Aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 09.04.2019 krankenhausrelevante Entscheidungen in den folgenden Verfahren getroffen. Die Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor. Grundlage der folgenden Ausführungen sind die Terminsberichte und die Entscheidungsgründe der Vorinstanzen, soweit diese zugänglich sind.
Gegenständlich waren die folgenden Verfahren:
1. B 1 KR 2/18 R – Voraussetzungen Transkatheter-Aortenklappenimplantation (TAVI)
2. B 1 KR 27/18 R – Nephrostomiekatheter als Implantat im Sinne der ICD T83.5
3. B 1 KR 17/18 R – Versorgungsauftrag für Knie-TEP in Bayern
4. B 1 KR 3/18 R – Fälligkeit und Verfahrenskostenlast bei abweichender Kodierung
5. B 1 KR 5/18 R und B 1 KR 5/19 R – Erstattung der Umsatzsteuer für individuell hergestellte Arzneimittelzubereitung
1. B 1 KR 2/18 R
Zusammenfassung
Die Durchführung einer Transkatheter-Aortenklappenimplantation (TAVI) ist keine Maßnahme, die dem Spektrum der Grundversorgung als Kategorie der Bayerischen Krankenhausplanung zuzuordnen ist.
Sachverhalt und Entscheidung
Kern des Streits in der Sache B 1 KR 2/18 R war die Rechtsfrage, ob die Vornahme einer Transkatheter-Aortenklappenimplantation (TAVI) im Jahr 2010 vom Versorgungsauftrag eines Krankenhauses der 1. Versorgungsstufe im Krankenausplan Freistaat Bayern erfasst ist. Das betreibt klagende Krankenhaus u.a. die Fachabteilung Innere Medizin.
Zuvor hatten das Sozialgericht und Landessozialgericht den Versorgungsauftrag für TAVI und damit den Vergütungsanspruch des Krankenhauses verneint. Das LSG war der Auffassung, dass ein solcher Eingriff aufgrund der hohen Qualitätsvorgaben – unabhängig, ob diese vorliegend erfüllt waren – der Schwerpunktversorgung der höheren Versorgungsstufen vorbehalten bleiben muss, um die von der Krankenhausplanung intendierten Strukturqualität sicherzustellen.
Das Bundessozialgericht hat die Revision des klagenden Krankenhauses zurückgewiesen. Begründend führt der erkennende 1. Senat aus, dass das LSG den Begriff der Grundversorgung zutreffend dahingehend ausgelegt habe, dass medizinisch höchst anspruchsvolle und risikoreiche Eingriffe der Herzmedizin, wie die TAVI, aufgrund der hohen Qualitätsvorgaben der Schwerpunktversorgung der höheren Versorgungsstufen vorbehalten sind.
Einordnung
Krankenhäuser der Versorgungsstufe 1 dienen nach den Grundsätzen der Bayerischen Krankenhausplanung der akutstationären Grundversorgung. Die Vornahme einer TAVI dürfte tatsächlich nicht dem Bereich der Grundversorgung zuzuordnen sein. Zur Versagung des Vergütungsanspruchs hätte es keines Rückgriffs auf die Vorgaben der Krankenhausplanung und damit der Reichweite des Versorgungsauftrages bedurft. Denn Leistungen, bei deren Vornahme der Mindeststandard unterschritten wird oder von vornherein aus personellen, apparativen oder strukturellen Gründen nicht eingehalten werden kann, sind nicht ausreichend im Sinne des § 12 Abs. 1 SGB V und mithin nicht vergütungsfähig. Der dogmatisch unzutreffende und unnötige Rückgriff auf Aspekte der Krankenhausplanung wird hingegen nur neues Streitpotential freisetzen, da der Einwand nun bei weiteren medizinisch anspruchsvolleren Maßnahmen zu erwarten ist, die von Krankenhäusern der Grundversorgung vorgenommen werden.
2. B 1 KR 27/18 R
Zusammenfassung
Ein Nephrostomiekatheter ist ein Implantat im Sinne der ICD T83.5.
