Veräußerung von MVZ-Angestelltenstellen – Keine Berücksichtigung von wirtschaftlichen Interessen des MVZ bei der Nachbesetzungsentscheidung über den Verkaufserlös hinaus

Entscheidungsbesprechung:
SG Dresden, Beschluss vom 16.04.2019 – S 25 KA 55/19 ER, nachfolgend LSG Sachsen, Beschluss vom 13. August 2019 – L 1 KA 5/19 B ER

I. Ergebnis und Empfehlung

  • Bei der Rückumwandlung und Ausschreibung von MVZ-Angestelltenstellen sind die im Auswahlverfahren zu berücksichtigenden wirtschaftlichen Interessen einer MVZ-Trägergesellschaft nach der hier zitierten Rechtsprechung auf das wirtschaftliche Interesse am Verkaufserlös beschränkt. Weitergehende wirtschaftliche Interessen des MVZ, wie z.B. die Vorteile einer geplanten Organisationsgemeinschaft am Praxisstandort, werden im Nachbesetzungsverfahren nicht berücksichtigt.
  • Will eine MVZ-Trägergesellschaft mithin einen Vertragsarztsitz – weil er nicht intern nachbesetzt werden kann – veräußern und eine Kooperation mit einem Niedergelassenen eingehen, der am Praxisort eine Praxisgemeinschaft mit dem MVZ eingehen würde, ist diese Nachbesetzungskonstellation nicht wegen des MVZ-Interesses an der Fortführung privilegiert. Auch das sogenannte BAG-Privileg des § 103 Abs. 6 Satz 2 SGB V kann nicht analog zugunsten des MVZ berücksichtigt werden.
  • Auch das Verbleiben der Praxis am Ort der bisherigen MVZ-Praxis – während konkurrierende Bewerber regelmäßig den Praxissitz verlegen müssten – könne zumindest nach dem SG Dresden nur dann positiv für den Bewerber mit Kooperationswillen sprechen, wenn die im Übrigen beantragten Verlegungen der Konkurrenten nachteilige Einschnitt von Relevanz für die Versorgungslage bedeuteten.
  • Der in juris veröffentlichte Leitsatz des SG Dresden – „nach Umwandlung einzelner Anstellungen eines MVZ in Zulassungen und deren Ausschreibung zur Nachbesetzung kommt es im Rahmen der Bewerberauswahl auf einen Fortführungswillen des Bewerbers nicht an“ – wird vom LSG relativiert. Auch weiterhin wird im Einzelfall diskutiert werden müssen, ob ein Fortsetzungswille wegen einer notwendigen Verlegung überhaupt gegeben ist.
  • Dieses führt hierzu aus: Da die Auswahlentscheidung rechtswidrig war, könne offenbleiben, ob in dieser Konstellation generell auf einen Fortführungswillen der Bewerber verzichtet werden kann – wie das Sozialgericht meine – oder nur unter bestimmten Voraussetzungen im Einzelfall (vgl. LSG Sachsen, a.a.O. Rn. 9 unter Bezugnahme auf die BSG-Rechtsprechung, Az.: B 6 KA 19/12 R, Rn. 34). Dies kann man als Positionierung contra die Nivellierung des Erfordernisses eines Fortführungswillens durch das SG verstehen. Sind mehrere Bewerber vorhanden, von denen nur ein Bewerber am Ort der bisherigen MVZ-Praxis fortzuführen gewillt ist, schließt das gleichwohl die Berücksichtigung der anderen Bewerber bei der Auswahlentscheidung – nach der hier zitierten Rechtsprechung – nicht aus. Bei der Interpretation dieser Rechtsprechung ist zu differenzieren: Zu unterscheiden ist einerseits die Berücksichtigung von – auch vom SG Dresden geprüften – Aspekten der Versorgungskontinuität im Rahmen der Auswahlentscheidung – „greift eine Verlegung in die Versorgung vor Ort erheblich ein?