Rückforderung Umsatzsteuer auf Zytostatika – anhängige Revisionsverfahren beim Bundesgerichtshof – Verhandlungstermin: 20.02.2019

 

Rückforderung Umsatzsteuer auf Zytostatika – anhängige Revisionsverfahren beim Bundesgerichtshof – Verhandlungstermin: 20.02.2019

Seit dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 24.09.2014 (Az.: V R 19/11) häufen sich die Verfahren privater Krankenversicherer gegen die Leistungserbringer zur Rückforderung der durch die PKV-Versicherten geleistete Umsatzsteuer auf patienten-individuell hergestellte, Zytostatika haltige und im Rahmen einer ambulanten Behandlung im Krankenhaus verabreichte Arzneimittel.

Zu den vorinstanzlichen Verfahren verweisen wir auf unsere Beiträge zu den klageabweisenden Urteilsbegründungen in der Gesetzlichen und Privaten Krankenversicherung.

Für drei solcher Verfahren sind nun Revisionen beim Bundesgerichtshof anhängig. Diese sind in der Pressemitteilung 167/2018 Pressemitteilung 167/2018 des Bundesgerichtshofs vom 17.10.2018 angekündigt worden. Diese sollen am 20.02.2019 mündlich verhandelt werden. Hierbei sieht das Gericht – was nicht zwingend wäre – einheitliche Sachverhalte – Zitat:

„Der unter anderem für das Kaufvertragsrecht zuständige VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in drei gleichgelagerten Verfahren Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt, denen jeweils folgender Sachverhalt zugrunde liegt:

… Bei der Abgabe der Medikamente an ambulant behandelte Patienten in den Jahren 2012 und 2013 stellten die Beklagten Rechnungen aus, die eine Umsatzsteuer in Höhe von 19 % auf den Abgabepreis auswiesen. Alle beteiligten Verkehrskreise gingen zum damaligen Zeitpunkt von einer entsprechenden Umsatzsteuerpflicht aus. Den als Umsatzsteuer ausgewiesenen Anteil der von den Patienten beglichenen Rechnungen führten die Beklagten an die zuständigen Finanzämter ab. Die Steuerbescheide der Beklagten aus der betreffenden Zeit sind bislang nicht bestandskräftig geworden…“

Diese Einschätzung in der Pressemitteilung könnte einen Hinweis auf die Entscheidungsabsichten sein. Denn nach der Instanzrechtsprechung würden die Unterschiede in den Sachverhalten, wie sie sich aus den angegriffenen Urteilen ergeben, zu differenzierten Ergebnissen zwingen. Es sei denn, man ginge zu Recht jeweils von einer billigen Ausübung des Bestimmungsrechtes im Sinne einer Bruttopreisvereinbarung aus und dies unabhängig von der Deklaration in der Rechnung, da gesetzlich nach § 14 Abs. 4 Nr. 8 UStG auch bei Bruttopreisvereinbarungen eine Ausweisung des Vergütungsanteils notwendig ist, der auf die Umsatzsteuer entfällt. Im Übrigen ist ausweislich der herangezogenen Normen die Problematik des Wegfalls des Vorsteuerabzuges offensichtlich ebenfalls präsent, was bei den Instanzgerichten, die zum Nachteil von Krankenhäusern entschieden hatten, regelmäßig nicht der Fall gewesen war. Auch dies mag ein Indiz für die Entscheidungsrichtung sein. Alleine ist insoweit anzumerken, dass zum Argument des Wegfalls der Bereicherung unberücksichtigt bleibt, dass der Vorsteueranteil nicht in Richtung des Finanzamtes „entreichert“ ist, sondern – irreversibel – in Richtung des Pharmahändlers oder Herstellers, von dem die Arzneimittel bezogen wurden.

