BGH erklärt die GOÄ bei ambulanten ärztlichen Leistungen juristischer Personen für grundsätzlich zwingendes Preisrecht

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BGH erklärt die GOÄ bei ambulanten ärztlichen Leistungen juristischer Personen für grundsätzlich zwingendes Preisrecht

Urteil des Bundesgerichtshofs vom 4. April 2024 – III ZR 38/23

Vorinstanzen:                      

OLG Köln, 22. Februar 2023, 5 U 115/22

LG Köln, 24. August 2022, 25 O 256/21

Zusammenfassung:

Der Bundesgerichtshof hat durch Urteil vom 4. April 2024 entschieden, dass die GOÄ für die Vergütung der ambulanten beruflichen Leistungen eines Arztes anzuwenden ist, unabhängig davon, wer Vertragspartner des Patienten ist. Der in § 1 Abs. 1 der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) beschriebene Anwendungsbereich der GOÄ setze nicht voraus, dass Vertragspartner des Patienten ein Arzt sei, sondern dass die Vergütung für die beruflichen Leistungen eines Arztes geltend gemacht werde.

Die Frage, ob bei einem Behandlungsvertrag mit einer juristischen Person – zum Beispiel einer Krankenhausträger-GmbH – ambulante Leistungen durch Ärzte nach GOÄ abzurechnen sind, ist damit höchstrichterlich entschieden.

En passant stellt der BGH klar, dass die wirtschaftliche Aufklärungspflicht gemäß § 630c Abs. 3 Satz 1 BGB keine Hinweise des Behandlers dergestalt verlangt, dass andere gesetzliche Krankenkassen im Gegensatz zur Krankenkasse des Patienten die Behandlungskosten für den Eingriff übernehmen. Es besteht damit weiterhin keine Pflicht zur umfassenden wirtschaftlichen Beratung der Patienten (BGH a.a.O. Rn. 14 – juris).

Die Entscheidung ist aus Leistungserbringersicht vor dem Hintergrund der Rückständigkeit der GOÄ unglücklich, vor allem betreffend neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden. Sie unterstreicht den dringenden Reformbedarf der GOÄ.

I. Einschlägige, wesentliche Gesetze (Hervorhebung durch den Autor)

Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ)

§ 1 Anwendungsbereich

(1) Die Vergütungen für die beruflichen Leistungen der Ärzte bestimmen sich nach dieser Verordnung, soweit nicht durch Bundesgesetz etwas anderes bestimmt ist.

(2) Vergütungen darf der Arzt nur für Leistungen berechnen, die nach den Regeln der ärztlichen Kunst für eine medizinisch notwendige ärztliche Versorgung erforderlich sind. Leistungen, die über das Maß einer medizinisch notwendigen ärztlichen Versorgung hinausgehen, darf er nur berechnen, wenn sie auf Verlangen des Zahlungspflichtigen erbracht worden sind.

§ 2 Abweichende Vereinbarung

(1) Durch Vereinbarung kann eine von dieser Verordnung abweichende Gebührenhöhe festgelegt werden. Für Leistungen nach § 5a ist eine Vereinbarung nach Satz 1 ausgeschlossen. …

(2) Eine Vereinbarung nach Absatz 1 Satz 1 ist nach persönlicher Absprache im Einzelfall zwischen Arzt und Zahlungspflichtigem vor Erbringung der Leistung des Arztes in einem Schriftstück zu treffen. Dieses muss neben der Nummer und der Bezeichnung der Leistung, dem Steigerungssatz und dem vereinbarten Betrag auch die Feststellung enthalten, daß eine Erstattung der Vergütung durch Erstattungsstellen möglicherweise nicht in vollem Umfang gewährleistet ist. Weitere Erklärungen darf die Vereinbarung nicht enthalten. Der Arzt hat dem Zahlungspflichtigen einen Abdruck der Vereinbarung auszuhändigen.

Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

§ 125 Nichtigkeit wegen Formmangels

Ein Rechtsgeschäft, welches der durch Gesetz vorgeschriebenen Form ermangelt, ist nichtig. Der Mangel der durch Rechtsgeschäft bestimmten Form hat im Zweifel gleichfalls Nichtigkeit zur Folge.

