Aktuelle BSG-Entscheidung zur ärztlichen Leitung eines MVZ –
HVM-Regelung zum Unterzeichnungserfordernis der Quartalsabrechnung durch den ärztlichen Leiter sowie keine „Schonfrist“ nach § 95 Abs. 6 S. 3 SGB V bei fehlender ärztlicher Leitung
Das BSG (Az.: B 6 KA 15/22 R) hat ausweislich seines Terminberichtes am 13.12.2023 entschieden, dass eine beklagte Kassenärztliche Vereinigung (hier: Nordrhein) die Honorarbescheide einer MVZ GmbH im Rahmen der sachlich-rechnerischen Richtigstellung zutreffend mit Wirkung für die Vergangenheit aufgehoben und das gewährte Honorar vollständig zurückgefordert habe, weil die eingereichten Sammelerklärungen zu den Abrechnungen nicht von einem ärztlichen Leiter des Medizinischen Versorgungszentrums unterzeichnet waren.
Nach dem BSG handele es sich bei der Regelung im Honorarverteilungsmaßstab der beklagten KV nicht um ein bloßes Formerfordernis. Vielmehr ließe die ordnungsgemäße Abrechnungs-Sammelerklärung erst den Anspruch auf Vergütung der erbrachten Leistungen entstehen.
Ferner sähe § 95 Abs. 6 S. 3 SGB V für den Fall, dass dem Medizinischen Versorgungszentrum eine ärztliche Leitung fehlt, gerade keine “Schonfrist“ von sechs Monaten vor, weswegen auch kein Wertungswiderspruch zwischen dem Unterschriftserfordernis und den Regelungen zur Entziehung der Zulassung bei einem Medizinischen Versorgungszentrum festzustellen sei.
Das BSG hat mit dieser Entscheidung die Rolle des ärztlichen Leiters in MVZ besonders hervorgehoben. Insbesondere dessen lückenlose Verfügbarkeit hat das BSG – en passant – verlangt. Für MVZ-Betreiber gilt es daher die betrieblichen Abläufe hinsichtlich Verfügbarkeit und Vertretermanagement für ihre ärztliche Leitung ggf. anzupassen und Compliance-Systeme dahingehend im Blick zu halten.
Hierzu zählen u.a.:
- Unterschriftenerfordernisse für die Sammelerklärungen,
- Beachtung der Verwaltungspraxis der zugehörigen KV betreffend die Anerkennung von Vertreterbenennungen oder möglicher Mehrfachbenennungen von ärztlichen Leitern,
- arbeitsrechtliche Vorsorge für Vertreterverfügbarkeiten.
Zu den Einzelheiten dieses – in seinen Rechtsfolgen für MVZ einschneidenden – Terminberichts des BSG berichten wir nachstehend wie folgt:
I. Einleitung
Gegenstand der Entscheidung ist die Frage, ob ein ärztlicher Leiter die zur Quartalsabrechnung gehörige Sammelerklärung unterzeichnen muss. „Mitentschieden“ hat das BSG zur Frage, ob und inwieweit Unterbrechungen bei der Verfügbarkeit eines ärztlichen Leiters unschädlich sind:
- Mit Blick auf die Einreichung der Quartalssammelerklärung können Honorarverteilungsmaßstäbe mitunter Regelungen enthalten, die für Medizinische Versorgungszentren vorsehen, dass die für ein Quartal einzureichende Sammelabrechnung von dem ärztlichen Leiter des MVZ zu unterzeichnen ist. Dies wird bisher von den Kassenärztlichen Vereinigung unterschiedlich gehandhabt. Nicht jeder HVM sieht eine solche Regelung vor.
- Bisher ebenfalls nicht höchstrichterlich entschieden war die Frage, ob der Wegfall des ärztlichen Leiters eines MVZ unter die „Schonfrist“ von 6 Monaten fallen würde. Diese Schonfrist für MVZ ist in § 95 Abs. 6 S. 3 SGB V geregelt. Die Regelung sieht vor, dass einem medizinischen Versorgungszentrum die Zulassung auch dann zu entziehen ist, wenn die Gründungsvoraussetzungen des Absatzes 1a Satz 1 bis 3 länger als sechs Monate nicht mehr vorliegen. Mit dieser Regelung wird einem MVZ daher die Möglichkeit eingeräumt seine Gründungsvoraussetzungen innerhalb von 6 Monaten wiederherzustellen, bevor die Zulassung zu entziehen wäre.
II. Gegenstand der Entscheidung/ Verfahrensgang
In dem vom BSG zu entscheidenden Fall war eine Honorarrückforderung eines in der Rechtsform einer GmbH betriebenes MVZ im Streit.