Sachverhalt und Entscheidung
Streitgegenstand der Sache B 1 KR 27/18 R ist die Frage, ob ein Nephrostomiekatheter als Implantat im Sinne der ICD T 83.5 (Infektion und entzündliche Reaktion durch Prothese, Implantat oder Transplantat im Harntrakt) zu qualifizieren ist. Das klagende Krankenhaus war der Auffassung, dass die ICD T83.5 die spezifischste Möglichkeit sei, einen Harnwegsinfekt durch ein Implantat zu kodieren sei. Sie enthalte sowohl die Ursache des Infekts als auch der Lokalisation. Das LSG Berlin-Brandenburg hatte dies mit seiner Entscheidung vom 14.09.2017 (L 1 KR 238/15) sowohl unter Verweis auf den unterschiedlichen Wortgebrauch im professionellen Bereich, als auch in der Umgangssprache abgelehnt.
Das Bundessozialgericht hat die Entscheidung des LSG aufgehoben und zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das LSG zurückverwiesen. Bei dem eingesetzten Nephrostomiekatheter handele es sich um ein Implantat im Sinne des ICD-Kodes. Es stehe nach den getroffenen tatsächlichen Feststellungen des LSG aber nicht fest, dass der diagnostizierte Harnwegsinfekt „durch“ den Nephrostomiekatheter bedingt war. Das LSG wird die hierzu erforderlichen Feststellungen nachzuholen haben.
Einordnung
Nach der gesetzlichen Konzeption und der ständigen Rechtsprechung sind Abrechnungsvorschriften streng ihrem Wortlaut entsprechend anzuwenden. Da die Entscheidungsgründe noch nicht vorliegen, bleibt abzuwarten, mit welcher Begründung der 1. Senat einen Katheder abweichend von den Feststellungen des LSG als Implantat qualifiziert hat.
3. B 1 KR 17/18 R
Zusammenfassung
Knie-TEP sind auch nach krankenhausplanerischen Vorgaben in Bayern vom chirurgischen Versorgungsauftrag erfasst. Die Auslegung der Reichweite des Versorgungsauftrages orientiert sich auch ohne ausdrückliche Verweisung im Krankenhausplan der der im behandlungszeitpunkt gültigen WBO.
Sachverhalt und Entscheidung
In der Sache B 1 KR 17/18 R klagt das Krankenhaus auf Vergütung einer Knie-Totalendoprothese (Knie-TEP), die im Jahr 2011 erbracht worden ist. Das klagende Krankenhaus ist im bayerischen Krankenhausplan mit einer Fachabteilung Chirurgie ausgewiesen, nicht aber im Fachgebiet der Orthopädie. Die beklagte Krankenkasse verrechnete die Vergütung mit der Begründung, dass die Vornahme einer Knie-TEP als orthopädische Behandlungsmaßnahme nicht vom Versorgungsauftrag des Krankenhauses erfasst sei.
Das SG hat die Krankenkasse verurteilt. Das LSG hat das SG bestätigt und ausgeführt, dass nach der im Behandlungszeitraum geltenden Weiterbildungsordnung für die Ärzte Bayerns die Vornahme einer Knie-TEP bei Gonarthrose dem Fachgebiet der Chirurgie zuzuordnen sei, welches die Unfallchirurgie und Orthopädie umfasse.
Der Senat hat die Revision der Krankenkasse zurückgewiesen. Das Krankenhaus durfte mit der zugelassenen chirurgischen Fachabteilung die Knie-TEP erbringen. Die der Planung zugrunde liegenden Fachrichtungen orientieren sich auch ohne ausdrückliche Verweisung im Krankenhausplan an der WBO für die Ärzte Bayerns in der jeweils im Zeitpunkt der Leistungserbringung gültigen Fassung, wie das LSG entschieden hat. Die danach maßgebliche WBO fasst unter dem Gebiet „Chirurgie“ die Fachgebiete Orthopädie und Unfallchirurgie zusammen.
Einordnung
Der 1. Senat setzt mit dieser Entscheidung seine Rechtsprechung zur Auslegung der Reichweite des Versorgungsauftrages anhand der WBO fort. Seiner vorherigen Entscheidung vom 19.06.2018 (B 1 KR 32/17 R) lag ein Fall aus NRW zugrunde, wobei eine dynamische Verweisung im Krankenhausplan NRW in die zum Behandlungszeitpunkt geltende WBO bestand. Auch wenn es an einer derartigen Verweisung im Krankenhausplan Bayern fehlt, bleibt nach dieser jüngsten Entscheidung die im Behandlungszeitpunkt gültige WBO für die Auslegung des Versorgungsauftrages maßgeblich. Ob dies eine Abkehr von der Rechtsprechung des 3. Senats darstellt, der bei Annahme einer statischen Verweisung im Krankenhausplan Brandenburg auf eine im Leistungszeitpunkt nicht mehr aktuelle Version der WBO abgestellt hatte (Urt. v. 27.11.2014, B 3 KR 1/13 R), bleibt mit der Veröffentlichung der Entscheidungsgründe abzuwarten.