“. Im Rahmen seines Beurteilungsspielraums wird der angerufene Ausschuss die Nachbesetzung am selben Ort gegenüber anderen Bewerbern, die das ausschließen, jedenfalls positiv würdigen können. Indessen verliert die obligatorische Nachbesetzungsbedingung des Fortführungswillens erkennbar an Kontur und Bedeutung. Im Grundsatz geht das BSG davon aus, dass bei der Nachbesetzung gem. § 103 Abs. 4 Satz 4 SGB V die Berücksichtigung eines Bewerbers, der nicht am Vertragsarztsitz „übernehmen“ will, zwingend ausscheide (BSG Urt. v. 20.3.2013 – B 6 KA 19/12 R, BeckRS 2013, 71269, beck-online, Rn. 20). Ein Bewerber komme nur dann für die Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes in Betracht, wenn er den Willen habe, als Vertragsarzt am bisherigen Praxisort tätig zu werden (BSG, a.a.O. amtlicher Leitsatz). In der vorgenannten BSG-Entscheidung wird dies freilich bei Vorliegen sachlicher Gründe im Einzelfall für einen Umzug – meines Erachtens bereits ziemlich deutlich – relativiert. Ein „sachlicher Grund im Einzelfall“ ist in der juristischen Sprache kein „besonders wichtiger Grund im Ausnahmefall (o.ä.)“. Sachliche Gründe können beispielsweise sein: die Praxis wurde bislang im Wohnhaus des Abgebers geführt, so das BSG selbst, a.a.O. oder zum Beispiel die Notwendigkeit eines Praxisumzugs, weil die Praxisräume nicht geeignet sind oder der Vermieter nicht gewillt ist, einen Anschlussmietvertrag dauerhaft zu gewährleisten, vgl. Kremer/Wittmann, Vertragsärztliche Zulassungsverfahren, 3. Auflage, S. 161, Rn. 542). Diese Relativierung des Fortführungswillens als Ausschlusskriterium schreitet durch die Gesetzesentwicklung ohnehin voran: Ein solcher sachlicher Verlegungsgrund soll heute – gesetzlich geregelt – auch in den Fällen der Bewerbung durch ein medizinisches Versorgungszentrum bzw. durch einen Vertragsarzt und Fortführung durch einen angestellten Arzt im MVZ (§ 103 Abs. 4b Satz 2, 4c Satz 1 SGB V) vorliegen. Auch die Einbringung zur Anstellung im MVZ gewährleistet eine Praxisübertragung in eine MVZ-Einrichtung mit Sitzverlegung. In der vorgenannten Varianten spielt der Fortsetzungswille am Ort der Praxis freilich keine Rolle. Insofern ist schon wegen der Gesetzesentwicklung fraglich, ob die strenge Anwendung des „Fortführungsverständnisses“ des BSG im Gesamtkontext des § 103 SGB V noch tragbar ist. Jedenfalls ist im Einzelfall ein „sachlicher Grund für eine Verlegung“ anzuerkennen. Vor dem dargestellten Hintergrund ist auch die noch anzutreffende Verwaltungspraxis sehr kritisch zu würdigen, wonach Zulassungsausschüsse generell keine Verlegung bei einer Einzelpraxisnachbesetzung zulassen wollen. Insgesamt ist der Fortführungswille in örtlicher Hinsicht als echtes Ausschlusskriterium für eine Nachbesetzung überholt, jedenfalls solange unrealistische Anforderungen an das Vorliegen eines sachlichen Grundes für eine Verlegung gestellt werden.
  • Wegen der Nachbesetzung von MVZ-Stellen ist als Empfehlung festzuhalten: Droht bei absehbaren Personalnachbesetzungsproblemen im MVZ der Wegfall von Angestelltensitzen entsprechend der BSG-Rechtsprechung (B 6 KA 23/11 R) nach sechs Monaten, sollte frühzeitig die „Wunschnachfolge“ abgesichert werden. Dies gilt gerade dann, wenn neben der Veräußerung weitere Ziele verfolgt werden oder weitere Notwendigkeiten bestehen. Streitige und deswegen unsichere Nachbesetzungsentscheidungen können häufig durch die richtige Gestaltung des Nachbesetzungsprozesses vermieden werden.