Nachdem die beklagte Kassenärztliche Vereinigung festgestellt hatte, dass die Sammelerklärungen zu den Honorarabrechnungen für die Quartale 2/2013 und 3/2013 von dem Geschäftsführer der Klägerin und nicht – wie im Honorarverteilungsmaßstab vorgesehen – von dem ärztlichen Leiter des Medizinischen Versorgungszentrums unterschrieben worden waren, hob sie die betreffenden Honorarbescheide auf und forderte das gesamte Honorar für die beiden Quartale zurück.
Widerspruch, Klage und Berufung der MZV GmbH sind ohne Erfolg geblieben. Das Landessozialgericht hat zur Begründung ausgeführt, die Beklagte habe eine sachlich-rechnerische Richtigstellung vornehmen dürfen, da die Abrechnungen der Leistungen aufgrund der fehlenden Unterschrift des ärztlichen Leiters auf der Sammelerklärung formal fehlerhaft gewesen seien. Das im Honorarverteilungsmaßstab geregelte Unterschriftserfordernis sei mit höherrangigem Recht vereinbar. Der ärztliche Leiter trage die Verantwortung für die ärztliche Steuerung der Betriebsabläufe im Medizinischen Versorgungszentrum und die Gesamtverantwortung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung. Hierzu gehöre die volle Verantwortung für die Erstellung und Kontrolle der Abrechnung. Es liege daher nahe, ihm die Verantwortung für die Sammelerklärung zu übertragen. Dies gelte auch bei einer GmbH als Trägergesellschaft. Deren Geschäftsführer werde durch die Unterschriftsleistung des ärztlichen Leiters unter die Sammelerklärung nicht aus seiner gesetzlichen Vertretung nach § 35 Absatz 1 GmbHG verdrängt.
Dagegen wendete sich die Klägerin mit ihrer Revision und rügte eine Verletzung des § 87b Absatz 1 Satz 2, Absatz 2 SGB V.
III. Zusammenfassung Terminsbericht des BSG
Ausweislich des Terminsberichts blieb die Revision der klagenden MVZ GmbH erfolglos. Das BSG bestätigte die Entscheidung des LSG. Das BSG fasst seine tragenden Erwägungen im Terminbericht wie folgt zusammen:
Bei der Regelung zum Unterschriftenerfordernis durch den ärztlichen Leiter im HVM der beklagten KV handele es sich nicht um ein bloßes Formerfordernis. Vielmehr ließe die ordnungsgemäße Abrechnungs-Sammelerklärung erst den Anspruch auf Vergütung der erbrachten Leistungen entstehen. Angesichts der Verantwortung des ärztlichen Leiters für die ärztliche Steuerung der Betriebsabläufe sowie seiner Gesamtverantwortung gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung begegne es keinen Bedenken, wenn der Honorarverteilungsmaßstab die Unterschrift des ärztlichen Leiters unter die Sammelerklärung verlangt.
Die Unterzeichnung durch den ärztlichen Leiter ersetze die in einer Einzelpraxis von dem Vertragsarzt zu leistende Unterschrift. Anders als der nicht ärztliche Geschäftsführer verfüge der ärztliche Leiter eines Medizinischen Versorgungszentrums – über die erforderliche medizinische Fachkompetenz, um beurteilen zu können, ob die von den einzelnen Ärzten angegebenen Behandlungsvorgänge Grundlage für eine korrekte Quartalsabrechnung sind.
Die Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers aus § 35 Absatz 1 Satz 1 GmbH-Gesetz werde durch das Unterschriftserfordernis im Honorarverteilungsmaßstab nicht berührt, weil dieses schon keine gesellschaftsrechtliche Vertretungsregelung darstelle.
Ein unverhältnismäßiger Eingriff in das verfassungsrechtlich geschützte Recht des Medizinischen Versorgungszentrums auf Honorierung seiner Leistungen läge nicht vor. Bei zeitweiser Verhinderung des ärztlichen Leiters könne etwa ein Vertreter bestellt oder die Sammelerklärung innerhalb der im Honorarverteilungsmaßstab bestimmten Jahresfrist nachgereicht werden.
Zudem führte das BSG aus, dass zwischen dem Unterschriftserfordernis und der Regelungen zur Entziehung der Zulassung bei einem Medizinischen Versorgungszentrum nach § 95 Absatz 6 Satz 3 SGB V kein Wertungswiderspruch bestehe. Denn diese Norm sähe für den Fall, dass dem Medizinischen Versorgungszentrum eine ärztliche Leitung fehlt, gerade keine “Schonfrist“ von sechs Monaten vor.
