehältern von leitenden Ärzten und Krankenhausmanagern) und „schlechtem“ Geld (Erträgen von investorengetragenen MVZ und deren Gewinnorientierung) unterscheiden. Das ist schwierig und wird nicht dadurch leichter, dass einflussreiche Protagonisten dieses Kurses genau wissen, dass es aus ökonomischer Sicht kein gutes oder schlechtes Geld im Gesundheitswesen gibt.

Krankenhäuser und deren MVZ mögen finanziell eigennützig handeln, für den freiberuflich niedergelassenen Arzt gilt aber nichts Anderes. Es ist das gute Recht einer Pflegekraft oder eines Arztes, eine Vergütung für professionelles Engagement zu erwarten und das in angemessener Höhe. Nichts Anderes gilt für eine Verwaltungskraft oder den Geschäftsführer eines MVZ. Ebenso kann ein Investor, der finanzielle Mittel für eine Gesundheitseinrichtung zur Verfügung stellt, eine Rendite erwarten. Diese Erwartung hat keine mindere Berechtigung als die Erwartung eines Arztes, der in den Erwerb, Technik und den Ausbau seiner Praxis investiert. Der springende Punkt liegt in der Frage der Angemessenheit und in der Frage, ob die Strukturen so ausgestaltet sind, dass der Eigennutz (idealerweise ausschließlich) gleichzeitig den größtmöglichen Nutzen für die Patienten und die größtmögliche Wirtschaftlichkeit der Versorgung bewirkt. Das wiederum hängt von den konkreten Zulassungs-, Qualitäts- und Vergütungsbedingungen ab sowie der organisatorischen Gestaltung der (Selbst-)Verwaltung. Hier führt das Gutachten von Ladurner (aaO S. 82 f) aus, es gäbe keine empirischen Belege für Unterschiede. Langjährige Beratungserfahrung mag nahelegen, dass das Ausmaß der Regeltreue tatsächlich nicht durchweg gleich ausfällt. Allerdings spricht wenig für eine Korrelation der Regeltreue mit dem Status eines Handelnden. Eher dürfte eine Korrelation mit der Größe festzustellen sein. Gleich ob in ärztlicher oder nicht-ärztlicher institutioneller Trägerschaft und gleich ob privat, konfessionell oder gemeinnützig: Je größer die Einrichtung, desto stärker – aber auch aufwändiger und damit wiederum kostenintensiver – fallen die Bemühungen um Regeltreue aus. Auch das ist zwar nur eine Beobachtung auf der Grundlage anekdotischer Erfahrung. Auf diese kommte es indes nicht an. Entscheidend ist alleine das Fehlen eines Indizes dafür,  dass zwar eine Tätigkeit mit drei Versorgungsaufträgen unbedenklich ist, aber eine Tätigkeit mit einer geringeren Zahl an Versorgungsaufträgen negative Effekte zeigt, die eine Untersagung rechtfertigen könnten. Auch lässt sich kein Umstand feststellen, warum die Versorgung durch einen einzelnen Arzt mit einem Angestellten und zwei Versorgungsaufträgen Vorzüge aufweist, welche ihm (unstrittig) die Tätigkeit erlauben kann, die für ein Krankenhaus-MVZ indes untersagt werden könnte.

Den weiteren Argumenten lassen sich ebenfalls keine Rechtfertigungsgründe entnehmen. Wenner stellt die These auf, dass Krankenhäuser MVZ betrieben, um Zuweisungen zu sichern, sektorenübergreifende Versorgung zu erreichen sowie eine effektive Nutzung von Ressourcen. Selbst wenn diese Annahmen zuträfen, lässt sich nicht erkennen, warum diese speziell für ein Verbot von ein bis 2,75 Versorgungsaufträgen streiten. Tatsächlich mögen damit Absichten von Krankenhausträgern beschrieben werden, alleine können sie nicht der vorrangige Zweck sein, selbst wenn dies der Wunsch wäre. Es gibt über 550 Millionen ambulante GKV-Behandlungsfälle mit 1 Milliarde Arztkontakten je Jahr (s. hier) und vor Corona über 16 Millionen GKV-Fälle (s. hier). Im Schnitt werden also aus nur rund 3% ambulanter Fälle stationäre Fälle. Folglich kann ein Krankenhaus mit einem MVZ, selbst wenn es nur die von Wenner benannten Einweisungs-Zwecke anstrebte, nur erreichen, wenn im Mittelpunkt der MVZ-Tätigkeit eine nachhaltige Versorgung (ausschließlich) ambulanter Fälle gestellt wird. Diese Notwendigkeit, sich auf originär ambulante Versorgung zu fokussieren, machte es noch weniger nachvollziehbar, warum speziell „kleine“ MVZ verboten werden könnten.

