Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes in einer Berufsausübungsge-meinschaft (BAG): Bestehen einer fortführungsfähigen Praxis, worauf kommt es an? Besprechung zum Urteil des BSG vom (B 6 KA 46/17 R)

 

Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes in einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG): Bestehen einer fortführungsfähigen Praxis, worauf kommt es an? Besprechung zum Urteil des BSG vom 27.06.2018 (B 6 KA 46/17 R)

Der Sachverhalt:

Im Verfahren vor dem BSG wurde um die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens im Umfang eines halben Versorgungsauftrags gestritten. Die Klägerin war Mitglied einer Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) aus zwei Fachärztinnen für Chirurgie, die beide mit vollem Versorgungsauftrag vertragsärztlich tätig waren. Ebenfalls in dieser BAG war vom 01.07.2011 bis zu seinem Tod am 19.05.2015 der Facharzt für Chirurgie, Dr. F mit vollem Versorgungsauftrag tätig, dessen Zulassung nachbesetzt werden sollte.

Mit Schreiben vom 08.01.2015 hatte Dr. F noch die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens beantragt und gleichzeitig alle Rechte im Bezug auf die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens an die Mitgesellschafterin Dr. Z abgetreten. Da Dr. F lange krank gewesen war, hatte er bereits in den Jahren 2012 bis 2014 sehr wenig gearbeitet: Die zuständige KV teilte auf Nachfrage des Zulassungsausschusses mit, dass Dr. F in den Quartalen I/2012 bis IV/2014 Fallzahlen zwischen 1 (IV/2014) und 132 (II/2014) hatte, im Mittel ohne das Quartal IV/2014 hatte er 76 Scheine. Die Durchschnittsfallzahlen der Fachgruppe in dieser Gruppe lagen zwischen 786 und 703 Scheinen. Herr F erwirtschaftete in den streitbefangenen Quartalen zwischen 3.483,00 € und 13,00 € im Quartal bei Durchschnittshonoraren der Fachgruppe zwischen 47.000,00 € und 40.000,00 €.

Fehlzeiten aus gesundheitlichen Gründen waren der KV erst für die Zeit vom 01.10.2014 bis 30.09.2015 gemeldet. Die Fallzahlen der gesamten BAG entsprachen in den Quartalen III/2014 bis III/2015 etwa dem dreifachen (2.159 Fälle) der durchschnittlichen Fallzahl eines Arztes der Fachgruppe in den Quartalen I/2012 bis IV/2014 (761,55 Scheine).

 

Der Verfahrensgang:

Der Zulassungsausschuss lehnte wegen der „unzureichenden Teilnahme“ von Dr. F an der vertragsärztlichen Versorgung mit Beschluss vom 09.12.2015 die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens für einen vollen Versorgungsauftrag ab und stimmte lediglich der Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens hinsichtlich eines halben Versorgungsauftrags zu.