 

Dr. Andreas Penner
Rechtsanwalt

 

Im Detail liegen den Entscheidungen folgende Sachverhalte und Begründungen zu Grunde:

LG Essen OLG Schleswig LG Aachen
Jahr der Veranlagung 2013 2012, 2013 2012, 2013
Ausweis USt auf Rezepten Nein; lediglich Bruttopreis als „Gesamt-Brutto“ aufgedruckt Nein; lediglich Bruttopreis als „Gesamt-Brutto“ aufgedruckt Keine Angaben
Ausweis USt auf Rechnungen nein; lediglich Ausweis des Endpreises als „Gesamt-Brutto“, weder Steuersatz noch Nettobeträge gesondert aufgeführt nein; lediglich Ausweis des Endpreises als „Gesamt-Brutto“, weder Steuersatz noch Nettobeträge gesondert aufgeführt ja, getrennt nach Netto- und Umsatzsteuerbeträgen, vgl. § 14 UStG
Bestandskraft Steuerbescheide Keine Angaben nein Keine Angaben

 

Urteilsbegründungen:

Landgericht Essen
Urteil v. 27.02.2018
Az.: 15 S 162/17
Vorinstanz: AG Gelsenkirchen (405 C 269/17)

Behandelte Patienten erhielten im Jahre 2013 sowohl Rezepte als auch Rechnungen. Die Rezepte enthielten als Entgelt einen „Gesamt-Brutto“-Betrag. Dieser kann hingegen im Vorhinein nicht bekannt gewesen sein, da es sich bei den Arzneimitteln um individuell hergestellte Medikamente handelte. Der Preis wird insofern wahrscheinlich nachträglich auf das Rezept aufgedruckt worden sein. Hieraus ergibt sich jedoch nicht zwingend, dass sich Patient und Beklagte auf einen Bruttopreis geeinigt haben.

Da die vertragsinhaltliche Einigung bereits im Vorhinein stattgefunden hat, kann sich aus den Rechnungen ebenfalls keine Vereinbarung hinsichtlich der Vergütung ergeben. Mithin können weder aus den Rezepten noch aus den ausgestellten Rechnungen Rückschlüsse auf etwaige Individualabsprachen in Bezug auf die Preisabrede gezogen werden.

Dies hat zur Folge, dass sich eine verbindliche Einigung über die Leistung (Verabreichung der Medikamente) feststellen lässt, jedoch keine solche über die Gegenleistung (Vergütung). Es sei jedoch unstrittig davon auszugehen, dass beiden Parteien die Pflicht zur Vergütung bekannt war, sodass sie sich zumindest stillschweigend darüber einig waren, dass einer Partei – hier der Beklagten – ein Leistungsbestimmungsrecht gemäß § 315 Abs. 1 BGB zustehen soll. Dieses Recht hat die Beklagte nach Auffassung des Gerichts nicht in unbilliger Weise ausgeübt, sodass dem Vertrag eine Bruttopreisabrede zugrunde liegt.

Ausführungen zur Bestandskraft des Steuerbescheides und zur Möglichkeit der steuerlichen Rückabwicklungen gegenüber dem Finanzamt sowie zum Wegfall der Vorsteuerabzugsberechtigung der Beklagten macht das Gericht nicht.

Oberlandesgericht Schleswig-Holstein
Urteil v. 20.12.2017
Az.: 4 U 69/17
Vorinstanz: LG Kiel (8 O 95/17)
Die Rechnungsdokumente wiesen einen „Gesamt-Brutto“-Preis aus. Der Wortlaut sei insoweit eindeutig, als „Gesamt-Brutto“ jedenfalls bedeutet, dass es sich beim festgesetzten Preis um den Preis einschließlich Umsatzsteuer handelt. Die Höhe der Nettobeträge und der Steuersatz wurden hingegen nicht gesondert ausgewiesen. Die Preisvereinbarung sei dahingehend auszulegen, dass die Parteien beiderseitig davon ausgingen, es falle der normale Steuersatz von 19% an. Ein Wille der Beklagten, den Gesamt-Brutto-Preis unabhängig vom Anfall einer Umsatzsteuer zu verlangen lässt dich dem Wortlaut „Gesamt-Brutto“ nicht entnehmen. Es liegt mithin kein Festpreis vor.

Bei der beidseitigen Annahme der Parteien einer Besteuerung der Arzneimittel in Höhe des üblichen Steuersatzes handele es sich um einen Irrtum, der einen typischen Fall des Fehlens der Geschäftsgrundlage darstelle. Es kann insofern Anpassung des Vertrages verlangt werden. Unter Abwägung beiderseitiger Interessen ist der Preis folglich um die darin enthaltene Steuer in Höhe von 19% zu mindern, § 313 Abs. 2 BGB.