Ebenfalls nicht nachvollziehbar ist der angenommene Zusammenhang zwischen Krankenhausgröße und MVZ-Größe. Ob dieser Zusammenhang besteht, lässt sich auf Basis der vorhandenen Daten nicht ohne Weiteres falsifizieren oder verifizieren. Strukturell lässt sich jedenfalls feststellen, dass es aufgrund der Restriktionen im Zweigstellenrecht und Hemmnissen bei der Restrukturierung auch für große Krankenhäuser die unvermeidbare Notwendigkeit gibt, kleine MVZ-Einheiten zu betreiben und teils sogar gezielt zu kultivieren. Diese MVZ als „Kollateralschaden“ mit unzulässig werden zu lassen, erscheint nicht durchdacht.

Schließlich ist auf die Auswirkungen der Erhöhung der Mindestanzahl der Versorgungsaufträge auf das Binnenverhältnis zwischen angestellten Ärzten und Inhabern von MVZ einzugehen. Zu diesem hatten wir angemerkt, dass daraus eine unangemessene Machtverschiebung im Innenverhältnis folgen könnte. Wenner stellt hier die rhetorische Frage, was an einer solchen Machtverschiebung schlimm wäre. MVZ sollten für junge Ärzte in Anstellung interessant werden. Sie sollten der Behandlung der Patienten, nicht der Rendite von Krankenhäusern und Investoren dienen.

An diesen Erwägungen fällt erneut auf, dass MVZ in ärztlicher Inhaberschaft nicht vorkommen – trotz der statistischen Bedeutung vertragsärztlichen MVZ, die sich auch nicht durch BAG oder Einzelpraxen mit Anstellungen ersetzen lassen. Ob hier in gleicher Diktion die Machtverschiebung von Inhabern zu Angestellten begrüßt würde, erscheint fraglich. Wäre dem aber nicht so, erweisen sich auch die Argumente „gegen“ Krankenhäuser und Investoren als fraglich.

Unabhängig von dieser gewissen Einäugigkeit: Wie schon hervorgehoben, ist die entscheidende Frage, ob die „Machtverhältnisse“ in einem angemessenen Verhältnis austariert sind und die Aufgaben berücksichtigen, die jeweils wahrzunehmen sind. Folglich ist zu beachten, dass den Inhaber, gleich ob Arzt, Krankenhaus (ggf. wiederum in Hand eines Investors), das Investitionsrisiko trifft, das Betriebsrisiko und das Haftungsrisiko – gleich ob gegenüber der KV, Krankenkassen, Patienten oder Dritten. Vor diesen Risiken ist der Arbeitnehmer abgeschirmt. Folglich hat jedenfalls das Arbeitsrecht in langer Entwicklung und Tradition herausgearbeitet, dass konsequenterweise unternehmerische Entscheidungen alleine vom Arbeitgeber zu treffen sind. Wenn sie getroffen sind, besteht im großen Umfang ein Mitbestimmungsrecht, aber erst dann.

Nimmt man diese Abgrenzung des Arbeietsrechtes als Referenz, erscheine alle Strukturen problematisch, in denen der Angestellte beim MVZ auf solch unternehmerisch existenzielle Fragen wie die Fortbestand des MVZ Einfluss nehmen kann. Der Einfluss wäre dann auch so ausgreifend, dass es nicht nur über die laufende Rendite ging, sondern um den Erhalt der Investition als solche. Dann würden aber Sanktionspotenzial (=Untergang des Invest) und das Mittel, Vergütung bzw. Mitbestimmungsumfang des bzw. der angestellten MVZ-Ärzte, in keinen vernünftigen Zusammenhang stehen. Die Vergütung würden u. a. wegen des laufenden Gewinns, nicht als Prämie dafür bezahlt, den Selbstvernichtungsknopf nicht zu drücken. Ohnehin: warum es bei Niedergelassenen (Nicht-MVZ-)Ärzten selbstverständlich ist, dass diese, wie auch sonst Unternehmensinhaber/-träger eine angemessene Vergütung und konsequenterweise auch den Einfluss erhalten (darunter auch Krankenhausträger, Arzneimittelhersteller und Medizinproduktehersteller), das indes aber eben für MVZ nicht gelten soll, ist unverständlich. Die Konsequenz wäre, dass der Betrieb eben durch einen Krankenhausträger  (ggf. mit Investor) nicht sachgerecht möglich wäre. Vielmehr zielt die Argumentation darauf, diesen Betreibern durch die Hintertür die Bedingungen deutlich zu beeinträchtigen und damit auch den Ärzten als Inhabern. Erneut fehlt dafür dann aber – wie zuvor – der tragende Grund der Rechtfertigung.

