Perpetuierung der Gründereigenschaft in medizinischen Versorgungszentren durch das TSVG

Perpetuierung der Gründereigenschaft in medizinischen Versorgungszentren durch das TSVG

I. Der Status Quo

Zugelassene medizinische Versorgungszentren (MVZ) nehmen wie Ärzte und ermächtigte Einrichtungen an der vertragsärztlichen Versorgung teil (§ 95 Abs. 1 Satz 1 SGB V). Es handelt sich um ärztlich geleitete Einrichtungen, in denen Ärzte als Angestellte oder Vertragsärzte tätig sind (§ 95 Abs. 1 Satz 2 SGB V).

Die Gründung eines von Ärzten getragenen MVZ ist nur durch zugelassene Ärzte und nur in der Rechtsform einer Personengesellschaft, einer eingetragenen Genossenschaft, eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung oder in einer öffentlich-rechtlichen Rechtsform möglich (§ 95 Abs. 1a Satz 1 HS 2 SGB V). Diese Gründungsvoraussetzungen müssen in jedem Stadium des Betriebs eines MVZs vorliegen!

Einem Medizinischen Versorgungszentrum ist die Zulassung zu entziehen, wenn die Gründungsvoraussetzungen des Absatzes 1a Satz 1 länger als sechs Monate nicht mehr vorliegen (§ 95 Abs. 6 Satz 3 SGB V).

Einem medizinischen Versorgungszentrum, welches von zugelassenen Ärzten als „Anstellungs-Variante“ – mithin durch Gründung einer MVZ GmbH, zu deren Gunsten die Ärzte auf ihre Zulassungen im Gründungsstadium verzichten – gegründet wurde, verliert deshalb in der logischen Sekunde des Verzichts der gründenden Ärzte auf ihre Zulassungen zugunsten der Entstehung von Anstellungsgenehmigungen bei der Träger-MVZ-GmbH die Gründungsvoraussetzungen: Denn die gründenden Ärzte sind spätestens mit der Genehmigung ihrer Anstellung in der von Ihnen gegründeten MVZ-GmbH nicht mehr als „zugelassene Kassenärzte“ tätig.

Dieser unauflösliche Widerspruch verdankt seine Genese dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz vom 01.12.2011, mit dem § 95 Abs. 1a) sowie § 95 Abs. 6 Satz 4 SGB V in die Vorschrift eingefügt wurden. Erst mit dem GKV-Versorgungsstärkungsgesetz vom 25.02.2015 (DS 18/4095, in Kraft getreten am 01.07.2015) unternahm der Gesetzgeber den ersten Versuch, diesen Widerspruch aufzulösen. Es wurde ein Satz 4 in § 95 Abs. 6 SGB V eingefügt, welcher wie folgt lautet: „Die Gründereigenschaft nach Abs. 1a Satz 1 bleibt auch für die angestellten Ärzte bestehen, die auf ihre Zulassung zugunsten der Anstellung in einem Medizinischen Versorgungszentrum verzichtet haben, solange sie in dem Medizinischen Versorgungszentrum tätig sind und Gesellschafter des Medizinischen Versorgungszentrums sind.

Die Änderung war mehr als überfällig, denn sie legalisierte den Status Quo einer Vielzahl ärztlich gegründeter Medizinischer Versorgungszentren in der Rechtsform einer GmbH: Nach dem Wortlaut der Vorschrift bis zum Inkrafttreten des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes handelte es sich um Gebilde, denen de jure die Zulassung zu entziehen gewesen wäre, freilich mit der Folge, dass Ärzten die Gründung eines Medizinischen Versorgungszentrums in der Rechtsform der GmbH nicht möglich gewesen wäre.

Dieses Problem ist seit Juli 2015 erledigt, ein anderes Problem jedoch nicht: Die 2015 eingeführte Vorschrift perpetuiert die Gründereigenschaft nach § 95 Abs. 1a Satz 1 SGB V nur für den Arzt, der auf die eigene Zulassung zugunsten der Anstellung in einem Medizinischen Versorgungszentrum verzichtet hat. Damit bleibt folgendes Problem für die Medizinischen Versorgungszentren weiterhin ungelöst: Die Nachfolge in Gesellschaftsanteile an einem ärztlich getragenen MVZ. Scheidet ein Gründungsgesellschafter aus dem MVZ aus, so kann seine angestellte Arztstelle selbstverständlich mit einem weiteren Arzt nachbesetzt werden. Da dieser Nachfolger jedoch keine eigene Zulassung in das MVZ einbringt, mithin nie den Gründerstatus gemäß § 95 Abs. 1a SGB V besaß, kann in seiner Person kein Gründungsstatus perpetuiert werden. Er kann deshalb auch keine Gesellschaftsanteile an der MVZ GmbH erwerben und ist zu keinem Zeitpunkt tauglicher Gründer im Sinne des § 95 Abs. 1a SGB V. Die Perpetuierungswirkung des § 95 Abs. 6 Satz 4 SGB V erstreckt sich auch nicht auf diesen Arzt.