Dagegen wurde Klage erhoben. Das SG hat die Klage mit Urteil vom 10.05.2017 abgewiesen. Die Klage sei zwar zulässig, die Klägerin habe aber keinen Anspruch auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens bezüglich eines weiteren halben Vertragsarztsitzes, weil es insofern an einer fortführungsfähigen Praxis fehle. Für die Beurteilung, ob eine fortführungsfähige Praxis zum Zeitpunkt des Antrags auf Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens bestanden habe, sei nicht auf die BAG als Ganzes abzustellen, sondern auf den Tätigkeitsumfang des Dr. F. Dieser sei bereits vor der Meldung seiner Erkrankung nur im Umfang von ca. 10% eines vollen Versorgungsauftrags tätig gewesen. Unbeachtlich sei, dass die BAG insgesamt die Fallzahlen aufgewiesen habe, die durchschnittlich bei drei Ärzten der Fachgruppe mit vollem Versorgungsauftrag angefallen seien. Zwar sei eine BAG als einheitliche Rechtspersönlichkeit anzusehen. Insbesondere im Bereich der Zulassung und damit auch im Nachbesetzungsverfahren sei aber auf den einzelnen Arzt und nicht auf die BAG als solche abzustellen. Auch in einer BAG bleibe der einzelne Arzt Träger der Zulassung. Nur er sei befugt, seine Vertretung zu regeln oder auch das Ruhen der Zulassung zu beantragen. Soweit eine entsprechende Vertretung nicht organisiert bzw. nicht das Ruhen beantragt worden sei, sei von einem Wegfall der Praxis auszugehen. Dieses Risiko bestehe für einen Arzt in einer BAG ebenso wie für einen allein tätigen Vertragsarzt. Dass nur auf den ausscheidenden Arzt abgestellt werden könne, ergebe sich auch aus dem Sinn und Zweck des § 103 Abs. 3a SGB V, in überversorgten Planungsbereichen die Überversorgung abzubauen. Würde allein an den Leistungsumfang der BAG angeknüpft, würde das Nachbesetzungsverfahren in Fällen wie hier gerade wieder der Ausdehnung des Versorgungsangebots dienen (Vgl. BSG vom 27.06.2018, Az: B 6 KA 46/17 R, http://www.bsg.bund.de, Randzahl 8 und 9). Durch die Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes, dessen Inhaber nur in geringem Umfang tätig gewesen sei und für den die übrigen Partner der BAG Leistungen mit erbracht hätten, könnte das Regelleistungsvolumen der BAG insgesamt gesteigert werden, ohne dass es zu einer Abstaffelung der Vergütung käme.

Die Klägerin begründete ihre Revision gegen das Urteil zum BSG wie folgt: Für die Frage, ob eine fortführungsfähige Praxis vorliege oder nicht, sei auf die BAG als Ganzes abzustellen. Allerdings sei die Nachbesetzung hier selbst bei einer Betrachtung alleine des Dr. F zu bejahen, weil trotz seines geringen Tätigkeitsumfangs in den Jahren 2012 bis 2014 ein Patientenstamm vorhanden sei, sodass ein Nachfolger unter den üblichen Bedingungen unmittelbar eine ärztliche Tätigkeit entfalten könne. Da die BAG-Partnerinnen von Herrn F die BAG fortgeführt hätten, könne hier an die gemeinsam ausgeübte Tätigkeit angeknüpft werden, wie das BSG dies fordere. Eine Ausdehnung der Leistungen der BAG in Folge der Praxisnachfolge sei im System der RLV ausgeschlossen, da an die Fallzahl des Arztes im Vorjahr angeknüpft werde. Die Fortführung der Praxis sei aus Versorgungsgründen gemäß § 103 Abs. 3a SGB V erforderlich.

 

Die Entscheidung des BSG:

Das BSG hat die Entscheidung des SG aufgehoben. Die Ablehnung der Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens im Umfang eines weiteren hälftigen Versorgungsauftrags sei rechtswidrig. Der beklagte Zulassungsausschuss habe unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.

Zwar habe das SG zu Recht entschieden, dass Voraussetzung für die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens das Bestehen einer fortführungsfähigen Praxis sei. Wenn auf Arztsitzen oder Arztstellen eine Versorgung nicht fortgeführt werden könne, weil kein Praxissubstrat mehr vorhanden sei, oder alle Ärzte gekündigt und die Praxisräume aufgegeben worden seien, fehle dort einem Nachbesetzungsverfahren die innere Rechtfertigung (BSG a.a.O., Randzahl 25 mit Verweis auf BSG vom 11.10.2017 – B 6 KA 27/16 R – SozR 4-2.500 § 95 Nr. 32).

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG könne die Ausschreibung und Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes in einer Einzelpraxis nur solange erfolgen, wie ein Praxissubstrat noch vorhanden sei. Für eine BAG gelte entsprechend, dass eine Anknüpfung an die gemeinsam ausgeübte Tätigkeit noch möglich sein müsse (BSG a.a.O., Randzahl 26 mit weiteren Nachweisen).