Die Rückforderung der Umsatzsteuer gegenüber dem Finanzamt wäre zwar mit erheblichem Aufwand verbunden, sei jedoch nicht unzumutbar. Dem steht auch der Wegfall der Vorsteuerabzugsberechtigung nach § 15 Abs. 2 UStG nicht entgegen, denn es sei nicht ersichtlich, dass der Beklagten hierdurch solch große Nachteile entstehen, dass es gerechtfertigt wäre, die Versicherten der Klägerin dauerhaft mit einer unberechtigt berechneten Steuer zu belasten. Diese könnten die abgeführte Umsatzsteuer nämlich nicht zurückfordern, sondern ausschließlich die Beklagte als Steuerpflichtige.

Auch ein etwaiges Preisbestimmungsrecht der Beklagten nach §§ 315, 316 BGB steht alldem nicht entgegen, denn der Versicherte habe den von der Beklagten festgelegten Preis (Nettopreis zzgl. Umsatzsteuer) gebilligt. Es lag somit eine Einigung über die Vergütung vor (Nettopreisabrede).

Der Bereicherungsanspruch der Klägerin entfalle auch nicht nach § 818 Abs. 3 BGB, da die Umsatzsteuerbeträge aufgrund der bisher nicht bestandskräftigen Steuerbescheide aus den Jahren 2012 und 2013 noch vom Finanzamt gemäß § 37 Abs. 2 AO zurückgefordert werden können. Die Beklagte wäre damit fortwährend bereichert.

Landgericht Aachen
Urteil v. 09.02.2018
Az.: 6 S 118/17
Vorinstanz: AG Aachen (107 C 540/16)
Das Gericht nimmt eine Nettopreisvereinbarung zwischen den Vertragsparteien an. Dies bedeutet, dass die in den Jahren 2012 und 2013 abgerechnete Umsatzsteuer als rechtlich selbstständiger Teil des Gesamtpreises anzusehen ist, der in Abhängigkeit einer tatsächlichen Pflicht zur Besteuerung entweder einen Anspruch auf Umsatzsteuerzahlung oder – für den Fall der Umsatzsteuerfreiheit – schlicht keine Verpflichtung zur Zahlung von Umsatzsteuer begründet.

Zwar wäre keine ausdrückliche Vereinbarung getroffen worden, sodass grundsätzlich eine Bruttopreisabrede anzunehmen wäre. Jedoch haben die Parteien vorliegend gar keine Abrede über die Vergütung getroffen. Dem Verkäufer steht damit ein Preisbestimmungsrecht nach §§ 315, 316 BGB zu. Dies erstreckt sich auch auf die Besteuerung. Die Rechnungen sind aufgrund des getrennten Ausweises von Netto- und Umsatzsteuerbeträgen dahingehend auszulegen, dass der Rechnungsteller die Steuer bereits als selbstständigen Teil des Gesamtpreises deklarieren wollte. Ein Fall des § 14 Abs. 2 UStG lag nicht vor, sodass auch lediglich ein Ausweis eines „Gesamtpreises“ (Bruttopreis ohne gesonderte Angabe der Besteuerung) möglich gewesen wäre.Der Beklagten obliegt die vertragliche Nebenpflicht zur Rechnungskorrektur gemäß § 14c Abs. 1 S. 2, § 17 Abs. 1 S. 1 UStG. Sie kann die zu Unrecht abgeführte Umsatzsteuer mithin nach § 37 Abs. 2 AO vom Finanzamt zurückverlangen. Dies begründe einen Fortbestand der Bereicherung, § 818 Abs. 3 BGB ist nicht anwendbar.

Die Rechnungskorrektur sei der Beklagten auch nicht unzumutbar, da mit zu erfüllenden Nebenpflichten stets ein gewisser Verwaltungsaufwand verbunden wäre und eine außergewöhnliche Belastung mangels konkreten Vortrags nicht unterstellt werden kann. Vielmehr kann sich der Aufwand zur Rechnungskorrektur auf solche Abrechnungen beschränken, die Gegenstand bereicherungsrechtlicher Ansprüche seien.

Die Umsatzsteuerbescheide wären auch noch nicht bestandskräftig. Ferner seien die Ansprüche noch nicht verjährt, § 199 Abs. 1, 195 BGB, da die Frist erst mit Kenntnis des Anspruchsinhabers zu laufen beginne (Zeitpunkt des BFH-Urteils; vorher war eine Besteuerung Zytostatika haltiger Arzneimittel nicht höchstrichterlich geklärt).