Wegen dieser gesetzlichen Ausgangslage ist die Übertragung von Gesellschaftsanteilen in ärztegetragenen MVZ-GmbHen bis dato äußerst kompliziert. Sie erfolgt mehrschrittig und zeitaufwendig: Dem Nachfolger in die Gesellschaftsanteile ist zunächst ein Stellenanteil aus dem MVZ zu übertragen, anschließend muss das MVZ auf diesen Stellenanteil (mindestens 20 Stunden) zugunsten einer Zulassung mit hälftigem / vollem Versorgungsauftrag verzichten. Der potenzielle Nachfolger muss dann mindestens ein Quartal als zugelassener Kassenarzt in Praxisgemeinschaft mit dem MVZ, an dem er anschließend die Gesellschaftsanteile übernehmen soll, arbeiten. In dieser Phase der eigenen Zulassung ist er tauglicher MVZ-Gründer: Nun erwirbt er Gesellschaftsanteile an dem MVZ. Anschließend verzichtet er auf seine Zulassung mit hälftigem / vollem Versorgungsauftrag zugunsten einer Anstellung in dem MVZ.

Gerade im Hinblick auf die verschärften datenschutzrechtlichen Anforderungen der Datenschutzgrundverordnung sowie die berufsrechtlichen Anforderungen an eine Praxisgemeinschaft (Schweigepflicht) ist es für Ärzte ein echtes Ärgernis, wenn sie, nur um die Voraussetzungen des Beitritts zur Träger-GmbH ihres MVZs realisieren zu können, eine Praxisgemeinschaft mit dem MVZ gründen müssen. Noch ärgerlicher ist es, wenn man die steuerlichen Folgen dieses Konstrukts näher beleuchtet. Denn das MVZ und die interimistisch zugelassenen Ärzte müssen eine weitere Gesellschaft gründen, Personal darf vom MVZ nicht an den zugelassenen Arzt überlassen werden, auch die Zurverfügungstellung von Gerätschaften löst nicht unerhebliche umsatzsteuerliche Probleme aus. Die Anteile der beteiligten Ärzte bei der Nutzung der Geräte müssen differenziert und zutreffend dargestellt werden, um umsatzsteuerliche Probleme zu vermeiden. Nicht zuletzt ist das Risiko des MVZ zu benennen, die an den potenziellen Mitgesellschafter ausgegliederte Zulassung möglicherweise zu verlieren, weil es sich der potenzielle Gesellschafter anders überlegt oder weil er verstirbt. Die nicht unerhebliche Zahl an Detailproblemen bei der Beteiligungsübertragung erklärt die Abneigung vieler zugelassener Ärzte, ihre Berufsausübungsgemeinschaft in ein MVZ umzuwandeln – einmal ganz unabhängig von der Frage der steuerlichen Absetzbarkeit des Kaufpreises beim Erwerb von GmbH-Anteilen.

II. Der Lösungsansatz der TSVG:

Der Gesetzgeber hat dieses Problem nun endlich angepackt: Nach dem RefE des TSVG soll in § 95 Abs. 6 Satz 4 SGB V ein weiterer Satz 5 eingefügt werden, der wie folgt lautet: „Die Gründungsvoraussetzung nach Abs. 1a Satz 1 liegt weiterhin vor, soweit angestellte Ärzte die Gesellschafteranteile der Ärzte nach Satz 4 übernehmen, solange sie in dem Medizinischen Versorgungszentrum tätig sind.“ (Vgl. Art. 1, 47.d des Ref, E TSVG). In der Begründung heißt es dazu: „Da die Gründungsvoraussetzungen nicht nur bei der Gründung selbst, sondern dauerhaft gegeben sein müssen, ist einem Medizinischen Versorgungszentrum die Zulassung unter anderem dann zu entziehen, wenn die gesetzlichen Gründungsvoraussetzungen länger als sechs Monate nicht mehr vorliegen. Um zu verhindern, dass einem Medizinischen Versorgungszentrum nach dem Ausscheiden (z.B. aus Altersgründen) aller originären Gründer die Zulassung zu entziehen ist, obwohl angestellte Ärzte des Medizinischen Versorgungszentrums bereit sind, die Gesellschaftsanteile zu übernehmen, wird geregelt, dass die Gründungsvoraussetzung gewahrt bleibt, wenn Angestellte und damit nach § 95 Abs. 1 Satz 1 nicht gründungsberechtigte Ärzte des Medizinischen Versorgungszentrums die Gesellschafteranteile übernehmen, solange sie in dem Medizinischen Versorgungszentrum tätig sind.“