Gesichtspunkte zur Sicherung einer angemessenen vertragsärztlichen Versorgung seien in diesem Zusammenhang nicht von Bedeutung, weil das Nachbesetzungsverfahren nach § 103 Abs. 3a Satz 1, Abs. 4 Satz 1 SGB V ohnehin nur im Planungsbereich durchzuführen seien, die für die jeweilige Arztgruppe wegen Überversorgung gesperrt sind. Nach der gesetzlichen Konzeption sei in diesem Planungsbereich auch die Nachbesetzung von Vertragsarztsitzen im Grundsatz unerwünscht. Der Gesetzgeber lasse es mit den in § 103 Abs. 3a, 4 SGB V getroffenen Regelungen gleichwohl zu, dass ein bestehender – für die Versorgung nicht erforderlicher – Vertragsarztsitz nachbesetzt werden könne. Damit berücksichtige er die finanziellen Interessen des bisherigen Praxisinhabers bzw. seiner Erben. Weil typischerweise die Arztpraxis nicht veräußert werden könne, wenn der Erwerber den mit ihr verbundenen Sitz nicht erhalte, bedürfe es der Zulassung des Erwerbers. Nicht der Vertragsarztsitz, sondern die Arztpraxis sei veräußerbar. Wo keine Praxis mehr existiere, könne auch keine Nachbesetzung des ihr zugeordneten Vertragsarztsitzes mehr stattfinden. Diese würde ansonsten lediglich der Kommerzialisierung des Vertragsarztsitzes dienen, die vom Gesetzgeber nicht gewollt sei (BSG a.a.O., Randzahl 27 mit weiteren Verweisen). Eine vertragsärztliche Tätigkeit setze den (Mit-) Besitz von Praxisräumen, die Ankündigung von Sprechzeiten, die tatsächliche Entfaltung seiner ärztlichen Tätigkeit unter den üblichen Bedingungen sowie das Bestehen der für die Ausübung der ärztlichen Tätigkeit im jeweiligen Fachgebiet erforderlichen Praxisinfrastruktur voraus. Für eine BAG gelte entsprechend, dass eine Anknüpfung an die gemeinsam ausgeübte Tätigkeit noch möglich sein müsse (BSG, a.a.O., Randzahl 28 mit Verweis auf BSGE 115,57 = SozR 4-250 § 103 Nr. 13, Randnummer 33).

Ausgehend von diesen Kriterien sei für die Frage, ob eine für die Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes in einer BAG erforderliche fortführungsfähige Praxis bestehe, auf die BAG als Ganzes und nicht auf den einzelnen Arzt abzustellen. Da die BAG vertragsarztrechtlich als Rechtseinheit gesehen werde, sei maßgeblich, ob die BAG als solche fortgeführt werden könne. Die Genehmigung der gemeinsamen Ausübung vertragsärztlicher Tätigkeit bewirke, dass die Partner einer BAG ihre Leistungen unter einer gemeinsamen Abrechnungs-Nummer gegenüber der zuständigen KÄV abrechnen können; die BAG trete dieser dementsprechend wie ein Einzelarzt als einheitliche Rechtspersönlichkeit gegenüber. Sie stelle rechtlich gesehen „eine Praxis“ dar (BSG a.a.O., Randzahl 30 mit weiteren Nachweisen). Auch nach Einführung der lebenslangen Arztnummern, die die Zuordnung jeder einzelnen Behandlungsmaßnahme zu einem bestimmten Arzt ermögliche, werde die BAG weiterhin als Einheit betrachtet. Die Behandlung eines Patienten in einem Quartal durch verschiedene Mitglieder der BAG stellte sich als ein einziger Behandlungsfall dar. Auch die für die Vertrags-(zahn-)ärzte geltenden Vertretungsregelungen bezögen sich auf die Praxis als Gesamtheit; der Vertretungsfall trete nicht ein, solange auch nur ein Arzt der BAG weiterhin tätig sei. Aus dieser einheitlichen Betrachtung folge, dass die gesamte vertragsärztliche Infrastruktur der BAG und nicht einzelnen ihrer Mitglieder zuzuordnen sei. Da die BAG die personellen und sächlichen Mittel vorhalte, die zum Betrieb einer Praxis gehörten, könnte ein Nachfolger in der BAG jederzeit seine Tätigkeit aufnehmen. Für Patienten sei während des Bestandes der BAG erkennbar, dass am Praxisstandorte Versorgung stattfinde. Da es gerade charakteristisch für die BAG sei, dass die Person des Behandlers wechseln könne, stelle ein Mitgliederwechsel die kontinuierliche Versorgung auch aus der Perspektive des Patienten nicht in Frage. Die Anknüpfung an die BAG als Ganzes zu Beurteilung der Fortführungsfähigkeit der Praxis stehe nicht im Widerspruch dazu, dass Träger der vertragsärztlichen Zulassung nach § 95 Abs. 2, 3 SGB V der einzelne Arzt, nicht die BAG sei. Anders als das Medizinische Versorgungszentrum (MVZ) habe die BAG keinen eigenen Zulassungsstatus, ihr statusrelevanter Bescheid sei die Genehmigung nach § 33 Abs. 2 Zulassungsverordnung für Vertragsärzte. Die Rechtsprechung des Senats habe indessen den Status in verschiedener Hinsicht dem Zulassungsstatus des Arztes angenähert. Das komme besonders deutlich in der Nachbesetzungsentscheidung vom 11.12.2013 (BSGE 115, 57 = SozR 4-2.500 § 103 Nr. 13) zum Ausdruck. Die Berücksichtigung der Interessen der Partner einer BAG im Nachbesetzungsverfahren (§ 103 Abs. 6 Satz 2 SGB V) sei danach selbst dann geboten, wenn die BAG vorrangig mit dem Ziel gegründet wurde, Einfluss auf die Nachbesetzung eines frei werdenden Vertragsarztsitzes zu nehmen.