4. B 1 KR 3/18 R
Zusammenfassung
Schließt sich ein Krankenhaus einer abweichenden Kodierung eines gerichtlich bestellten Sachverständigen an, wird erst in diesem Zeitpunkt eine fällige Rechnung ausgelöst, selbst wenn die abweichende Kodierung in dieselbe DRG führt. Die Verfahrenskosten gehen dann zulasten des Krankenhauses.
Sachverhalt und Entscheidung
Das beklagte Krankenhaus kodierte u.a. die erlösrelevanten Nebendiagnosen ICD-10-GM F01.1 (Multiinfarkt-Demenz) und N30.0 (Akute Zystitis) und berechnete hierfür ausgehend von der Fallpauschale DRG B02D 12.457,19 Euro. Die klagende Krankenkasse bezahlte den Betrag, machte aber später erfolglos Erstattung von 4.655,11 Euro mit der Begründung geltend, die Kodierung der ND sei unzutreffend. Das SG hat die Klage der Krankenkasse abgewiesen. Zwar habe das Krankenhaus die ND F01.1 zu Unrecht kodiert. Es habe jedoch zur Nebendiagnose N30.0 die zur DRG B02D führenden Nebendiagnosen B95.2! und U80.4! kodieren dürfen.
Mit der dagegen gerichteten Berufung hat die Krankenkasse zunächst ihr Rückzahlungsbegehren weiterverfolgt. Während des Berufungsverfahrens hat die Krankenkasse dann ihren Antrag dahingehend geändert, das Krankenhaus zu verpflichten, sämtliche materiellen Schäden, welche der Krankenkasse durch und im Zusammenhang mit dem erstinstanzlichen und zweitinstanzlichen Gerichtsverfahren entstanden sind oder noch entstehen werden, zu erstatten.
Das LSG hat den Feststellungsantrag als unzulässig verworfen und die Kosten beider Instanzen der Krankenkasse auferlegt: Weder habe das Krankenhaus in die Klageänderung eingewilligt, noch sei diese sachdienlich. Für die geänderte Klage bestehe kein Feststellungsinteresse. Das LSG habe ohnehin über die Tragung der Kosten des gerichtlichen Verfahrens auch unter Einbeziehung eines möglichen Verschuldens zu entscheiden. Im Rahmen der Kostenentscheidung verneinte das LSG, dass die Beklagte schuldhaft zum Rechtsstreit beigetragen habe.
Der Senat hat auf Antrag der Krankenkasse festgestellt, dass sich der Rechtsstreit betreffend die Krankenhausvergütung dadurch erledigt hat, dass die Beklagte sich den Inhalt der ergänzenden Stellungnahme des gerichtlich bestellten Sachverständigen zur Kodierbarkeit der Nebendiagnosen B95.2! und U80.4! zu eigen gemacht hat. Dadurch wurde erstmals eine korrekte und damit die Fälligkeit der Krankenhausvergütung auslösende Rechnung für den streitigen Behandlungsfall erstellt.
Einordnung
Wenn die Fälligkeit der Krankenhausvergütung erst im Zuge des sozialgerichtlichen Verfahrens eingetreten ist, bestand kein Vergütungsanspruch des Krankenhauses im Zeitpunkt der Klageerhebung. M.a.W. war die Klage der Kasse in diesem Zeitpunkt mangels Fälligkeit begründet. Damit gehen die Verfahrenskosten zulasten des Krankenhauses, selbst wenn diese die Vergütung verteidigen konnte.
5. B 1 KR 5/18 R und B 1 KR 5/19 R
Gegenstand der Verfahren B 1 KR 5/18 R und B 1 5/19 R war die Frage der Erstattung der Umsatzsteuer für individuell hergestellte Arzneimittelzubereitung wie z.B. Zytostatika. Das Verfahren B 1 KR 5/18 R ist nach einem Vergleich der Parteien nicht mehr durch das BSG entschieden worden. Zum Verfahren B 1 KR 5/19 R finden Sie unseren Newsletter hier.
André Bohmeier
Rechtsanwalt