II. Sachverhalt der Entscheidungen

Die Trägergesellschaft eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) hatte in einem Beschäftigungsumfang, der jeweils einem hälftigen Versorgungsauftrag entsprach, zwei Fachärztinnen für Haut- und Geschlechtskrankheiten angestellt und beantragte die Umwandlung der beiden Anstellungen in eine Zulassung zur Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens. Ein Patientenstamm existierte zu diesem Zeitpunkt nicht mehr. Es kam zu einer „streitigen“ Auswahlentscheidung zwischen mehreren Bewerbern. Nach dem Bewerbungsverfahren verblieben eine Bewerberin für einen Vertragsarztsitz am Standort X in 1,5 km Entfernung der Praxis sowie zwei weitere Mitbewerber, welche sich beide bereit erklärten, ihren Vertragsarztsitz in den Räumen des MVZ zu nehmen und in einer Praxisgemeinschaft mit dem MVZ die Praxis fortzuführen.

Der Zulassungsausschuss erteilte zunächst mit Beschluss vom 15. August 2018 der Bewerberin mit dem Standort X die Zulassung zur vertragsärztlichen Tätigkeit im Umfang eines vollen Versorgungsauftrages. Ausschlaggebend für die Auswahlentscheidung war bei jeweils mehr als fünf Jahren Approbationsalter, mehr als fünf Jahren fachärztlicher Tätigkeit und gleicher Facharztanerkennung der Bewerberinnen letztlich der längere Eintrag der Antragstellerin in die Warteliste nach § 103 Abs. 5 SGB V.

Der Berufungsausschuss hob die Zulassung auf und ließ eine Mitbewerberin, die sich zur Kooperation mit dem MVZ am Praxisort bereit erklärt hatte, zur vertragsärztlichen Tätigkeit zu und ordnete die sofortige Vollziehung des Beschlusses an. Entscheidend erschien dem Berufungsausschuss die Frage nach dem Fortführungswillen, der auch im Rahmen einer Nachbesetzung umgewandelter Arztanstellungen und vor dem Hintergrund, dass ein Patientenstamm nicht mehr existiere, relevant bliebe. Die Zulassungsausschussentscheidung verstoße gegen die höchstrichterliche Rechtsprechung zum Fortführungswillen (Verweis auf BSG, Urteil vom 30. März 2013 – B 6 KA 19/12 R -). In analoger Betrachtung des § 103 Abs. 6 Satz 2 SGB V seien auch die Interessen der MVZ-Trägergesellschaft angemessen zu berücksichtigen. Die Fortführung eines Praxissitzes umfasse nicht nur den Patientenstamm, sondern auch die räumlichen und personellen Gegebenheiten. Im Gegensatz zur Bewerberin, die eine Fortführung der Praxis in den Räumlichkeiten des MVZ ablehne, sei allein mit der Mitbewerberin Einigkeit über die gemeinschaftliche Nutzung von Räumlichkeiten, Anmeldung und Operationssaal, das gesamte Servicepaket sowie ein Untermietverhältnis über die eigentlichen Praxisräume in den angemieteten Räumlichkeiten erzielt worden. Der gemeinschaftlichen Nutzung liege ein Gesamtkonzept zu Grunde, das nur dann wirtschaftlich funktioniere, wenn alle Komponenten erhalten blieben. Die getroffenen vertraglichen Vereinbarungen seien in wirtschaftlicher Hinsicht für die MVZ-Trägergesellschaft von immanenter Bedeutung. Die Fortführung der dermatologischen Stelle an einem räumlich abweichenden Sitz würde dagegen die wirtschaftliche Planung ins Wanken bringen. Nach der Rechtsprechung des BSG dürfe einem Nachfolgebewerber, mit dem die in einer Gemeinschaftspraxis verbleibenden Vertragsärzte ausdrücklich nicht zusammenarbeiten wollen, die Zulassung grundsätzlich nicht erteilt werden. Die MVZ-Trägergesellschaft habe ein berechtigtes Interesse daran, dass der dermatologische Sitz auch nach der Umwandlung räumlich und strukturell erhalten bleibe. Dies werde durch die Zulassung der Wunschkandidatin am ehesten gewährleistet.

Die durch den Berufungsausschuss abgelehnte Bewerberin begehrte gem. § 86b Abs. 3 SGG die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung Ihrer Klage gegen die Entscheidung des Berufungsausschusses.