Die Begründung zeigt, dass der Gesetzgeber lediglich an das „Ausbluten“ des ärztegetragenen Medizinischen Versorgungszentrums in der Rechtsform einer GmbH gedacht hat, mithin an den Fall, dass alle gründungsberechtigten Gesellschafter aus dem MVZ ausgeschieden sind. Die Regelung selbst geht jedoch weiter: Jeder angestellte Arzt des MVZs kann Gesellschaftsanteile erwerben. Die Gründungsvoraussetzung in der Person des Arztes bleibt gewahrt, solange er in dem Medizinischen Versorgungszentrum weiter tätig ist. Damit wird künftig die Übertragung von Gesellschaftsanteilen in den MVZ-GmbHen ärztlicher Träger erheblich erleichtert: Ist auf den Wunschnachfolger im MVZ ein Arzt-Stellenanteil übertragen worden, so ist er bereits dadurch tauglicher Gesellschafter der MVZ-GmbH.

Übertriebener Optimismus ist allerdings fehl am Platz. Denn die Problematik der Übertragung der Gesellschafterstellung im Rahmen der ärztlich getragenen MVZs wird nun auf die Nachbesetzung der Angestelltenstelle „vorverlagert“. Hier hat der Gesetzgeber nämlich eine Verschärfung im Auge: § 103 SGB V soll in Abs. 4a eine Änderung des Satz 3 erfahren: Medizinische Versorgungszentren sollen künftig – wie alle Ärzte auch, die Angestellte beschäftigen – einen Antrag auf Nachbesetzung der Arztstelle stellen müssen. Der Zulassungsausschuss kann den Antrag auf Nachbesetzung der Arztstelle ablehnen, wenn eine Nachbesetzung aus Versorgungsgründen nicht erforderlich ist (vgl. hierzu bereits den Beitrag von Dr. Andreas Penner vom 27.07.2018: „TSVG – Terminservice- und Versorgungsgesetz: Gefährdung von angestellten Stellen durch Bedarfsvorbehalt für eine Nachbesetzung“).

Wie die Zulassungsausschüsse diese neue Möglichkeit handhaben werden, ist völlig offen. Auffallend ist, dass die gesetzliche Regelung keine Kompensation vorsieht, falls der Zulassungsausschuss die Nachbesetzung der Arztstelle aus Versorgungsgründen ablehnt (vgl. auch hierzu Penner, a.a.O.). Ob dies angesichts der Kosten, die durch den Erwerb von Arztsitzen aufgebracht werden müssen, aber vor allem auch der Tatsache, dass es sich bei den angestellten Ärzten einer MVZ-GmbH häufig zugleich um deren Gesellschafter-Geschäftsführer und damit die Organe des Rechtsträgers handelt, einer gerichtlichen Kontrolle standhält, bleibt abzuwarten.

Jedenfalls könnte sich die Hemmschwelle der Zulassungsausschüsse bei der Entscheidung über die Nachbesetzung von Arztstellen gegenüber derjenigen, die mit der Nachbesetzung von Zulassungen zu beobachten ist, deutlich senken.

Ob die ärztlich getragenen MVZ ihre Nachbesetzungsproblematik dann künftig wegen des Einziehungsrisikos der Anstellungsgenehmigung doch wieder wie bisher so gestalten müssen, dass die Anstellungsgenehmigung zunächst vom MVZ zugunsten des Neugesellschafters in eine Zulassung umgewandelt wird und der Neugesellschafter als zugelassener Arzt die Gesellschaftsanteile kauft, um dann auf seine Zulassung zu verzichten, wird die Praxis der Zulassungsausschüsse zeigen müssen. Möglich wäre, dass der Gesetzgeber wieder einmal viel Sinnvolles gewollt, aber nichts Sinnvolles bewirkt hat.

 

Dr. Ute Pittrof
Rechtsanwältin