§ 39 Abs. 1 S. 1 SGB V n.F.: neuer Anlauf für neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der stationären Versorgung

Mit Änderung des § 39 SGB V durch das Implantateregister-Errichtungsgesetz (EIRD) hat sich der Gesetzgeber erneut für einen verbesserten Zugang zu Neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden (NUB) in der stationären Versorgung stark gemacht. Diese Änderung tritt neben weitere Änderungen zur Verbesserungen des Zugangs zu NUB (zu diesen weiteren Änderungen, die mit Ausnahme einer verschärften Fachaufsicht umgesetzt wurden s. hier), und ist der dritte Anlauf, mit dem der Gesetzgeber sich darum bemüht, die „Gewaltenteilung“ zwischen Bundestag und Bundessozialgericht vom Kopf auf die Füße zu stellen. Diesmal könnte es gelingen:

Über die Problematik von neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus hatten wir schon häufiger berichtet (s. z. B. hier und hier). Es geht um innovative Methoden, für welche der Nutzen im Vergleich zu herkömmlichen Verfahren noch nicht nach dem Goldstandard zur evidenzbasierten Medizin gelegt ist (zu den GKV-Standards s. hier). Besonders betroffen sind davon Methoden, für welche dieser Goldstandard der doppelblinden, randomisierten Studie nicht zu erfüllen ist, weil zum Beispiel im Fall operativer Behandlung eine solche nicht möglich ist oder zum Beispiel im Bereich der Palliativmedizin ethische Bedenken bestehen. Ebenso betroffen sind seltene Erkrankungen, bei denen die notwendige Studiengröße schwierig zu erreichen ist, Behandlungsmethoden für Erkrankungen von Kindern etc.

Der Gesetzgeber hat sich dieser Problematik durch weitere Änderungen im EIRD im Allgemeinen angenommen (s. hier). Für die stationäre Versorgung verfolgt er sodann nach wie vor die Konzeption, dass Krankenhäuser jedenfalls bei ausreichendem Potenzial einer Methode die Behandlung solange durchführen dürfen, bis sie vom gemeinsamen Bundesausschuss ausdrücklich ausgeschlossen wird (sogenannte Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt). Das ist eine ähnliche Konzeption wie z.B. im Arzneimittelbereich. Im Unterschied zu Arzneimitteln sind die Vergütungsregelungen im Krankenhausbereich indes mit erheblichen Hürden versehen. Ein potenzieller Nutzen sichert – anders als bei den Arzneimitteln – noch nicht die Finanzierung. Noch restriktiver ist z.B. die ambulante ärztliche Versorgung ausgestaltet. Dort gilt ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Erst wenn der Nutzen endgültig feststeht, kann die Leistung erbracht werden (vgl. zu den Rechtsgrundlagen hier): Auch Methoden, die objektiv nützlich sind, bleiben alleine deswegen ausgeschlossen, weil die Nachweise dafür noch nicht ausreichend zusammengetragen sind.

Für den Krankenhausbereich ist damit also eine vermittelnde Konzeption für NUB vorgesehen. Diese vermittelnde Lösung ist jedoch dem ersten Senat des Bundessozialgerichtes sprichwörtlich ein Dorn im Auge gewesen (s. z. B. hier und hier). Jedenfalls ist der bisherige Senatsvorsitzende überzeugt davon, dass Patienten in Krankenhäusern – trotz schwererer Erkrankungen und grundlegend abweichender Rahmenbedingungen – den gleichen Restriktionen unterworfen werden müssen, die im ambulanten Bereich gelten (vgl. z. B. hier). Die entsprechende Regelung des Gesetzgebers im GKV-Versorgungsstrukturgesetz aus 2011 (§ 137 Abs. 1 S. 1 S. 2 und 3 SGB V) und die ausdrückliche Bestätigung in § 137c Abs. 3 SGB V durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz haben das BSG ungerührt gelassen. Das BSG hat – nach diesseitiger Auffassung unter mehrfache Überschreitung seiner Kompetenzen – die Gesetzesregelung durchbrochen.