III. Entscheidung des SG Dresden

Das SG Dresden erachtete die angefochtene Zulassung der Mitbewerberin als offensichtlich rechtswidrig.

Ausgehend von einer aus Sicht des Gerichts unzutreffenden Auslegung der gesetzlichen Vorschriften über die Nachbesetzung umgewandelter Anstellungen in MVZ habe der Berufungsausschuss unter dem Begriff des „Fortführungswillens“ ermessensfehlerhaft das wirtschaftliche Partikularinteresse der MVZ-Betreiberin an einer Wiederaufnahme der fachdermatologischen Tätigkeit zu ihren Bedingungen zum entscheidenden Kriterium für die Bewerberauswahl gemacht. In den Fällen der Nachbesetzung von in Zulassungen umgewandelten und zur Nachbesetzung ausgeschriebenen Anstellungen in MVZ nach § 103 Abs. 4 in Verbindung mit § 95 Abs. 9b sowie § 95 Abs. 2 Satz 8 2. Halbsatz und § 103 Abs. 4a Satz 4 SGB V komme es auf einen Fortführungswillen des Bewerbers nicht an. Die Aufnahme der fachärztlichen Tätigkeit in freier Praxis, aber auch in einer Praxisgemeinschaft mit dem bisher anstellenden MVZ, setze die zuvor in Anstellung beim MVZ ausgeübte Tätigkeit nicht fort. Ferner erlaubten § 95 Abs. 9b und § 103 Abs. 4 SGB V den Zulassungsgremien nicht, den Bewerber zu bevorzugen, der sich den finanziellen Forderungen und den Vorgaben des abgebenden MVZ für die Ausgestaltung der künftigen vertragsärztlichen Tätigkeit freiwillig unterwerfe.

Durch die Umwandlung der Anstellung in eine durch Nachbesetzung übertragbare Zulassung werde die Stelle aus dem Verbund des MVZ herausgelöst und in eine freie Praxis (§ 32 Absatz 1 Ärzte-ZV) überführt. Eine Fortführung der Tätigkeit im Rahmen des MVZ sei gerade nicht möglich oder gewollt, zumal dem MVZ dafür die Möglichkeit zur freien Nachbesetzung ohne Ausschreibung nach § 103 Absatz 4a Satz 3 SGB V offen stünde. Dem Bewerber um eine nach § 95 Absatz 9b SGB V umgewandelte Zulassung stehe es zwar frei, seinerseits mit dem MVZ eine Kooperation, die seinen gegenüber dem MVZ verselbständigten Status unberührt lässt, einzugehen; dies schließe auch die Begründung einer Praxisgemeinschaft oder Berufsausübungsgemeinschaft mit ein. Eine solche auf Grund der erworbenen Zulassung frei vereinbarte Zusammenarbeit sei indessen weder durch die Umwandlung und die Freigabe zur Nachbesetzung auf Grund des bisherigen Anstellungsverhältnisses gesetzlich vorgegeben, noch könne sie zur Vorbedingung für die Bewerberauswahl gemacht werden.

Mit dem Antrag auf Umwandlung der Anstellungsgenehmigung in eine Zulassung und deren externe Nachbesetzung werde die bis dahin bestehende rechtliche Bindung der freigegebenen Arztstelle an das MVZ endgültig beendet. Damit könne auch ein berechtigtes Interesse des MVZ, auf die Bewerberauswahl unter anderen Gesichtspunkten als dem reinen wirtschaftlichen Verwertungsinteresse Einfluss zu nehmen, nicht mehr anerkannt werden. Insbesondere dürfe es für die Zulassungsgremien nicht mehr darauf ankommen, ob und wie sich der Bewerber in das Leistungsspektrum und das personelle Gefüge des MVZ einfügen würde, wenn er ohne Ausschreibung nach § 103 Absatz 4a Satz 3 SGB V angestellt worden wäre oder seine Zulassung als angestellter Arzt eingebracht hätte; denn genau darauf sei die Umwandlung und Ausschreibung von Anstellungen in MVZ nicht gerichtet. Aus dem gleichen Grund erweise sich auch der Rückgriff des Berufungsausschusses auf § 104 Absatz 6 Satz 2 SGB V, wonach die Interessen des oder der in der Praxis verbleibenden Vertragsärzte bei der Bewerberauswahl angemessen zu berücksichtigen sind, als unzutreffend. Denn mit der Freigabe der Stellen zur Umwandlung und Ausschreibung sei die bisherige Kooperation im Rahmen des MVZ beendet. Würde die ärztliche Tätigkeit im Ergebnis der Ausgliederung nicht mehr im Rahmen des Versorgungsauftrages des MVZ fortgesetzt, sei auch das Steuerungsinteresse des MVZ in Bezug auf die Ausgestaltung der künftigen Tätigkeit der Bewerber um die freigegebene Stelle nicht geschützt. Der Schutz der rechtlichen Interessen des abgebenden MVZ beschränke sich ausschließlich auf das wirtschaftliche Verwertungsinteresse.