Letztlich bestehe auch kein Schätzungsermessen wegen vorsätzlich oder grob fahrlässig falscher Angaben in der Abrechnungs-Sammelerklärung, weil ohne eine von dem ärztlichen Leiter unterschriebene Erklärung bereits kein Anspruch auf Honorar bestünde.
IV. Praktische Folgen für MVZ-Betreiber
Ob die Überlegungen des Bundessozialgerichtes überzeugen, ist zweifelhaft. Angemerkt sei, dass der gesetzliche Befund zu „ärztlichen Leitungen“ in MVZ und zu „ärztlichen Leitungen“ von Krankenhäusern, legt man nur die einschlägigen Bestimmungen im Wortlaut nebeneinander, keineswegs unähnlich ist. Die Rechtsfolgen, die aus den durchaus ähnlichen Bestimmungen abgleitet werden, driften aber immer weiter auseinander, ohne dass man feststellen könnte, dass es sachliche Gründe gibt, die dieses Auseinanderfallen rechtfertigen könnten. Dies zeigt, dass die Auslegung keineswegs zwingend ist, sondern schlichten rechtspolitischen Überlegungen – und damit genau genommen der Überschreitung von inhärenten Auslegungsschranken – geschuldet ist. Auch ist diese Entwicklung kritisch. Die Verantwortlichkeiten nach außen nehmen zu und das in einer Gestaltung, welche es im Innenverhältnis erschwert, ärztliche Leitungen in die Gesamtverantwortung zu nehmen. Zunehmend autonome Aufgabenwahrnehmung im Außenverhältnis führt im Innenverhältnis zu Rechten ohne Pflichten. Das ist dysfunktional und grundlegend abweichend von den Binnenverhältnissen einer Berufsausübungsgemeinschaft wie auch denjenigen eines Krankenhauses. Warum man meint, mit der Abweichungen von diesen jeweils eingeübten Grundkonzepten etwas Sinnhaftes zu tun, erschließt sich den Erwägungen bisher nicht.
Jenseits dieser Einschätzung zu der grundsätzlichen Entwicklungstendenz bedeutet dies für die Praxis Folgendes:
Hinsichtlich der konkreten Auswirkungen der Auslegung des BSG zur „Schonfrist“ aus § 95 Abs. 6 S. 3 SGB V, werden die Urteilsgründe noch im Detail abzuwarten sein. Ohne Geltung der Schonfrist nach § 95 Abs. 6 S. 3 SGB V führt der Wegfall der ärztlichen Leitung aber jedenfalls zu einem unmittelbaren Entzugsrisiko hinsichtlich der MVZ-Zulassung. Denn aus dem Terminsbericht folgt damit, dass MVZ-Betreiber umso nachhaltiger für eine lückenlose Verfügbarkeit von ärztlichen Leitern sorgen müssen. Besonderes Augenmerk sollte daher auch auf das Vertretungsmanagement gelegt werden. Hierfür ist wiederum zu beachten, dass die Praxis von KV zu KV im Hinblick auf die etwaige Möglichkeit, mehrere ärztliche Leiter und/oder Vertreter zu bestellen, unterschiedlich ausfällt. Bei Unklarheiten sollte diese also präzisiert werden und sodann zur Vermeidung von Beeinträchtigungen und Abhängigkeiten im Zweifel eher ein zusätzlicher Leiter und Vertreter zu viel als zu wenig bestellt werden. Damit verbunden ist die Empfehlung, im Rahmen der arbeitsvertraglichen Gestaltung, optionale Verpflichtungen zur Funktionsübernahme vorzusehen. Soweit dann mehre Leiter/Vertreter bestellt werden können und bestellt wurden, sind sodann zwecks Sicherung der Eindeutigkeit der Verantwortung Geschäftsordnungen vorzusehen, die bestimmen, wer für was tatsächlich zuständig ist. Damit lässt sich dann auch das Auseinanderfallen von Pflicht nach außen und Verantwortlichkeit im Innenverhältnis mildern.
Außerdem sind die jeweiligen HVM-Regelungen des einschlägigen KV-Bezirkes bezüglich Unterschriftenerfordernisse genau zu beachten und im Auge zu behalten. Zu berücksichtigen ist insoweit auch, dass die Fristen für Nachreichungen und Korrekturen nicht überall in gleicher Weise großzügig ausgestaltet sind. Mit Blick auf die vorliegende BSG-Entscheidung könnte es weiterhin möglich sein, dass solche KVen, die bisher noch keine ausdrückliche Regelung hierzu in ihren HVM vorgesehen habe, ein solchen Unterschriftenerfordernis nunmehr einführen.
Franziska Bode, LL.M. (Medizinrecht) Prof. Dr. Andreas Penner
Rechtsanwältin Rechtsanwalt