§ 630c Mitwirkung der Vertragsparteien; Informationspflichten

(3) Weiß der Behandelnde, dass eine vollständige Übernahme der Behandlungskosten durch einen Dritten nicht gesichert ist oder ergeben sich nach den Umständen hierfür hinreichende Anhaltspunkte, muss er den Patienten vor Beginn der Behandlung über die voraussichtlichen Kosten der Behandlung in Textform informieren. Weitergehende Formanforderungen aus anderen Vorschriften bleiben unberührt.

§ 812 Herausgabeanspruch

(1) Wer durch die Leistung eines anderen oder in sonstiger Weise auf dessen Kosten etwas ohne rechtlichen Grund erlangt, ist ihm zur Herausgabe verpflichtet… 

II. Zum Sachverhalt

Der Kläger vereinbarte mit dem beklagten Universitätsklinikum schriftlich eine innovative Cyberknife-Behandlung wegen eines Prostatakarzinoms. Im Gegensatz zu anderen Krankenkassen lehnte die Krankenkasse des Klägers die Beteiligung an den Behandlungskosten ab. Die Beklagte informierte den Kläger über die Ablehnung der Kostenübernahme und teilte ihm mit, dass er für die Kosten selbst aufkommen müsse, wenn er die Cyberknife-Behandlung wünsche. Der Kläger unterzeichnete vor der Behandlung eine Erklärung, mit der er bestätigte, die anfallenden Kosten in Höhe von EUR 10.633,- zu tragen. Nach den Behandlungen zahlte der Kläger den Pauschal, nachdem der Kläger die Beklagte aufgefordert hatte, ihm eine ordnungsgemäße Rechnung nach der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) zu stellen. Nachdem der Kläger die gegen seine Krankenkasse erhobene sozialgerichtliche Klage auf Erstattung der Behandlungskosten auf richterlichen Hinweis zurücknahm, nahm er die Beklagte auf Rückzahlung des Pauschalbetrags in Anspruch. Die Beklagte habe ihn nicht darüber aufgeklärt, dass andere gesetzliche Krankenkassen die Kosten für die Behandlung übernähmen und die Kostenübernahmeerklärung widerspreche als Pauschalpreisvereinbarung den Bestimmungen der GOÄ.

Das Landgericht hat die Beklagte zur Rückzahlung des erhaltenen Honorars verurteilt, die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg. Das Berufungsgericht führte im Wesentlichen aus, dass der Kläger einen Anspruch auf Rückzahlung der Vergütung in Höhe von EUR 10.633,-  gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB habe, weil die Kostenübernahmeerklärung als Pauschalpreisvereinbarung wegen Verstoßes gegen § 2 Abs. 2 GOÄ gemäß § 125 BGB nichtig sei. Die umstrittene Frage, ob die GOÄ auf durch einen angestellten Arzt erbrachte ambulante Leistungen einer juristischen Person anwendbar sei, sei zu bejahen. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 GOÄ, der auf die beruflichen Leistungen der Ärzte abstelle und nicht zwischen selbständigen und angestellten Ärzten differenziere. Die Verordnungsbegründung, wonach die GOÄ nicht für Leistungen durch Einrichtungen (z.B. Krankenhäuser) gelte, könne nur noch eingeschränkt als Auslegungshilfe herangezogen werden. Es sei fernliegend, dass der Bereich ambulanter Behandlungen durch juristische Personen über Ärzte als Erfüllungsgehilfen nach dem Willen des Gesetzgebers ohne Regelungen zur Vergütungsgestaltung habe bleiben sollen. Auch die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung und der Verweis in § 17 Abs. 3 Satz 7 KHEntgG auf die GOÄ in entsprechender Anwendung für die Abrechnung von Wahlleistungen stünden einem weiten Verständnis des GOÄ-Anwendungsbereichs nicht entgegen. Es handele sich um ein für alle Ärzte zwingendes Preisrecht, das den Interessen der Ärzte und Patienten gleichermaßen Rechnung trage. Es sei deswegen nicht nachvollziehbar, warum die Interessen der Zahlungsverpflichteten weniger schutzwürdig und die Verpflichtungen der Entgeltberechtigten weniger regelungsbedürftig sein sollten, wenn der jeweilige Arzt von einer juristischen Person beschäftigt werde. Es werde eine Missbrauchsgefahr gesehen, wenn „allein durch die Gründung einer GmbH“ die GOÄ-Bindung „zum Nachteil von Patienten“ entfiele.