Aber auch soweit die Art und Weise, wie die ärztliche Tätigkeit durch den Bewerber fortgesetzt wird, das wirtschaftliche Verwertungsinteresse mittelbar bediene (hier: durch Erzielung von Mieteinnahmen und sonstigen Entgelten bei Niederlassung in den Räumen des MVZ und Begründung einer Praxisgemeinschaft), setze der gesetzliche Zweck der Verwertungsmöglichkeit der Berücksichtigung durch die Zulassungsgremien Grenzen. Die Einfügung des § 95 Absatz 9b SGB V sichere das wirtschaftliche Verwertungsinteresse des Praxisbetreibers mit Rücksicht darauf, dass im Regelfall die Anstellung nur mit finanziellem Aufwand für die Beschaffung des Vertragsarztsitzes möglich war. Bei der Freigabe einzelner Stellen aus MVZ sei dies zugleich der einzige Grund, der als Ausdruck des von Artikel 14 Absatz 1 GG geschützten Eigentumsrechts die privilegierte Nachbesetzung trotz der Herauslösung aus dem MVZ rechtfertigte.

Dies schließe indessen nicht aus, bei der Bewerberauswahl unter Berücksichtigung des bisherigen Leistungsangebots der Kontinuität der Versorgung der Versicherten einen hohen Stellenwert beizumessen. Es sei im Interesse der gesetzlich Versicherten legitim, die Auswahlentscheidung daran auszurichten, ob das frühere Leistungsangebot des MVZ im Wesentlichen fortgesetzt wird und die Praxis der Bewerber in der Nähe zum bisherigen Standort angesiedelt ist. So könnte der bisherige Patientenstamm weiter betreut und unnötige Verwerfungen der gewachsenen Versorgungsstrukturen im Umfeld des bisherigen Standortes vermieden werden. Insoweit hätten die Zulassungsgremien indessen kritisch zu prüfen, inwieweit überhaupt (noch) eine personell durch Patienten und räumlich durch den bisherigen Standort konkretisierte Versorgungsfunktion besteht, die fortgeführt werden könnte. Sei ein Patientenstamm nicht mehr vorhanden, komme der fachlichen und räumlichen Kontinuität ein geringeres Gewicht zu als bei einer nahtlosen Überleitung der Versorgung auf einen Nachfolger. Unter diesen Voraussetzungen würde auch eine Niederlassung des Bewerbers an einem anderen Ort in ca. 1,2 km Entfernung vom bisherigen Standort regelmäßig keinen nachteiligen Einschnitt von Relevanz für die Versorgungslage bedeuten.