Nun hat der Gesetzgeber durch das Implantateregister-Errichtungsgesetz vom 18.12.2019 mit Wirkung zum 01.01.2020 eine erneute Klarstellung vorgenommen. Im § 39 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 SGB V ist folgende Ergänzung vorgesehen worden:

„… [die Krankenhausbehandlung] umfasst auch Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu dem der gemeinsame Bundesausschuss bisher keine Entscheidung nach § 137c Abs. 1 getroffen hat und die der die das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten.“

Des Weiteren ist im § 137c Abs. 3 S. 1 SGB V eine ergänzende Klarstellung mit gleicher Zielrichtung aufgenommen worden.

Diese Ergänzungen sind kurz vor Verabschiedung durch den Bundestag im Ausschussverfahren in das Gesetz gekommen. In den Gründen wird ausgeführt (BT Drucksache 19/13589, Seite 64 ff, Hervorhebung d. d. Verf.):

[Begründung zu § 39 SGB V]

Durch die Ergänzung § 39 wird auch leistungsrechtlich klargestellt, dass Versicherte im Rahmen einer Krankenhausbehandlung Anspruch auf die Versorgung mit Methoden haben, die das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten. Das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative kann sich etwa daraus ergeben, dass die Methode aufgrund ihres der Wertprinzip unter der bisher vorliegenden Erkenntnisse mit der Erwartung verbunden ist, dass andere, aufwändigere, für die Patienten oder den Patienten invasivere oder bei bestimmten Patientinnen oder Patienten nicht erfolgreichen Methoden ersetzt werden können oder die Methoden in sonstiger Weise eine effektive Behandlung ermöglichen kann. Diese Klarstellung ist erforderlich, weil in der Rechtsprechung des 1. Senates des Bundessozialgerichtes ein solcher Anspruch bisher entgegen der Intention des Gesetzgebers negiert wird.

….

[Begründung zu § 137c SGB V]

Durch die Ergänzungen in § 137 die Abs. 3 wird auch leistungsrechtlich klargestellt, dass Versicherte im Rahmen einer Krankenhausbehandlung Anspruch auf die Versorgung mit Methoden haben, die das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten. Diese Klarstellung ist erforderlich, weil in der Rechtsprechung des ersten Senats das Bundessozialgerichts ein solcher Anspruch bisher entgegen der Intention des Gesetzgebers negiert wird.“

Diese Regelung bestätigt die Eindeutigkeit der vorherigen Regelungen. Weiterhin erleichtert sie Patienten den Rechtsweg. Zwar war es Patienten schon auf Basis der bisherigen Rechtslage möglich, auf entsprechende Leistungen zu klagen. Das folgte daraus, dass das Leistungserbringungsrecht und damit auch § 137c Abs. 3 SGB V das Leistungsrecht für die Versicherten konkretisiert. Gerade diesen Grundsatz hatte das BSG zwar anerkannt, aber sodann für § 137c Abs. 3 SGB V im Ergebnis (ungerechtfertigt) durchbrochen (BSG, Urt. v. 24.04.2018, B 1 KR 10/17, R, Rn. 12 ff – zur Kritik s. o.). Dem ist der Gesetzgeber nun erneut und seltener Eindeutigkeit entgegengetreten. Es ist deswegen aussichtsreich, sich auf die Bestimmungen in der Fassung des EIRD zu berufen, und zwar insbesondere in unmittelbaren Streitigkeiten zwischen Versicherten und Krankenkassen. Im einstweiligen Rechtsschutz kann ein entsprechendes gerichtliches Votum von vornherein nicht durch das Bundessozialgericht aufgehoben werden. Dafür ist es nicht zuständig. Darüber hinaus hat der erste Senat – aufgrund des Wechsels des Vorsitzenden ebenfalls zu Jahresanfang – nun die Chance, den Vorrang des Gesetzes auch in Hauptsachverfahren wieder zu berücksichtigen. Entscheidungen wie die des SG Stuttgart, das zwecks Durchsetzung der Gesetzeslage gewundene verfahrensrechtliche Betrachtungen zu Fristenregelungen anstellen musste (s. hier), um dem BSG zu entgehen, werden damit hoffentlich der Vergangenheit angehören.

 

Dr. Andreas Penner
Rechtsanwalt