Dementgegen haben die Instanzengerichte die „prinzipielle“ GOÄ-Bindung von juristischen Personen hinsichtlich ärztlicher Behandlungsleistungen bislang abgelehnt (s. z.B. LG Duisburg, Urteil vom 15.12.2022, 12 O 190/21, Rn. 16 ff. m.w.N.).

III. BGH-Entscheidung

Der BGH bestätigt mit der hier besprochenen Entscheidung, dass die GOÄ auch auf die streitgegenständliche Behandlung der Beklagten und damit grundsätzlich auf die Abrechnung ambulanter ärztlicher Leistungen, die nicht von Ärzten abgerechnet werden, zwingend anzuwenden ist:

Zutreffend habe das Berufungsgericht angenommen, dass der Kläger einen bereicherungsrechtlichen Anspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB auf Rückzahlung der Behandlungskosten habe, weil die Pauschalpreisvereinbarung mit § 2 Abs. 1, 2 GOÄ unvereinbar und deshalb gemäß § 125 Satz 1 BGB beziehungsweise § 134 BGB nichtig sei.

Entgegen der Auffassung der Revision unterfielen die erbrachten ambulanten ärztlichen Leistungen dem GOÄ-Anwendungsbereich. Dieser setze in § 1 Abs. 1 GOÄ nicht voraus, dass Vertragspartner des Patienten ein Arzt sei, sondern dass die Vergütung für die beruflichen Leistungen eines Arztes geltend gemacht werde.

Die Ansicht, nach der die GOÄ nicht einschlägig sei, weil Adressaten der GOÄ ausschließlich Ärzte als Vertragspartner des Patienten aus dem Behandlungsvertrag im Sinne des § 630a Abs. 1 BGB seien, überzeuge nicht. Dagegen spreche nicht nur der weit gefasste Wortlaut von § 1 Abs. 1 GOÄ, sondern auch – und vor allem – der Sinn und Zweck der in der GOÄ enthaltenen Regelungen. Nicht entscheidend sei, ob der Patient den Behandlungsvertrag über die Erbringung ambulanter Leistungen unmittelbar mit dem Arzt oder mit einer juristischen Person abschließe. Bei der ärztlichen Gebührenordnung handele es sich um ein für alle Ärzte geltendes zwingendes Preisrecht Eine bundesgesetzliche Regelung, die eine andere Bestimmung zur Abrechnung vorsehe und damit einer GOÄ-Abrechnung entgegenstehe, existiere nicht. Insbesondere handelt es sich nicht um eine stationäre Krankenhausbehandlung, für die ein anderes Preisrecht in Betracht komme.