IV. Bestätigung durch das LSG Sachsen

Im Beschwerdeverfahren stütze das LSG Sachsen, dass wegen der Erledigung der Hauptsache nur über die Kosten zu entscheiden hatte, die Entscheidung des SG Dresden im Wesentlichen. Zutreffend habe das Sozialgericht festgestellt, dass ein MVZ, das sich entschieden hat, eine genehmigte Arztanstellung in eine Zulassung umzuwandeln, als Praxisabgeber – wie sonst auch im Rahmen eine Praxisnachfolge nach § 103 Abs. 4 SGB V – nur noch mit seinem wirtschaftlichen Verwertungsinteresse im Nachbesetzungsverfahren zu berücksichtigen ist. Mit dem Nachbesetzungsverfahren gemäß § 103 Abs. 4 SGB V würde nämlich den Erfordernissen des Eigentumsschutzes eines Praxisinhabers Rechnung getragen (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2013 – B 6 KA 49/12 R – juris Rn. 46). Als der Gesetzgeber bei Erlass des GKV-Versorgungsstrukturgesetzes dem § 95 SGB V Abs. 9b anfügte, habe er ebenfalls die wirtschaftliche Verwertbarkeit der genehmigten Arztstelle im Blick gehabt. Denn die „nicht mehr benötigte Arztstelle“ könne der anstellende Arzt – und dem entsprechend gemäß § 103 Abs. 4a Satz 4 SGB V das anstellende MVZ – im Wege eines Nachbesetzungsverfahrens nach § 103 Abs. 4 SGB V wirtschaftlich verwerten (BT-Drucks. 17/6909 S. 72). Diese Gesetzesbegründung stütze die Auffassung des Sozialgerichts, dass mit dem Antrag auf Umwandlung der Anstellungsgenehmigung in eine Zulassung und deren Nachbesetzung die bis dahin bestehende rechtliche Bindung der Arztstelle an das MVZ beendet würde. Weitergehende wirtschaftliche Interessen der MVZ-Trägergesellschaft, die über das wirtschaftliche Interesse am Verkaufserlös der umgewandelten Arztstelle im Rahmen von § 103 Abs. 4 Satz 8 SGB V hinausgehen, seien daher nicht zu berücksichtigen. Die MVZ-Trägergesellschaft habe sich ihrer alleinigen Auswahlbefugnis als MVZ (vgl. BSG, Urteil vom 04.05.2016 – B 6 KA 28/15 R– juris Rn. 15 m.w.N.) begeben, als sie sich für eine Umwandlung der Arztanstellung in eine Zulassung entschieden hat. Eine Analogie zu § 103 Abs. 6 Satz 2 SGB V verbiete sich, denn das abgebende MVZ stelle nicht zugleich eine Berufsausübungsgemeinschaft in diesem Sinne dar. Die Organisations- und Kooperationsform eines MVZ i.S.d. § 95 Abs. 1 Satz 2 SGB V unterscheide sich wesentlich von der in § 103 Abs. 6 SGB V in Bezug genommen gemeinschaftlich geführten Arztpraxis. Es könne wegen der allein daraus folgenden Ermessensfehlerhaftigkeit der Berufungsausschussentscheidung offen bleiben, ob in dieser Konstellation generell auf einen Fortführungswillen der Bewerber verzichtet werden kann – wie das Sozialgericht meine – oder nur unter bestimmten Voraussetzungen im Einzelfall (vgl. BSG, Urteil vom 20.03.2013 – B 6 KA 19/12 R – juris Rn. 34).

V. Speziell zum Fortführungswillen

Der in juris veröffentlichte Leitsatz des SG Dresden – „nach Umwandlung einzelner Anstellungen eines MVZ in Zulassungen und deren Ausschreibung zur Nachbesetzung kommt es im Rahmen der Bewerberauswahl auf einen Fortführungswillen des Bewerbers nicht an“ – wird vom LSG relativiert. Dieses führt hierzu aus: Da die Auswahlentscheidung rechtswidrig war, könne offenbleiben, ob in dieser Konstellation generell auf einen Fortführungswillen der Bewerber verzichtet werden kann – wie das Sozialgericht meine – oder nur unter bestimmten Voraussetzungen im Einzelfall (vgl. LSG Sachsen, a.a.O. Rn. 9 unter Bezugnahme auf die BSG-Rechtsprechung, Az.: B 6 KA 19/12 R, Rn. 34).