Damit begründen die Punkte, die Wenner anspricht, dass eine Erhöhung der Anzahl der Mindestversorgungsverträge, gegen die wir uns ausgesprochen hatten, erst Recht nicht überzeugt. Wenners Überlegungen gaben Anlass, diese Auffassung noch zu vertiefen.

Positiv an den Ausführungen Wenners bleibt, dass er möglicherweise einen Hinweis gibt, welche Folgen die Unterschreitung der Mindestanzahl der Versorgungsaufträge hat. Diese Frage stellt sich heute für 1,0 Versorgungsaufträge, welche regelmäßig die aktuelle Mindestgrenze gelten. Nach dem Gesetzestext verbleiben 6 Monate Zeit zur Wiederherstellung, sofern der Mindestversorgungsumfang unterschritten ist. Das folgt aus der Bestimmung der 6-Monats-Frist in § 95 Abs. 6 Satz 3 SGB V. Dort ist diese Frist für alle Zulassungsvoraussetzungen gemäß § 95 Abs. 1a Satz 1 bis 3 SGB V vorgesehen. Dazu gehört auch der Umfang der Versorgungsaufträge, der aus dem Begriff des Zentrums  und dem Erfordernis der ärztlichen Leitung in Absatz 1 Satz 1 u. 1 SGB V abgeleitet wird (Pawlita in juris-PK SGB V, § 95 Rn. 149 mwN). Justitiare von K(Z)Ven sehen dies indes mitunter abweichend. Sie sehen von § 95 Abs. 6 Satz 3 SGB V nur die Gründereigenschaft erfasst, indes nicht die weiteren Gründungsvoraussetzungen. Hier führt Wenner en passant aus, dass § 95 Abs. 6 Satz 3 SGB V mit seiner 6-Monatsfrist auf den Fall der Unterschreitung der Anzahl der Mindestversorgungsverträge anwendbar ist (aaO SGb 2021, 593, 595).Am Rande sei außerdem anzumerken, dass die Autoren – anders als Wenner unterstellt – keine „anwaltlichen Berater“ von Krankenhäusern seien. Die Unterzeichnerin wie der Unterzeichner beraten teils überwiegend niedergelassene Ärzte teils niedergelassene Ärzte in gleichem Umfang wie Krankenhäuser. Ihnen ist deswegen die Situation aller Beteiligten aus der Innenperspektive wie der Außenperspektive bekannt und das über den Tellerrand des Vertragsarztrechtes hinaus auch im Gesellschafts- und Steuerrecht. Dementsprechend zielen die Überlegungen, wie ersichtlich, nicht auf eine bestimmte Klientel, sondern wollen den Blick dafür schärfen, welche Maßnahmen Leistungserbringern, gleich welcher Natur, darin befördern, tatsächliche Behandlungsbedarfe zu decken. Das sollte unter wettbewerblich fairen Bedingungen geschehen trotz typischen Unterschieden zwischen den Beteiligten. Mit dieser Perspektive gerät namentlich in Blick, dass die häufig reflexhaften Ablehnung der MVZ niedergelassene Ärzte ebenso in ihren Möglichkeiten der Versorgung beeinträchtigt und darunter gerade diejenigen am härtesten getroffen werden, die sich am erfolgreichsten im Wettbewerb der Träger behaupten. Auch fallen die vielen dogmatischen Brüche und Widersprüche auf, die sich zwischenzeitlich im Recht der Versorgungsformen des Vertragsarztrechtes ergeben haben. Dementsprechend wäre der Fokus zu erweitern, um mit Blick auf Patienten und das Wirtschaftlichkeitsgebot institutionenneutrale Formen zu schaffen, die Wachstum, Umgestaltung und gleichen Marktzugang im Rahmen einer institutionenneutralen Selbstverwaltung ermöglichen. An diesem Ziel gehen aktuell viele Regelungen vorbei – für Ärzte wie für Krankenhäuser, gleich ob in Einzelpraxis, (Ü)BAG oder MVZ. Hier zu meinen, dass mit MVZ – je nach Perspektive – der Untergang oder die Lösung aller Probleme verbunden sei, dürfe Beides in die Irre gehen. Versorgungsformen sind deswegen dringendst diskussions- und reformbedürftig, alleine dann mit Blick auf alle Formen und Beteiligten.

 

Dr. Ute Pittrof                                     Dr. Andreas Penner
Rechtsanwältin                                  Rechtsanwalt