Aus § 11 Satz 1 der Bundesärzteordnung (BÄO), der Ermächtigungsgrundlage zur GOÄ, folge nichts Abweichendes. Allein dieses weite Verständnis des Anwendungsbereichs der GOÄ werde deren Sinn und Zweck gerecht, der darin besteht, einen angemessenen Interessenausgleich herbeizuführen zwischen denjenigen, die die Leistung erbringen, und denjenigen, die zu ihrer Vergütung verpflichtet sind. Die GOÄ verfolge somit als öffentlich-rechtliches Preisrecht das Ziel, für die Leistungserbringer auf Grund angemessener Einnahmen die zuverlässige Grundlage für die Erbringung sorgfältiger hochwertiger ärztlicher Leistungen zu sichern, und bezwecke andererseits, eine unzumutbare finanzielle Belastung der Patienten und Kostenträger zu verhindern. Deswegen könne ausgeschlossen werden, dass die Liquidation ambulanter ärztlicher Leistungen, zu deren Erbringung sich nicht ein Arzt, sondern eine juristische Person verpflichtet, unreguliert bleiben sollte. Diese Auffassung liege auch dem Urteil des Senats vom 12. November 2009 (III ZR 110/09, BGHZ 183, 143 Rn. 8 f) zugrunde, wonach lediglich Vereinbarungen zwischen Krankenhausträgern und niedergelassenen Ärzten über deren Zuziehung im Rahmen allgemeiner Krankenhausleistungen nicht den Vorschriften der GOÄ unterliegen soll. Sowohl die Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung gemäß § 4 Abs. 2 Satz 1 GOÄ als auch die Verweisung in § 17 Abs. 3 Satz 7 KHEntgG auf die entsprechende Anwendung der GOÄ für die Berechnung wahlärztlicher Leistungen könnten das weite Verständnis des GOÄ-Anwendungsbereichs nicht in Frage stellen. Die von einem Arzt erbrachten ambulanten Behandlungsmaßnahmen seien der juristischen Person zuzurechnen, so dass die Voraussetzungen einer persönlichen Leistungserbringung im Sinne des § 4 Abs. 2 Satz 1 GOÄ erfüllt seien und § 17 Abs. 3 Satz 7 KHEntgG regele lediglich die Abrechnung wahlärztlicher Leistungen neben allgemeinen Krankenhausleistungen bei (teil-)stationärer Behandlung, letzteres ohne Aussage hinsichtlich ambulanter Leistungen.

Die streitgegenständliche Rechnung eines Pauschalhonorars entspreche ferner nicht den Vorgaben des vorliegend also anwendbaren § 2 Abs. 1, 2 GOÄ und sei deshalb gemäß § 125 Satz 1 BGB bzw. § 134 BGB nichtig.

Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 GOÄ dürfe ferner lediglich eine abweichende Gebührenhöhe festgelegt werden und die Vereinbarung einer abweichenden Punktzahl (§ 5 Abs. 1 Satz 2 GOÄ) oder eines abweichenden Punktwerts (§ 5 Abs. 1 Satz 3 GOÄ) sei unzulässig. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 GOÄ bedürfe es zur Wirksamkeit der abweichenden Honorarvereinbarung der individuellen Absprache im Einzelfall zwischen Arzt und Zahlungspflichtigem, die in einem Schriftstück zu treffen ist, dass die Nummer und Bezeichnung der Leistung, den Steigerungssatz und den vereinbarten Betrag enthalten muss (§ 2 Abs. 2 Satz 2 GOÄ). Insbesondere sei deswegen  die GOÄ nicht zugunsten eines Pauschalhonorars abdingbar. Eine Pauschalhonorarvereinbarung sei mithin nichtig, wobei vorliegend dahinstehen könne, ob nach § 125 Satz 1 BGB oder § 134 BGB.

Die Beklagte könne das Pauschalhonorar auch nicht mit dem Einwand rechtfertigen, dass die Cyberknife-Bestrahlung bislang in der GOÄ nicht aufgeführt ist. Gemäß § 6 Abs. 2 GOÄ könnten selbständige Leistungen, die nicht in das GOÄ-Gebührenverzeichnis aufgenommen sind, entsprechend einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses berechnet werden (zB Abschnitt O: Strahlendiagnostik, Nuklearmedizin, Magnetresonanztomographie und Strahlentherapie). Entgegen der Auffassung der Revision verstoße die Berufung des Klägers auf die Unwirksamkeit auch nicht gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB). Das Berufungsgericht habe die Annahme eines schlechthin untragbaren Ergebnisses zutreffend daran scheitern lassen, dass die Beklagte die durchgeführte Cyberknife-Behandlung nicht – wenigstens hilfsweise – auf der Grundlage des Gebührenverzeichnisses zur GOÄ gemäß § 6 Abs. 2 GOÄ im Wege der Analogie zu vorhandenen Gebührennummern abgerechnet habe, obwohl sie der (zahlungswillige) Kläger mit Anwaltsschreiben vom 5. Juli 2020 ausdrücklich dazu auffordern ließ.

 

Dr. Felix Reimer, LL.M. (Medizinrecht)
Fachanwalt für Medizinrecht