Dies kann man als Positionierung contra die Nivellierung des Erfordernisses eines Fortführungswillens durch das SG verstehen. Sind mehrere Bewerber vorhanden, von denen nur ein Bewerber am Ort der bisherigen MVZ-Praxis fortzuführen gewillt ist, schließt das gleichwohl die Berücksichtigung der anderen Bewerber bei der Auswahlentscheidung – nach der hier zitierten Rechtsprechung – nicht aus. Bei der Interpretation dieser Rechtsprechung ist zu differenzieren: Zu unterscheiden ist einerseits die Berücksichtigung von – auch vom SG Dresden geprüften – Aspekten der Versorgungskontinuität im Rahmen der Auswahlentscheidung – „greift eine Verlegung in die Versorgung vor Ort erheblich ein?“. Im Rahmen seines Beurteilungsspielraums wird der angerufene Ausschuss die Nachbesetzung am selben Ort gegenüber anderen Bewerbern, die das ausschließen, jedenfalls positiv würdigen können. Indessen verliert die obligatorische Nachbesetzungsbedingung des Fortführungswillens erkennbar an Kontur und Bedeutung. Im Grundsatz geht das BSG davon aus, dass bei der Nachbesetzung gem. § 103 Abs. 4 Satz 4 SGB V die Berücksichtigung eines Bewerbers, der nicht am Vertragsarztsitz „übernehmen“ will, zwingend ausscheide (BSG Urt. v. 20.3.2013 – B 6 KA 19/12 R, BeckRS 2013, 71269, beck-online, Rn. 20). Ein Bewerber komme nur dann für die Nachbesetzung eines Vertragsarztsitzes in Betracht, wenn er den Willen habe, als Vertragsarzt am bisherigen Praxisort tätig zu werden (BSG, a.a.O. amtlicher Leitsatz). In der vorgenannten BSG-Entscheidung wird dies freilich bei Vorliegen sachlicher Gründe im Einzelfall für einen Umzug – meines Erachtens bereits ziemlich deutlich – relativiert. Ein „sachlicher Grund im Einzelfall“ ist in der juristischen Sprache kein „besonders wichtiger Grund im Ausnahmefall (o.ä.)“. Sachliche Gründe können beispielsweise sein: die Praxis wurde bislang im Wohnhaus des Abgebers geführt, so das BSG selbst, a.a.O. oder zum Beispiel die Notwendigkeit eines Praxisumzugs, weil die Praxisräume nicht geeignet sind oder der Vermieter nicht gewillt ist, einen Anschlussmietvertrag dauerhaft zu gewährleisten, vgl. Kremer/Wittmann, Vertragsärztliche Zulassungsverfahren, 3. Auflage, S. 161, Rn. 542). Diese Relativierung des Fortführungswillens als Ausschlusskriterium schreitet durch die Gesetzesentwicklung ohnehin voran: Ein örtlicher Fortführungswille spielt – gesetzlich geregelt – in den Fällen der Bewerbung durch ein medizinisches Versorgungszentrum bzw. durch einen Vertragsarzt und Fortführung durch einen angestellten Arzt im MVZ (§ 103 Abs. 4b Satz 2, 4c Satz 1 SGB V) keine Rolle bzw. müsste umgekehrt ein „sachlicher Grund“ dieser gesetzlichen Privilegierung der Verlegung vorliegen. Auch die Einbringung zur Anstellung im MVZ gewährleistet eine Praxisnachfolge durch eine MVZ-Einrichtung. In der vorgenannten Varianten spielt der Fortsetzungswille am Ort der Praxis keine Rolle. Insofern ist schon wegen der Gesetzesentwicklung fraglich, ob die strenge Anwendung des „Fortführungsverständnisses“ des BSG im Gesamtkontext des § 103 SGB V noch tragbar ist. Jedenfalls ist im Einzelfall ein „sachlicher Grund für eine Verlegung“ zu prüfen und dieses Kriterium auch anzuerkennen. Vor dem dargestellten Hintergrund ist die noch anzutreffende Verwaltungspraxis kritisch zu würdigen, wonach Zulassungsausschüsse generell keine Verlegung bei einer Einzelpraxisnachbesetzung zulassen (vorbehaltlich der Unmöglichkeit der Fortführung am Praxissitz). Insgesamt ist der Fortführungswille in örtlicher Hinsicht als echtes Ausschlusskriterium für eine Nachbesetzung überholt, jedenfalls solange unrealistische Anforderungen an das Vorliegen eines sachlichen Grundes für eine Verlegung gestellt werden.

 

Dr. Felix Reimer, LL.M. (Medizinrecht)
Rechtsanwalt