Das BSG wies den Fall zur Neubescheidung an den zuständigen Zulassungsausschuss zurück.

 

Anmerkung:

Der Ansicht des BSG ist im Ergebnis voll zuzustimmen. Sie ergibt sich nach Ansicht der Verfasserin allerdings bereits als Konsequenz aus der Rechtsnatur des Gesellschaftsanteils an einer Freiberuflergesellschaft. Diesen Aspekt lässt das BSG unberücksichtigt.

Richtig sieht das Gericht, dass die Nachbesetzung in überversorgten Planungsbereichen die finanziellen Interessen des bisherigen Praxisinhabers bzw. seiner Erben berücksichtigt. Weil die Arztpraxis nicht veräußert werden könne, wenn der Erwerber nicht auch den mit ihr verbundenen Sitz erhalte, bedürfe es der Zulassung des Erwerbers. Nicht der Vertragsarztsitz, sondern die Arztpraxis sei veräußerbar, meinte der Senat richtig.

Besteht eine BAG, so handelt es sich bei der Rechtsposition, deren Verwertung die Nachbesetzungsregelungen auch im gesperrten Planungsbereich ermöglichen sollen, um einen Gesellschaftsanteil. Der Ausscheidende war an einer GbR oder Partnerschaftsgesellschaft beteiligt, zu der er sich mit den verbleibenden Gesellschaftern verbunden hatte. Der Vermögenswert, dessen Realisierung letztlich durch die Nachbesetzungsmöglichkeit dem Arzt oder seinen Erben ermöglicht werden soll, ist deshalb de jure untrennbar mit dem Schicksal der Gesellschaft verbunden, in der er gesamthänderisch gebunden ist. Deshalb ist konsequenterweise bei der Frage, ob noch ein Substrat existiert, welches veräußerungsfähig ist, darauf abzustellen, ob die Ärztegesellschaft noch als lebende Gesellschaft existiert, mithin am Markt tätig ist oder nicht. Das prüft der Senat in der Sache, indem er darauf abstellt, dass die BAG die „personellen und sachlichen Mittel vorhalte, die zum Betrieb der Praxis gehören“ und weiter von Patienten angesteuert werde. Der Senat benennt aber zu keinem Zeitpunkt, dass sich diese Prüfung zwanglos aus der Verwertung eines Gesellschaftsanteils ergibt.

 

Dr. Ute Pittrof
Rechtsanwältin