Schwierigkeiten bei der Weitergabe der „Gründereigenschaft“ von angestellten Ärzten als Gesellschafter eines MVZ: § 95 Abs. 6 Satz 5 SGB V i.d.F.d. TSVG in der Auslegung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern
Neuer Regelungsgehalt des § 95 Abs. 6 Satz 5 SGB V i.d.F.d. TSVG
Das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG), das am 11. Mai 2019 in Kraft getreten ist, ergänzt § 95 Abs. 6 SGB V durch einen Satz 5, der wie folgt lautet:
„Die Zulassung ist zu entziehen, wenn ihre Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vorliegen, der Vertragsarzt die vertragsärztliche Tätigkeit nicht aufnimmt oder nicht mehr ausübt oder seine vertragsärztlichen Pflichten gröblich verletzt. Der Zulassungsausschuss kann in diesen Fällen statt einer vollständigen auch die Entziehung der Hälfte oder eines Viertels der Zulassung beschließen. Einem medizinischen Versorgungszentrum ist die Zulassung auch dann zu entziehen, wenn die Gründungsvoraussetzung des Absatzes 1a Satz 1 länger als sechs Monate nicht mehr vorliegt. Die Gründereigenschaft nach Absatz 1 a Satz 1 bleibt auch für angestellte Ärzte bestehen, die auf ihre Zulassung zugunsten der Anstellung in einem medizinischen Versorgungszentrum verzichtet haben, solange sie in dem medizinischen Versorgungszentrum tätig sind und Gesellschafter des medizinischen Versorgungszentrums sind. Die Gründungsvoraussetzung nach Absatz 1 a Satz 1 liegt weiterhin vor, sofern angestellte Ärzte die Gesellschafteranteile der Ärzte nach Satz 4 übernehmen und solange sie in dem medizinischen Versorgungszentrum tätig sind; die Übernahme von Gesellschafteranteilen durch angestellte Ärzte ist jederzeit möglich. …“
Hintergrund
Die Neufassung des § 96 Abs. 6 SGB V durch das TSVG verspricht ihrem Wortlaut nach eine erhebliche Erleichterung der Übertragung des Gründerstatus auf nachfolgende Ärztegenerationen und damit ein Nachrücken der in medizinischen Versorgungszentren angestellten Jungärzte als Gesellschafter der Trägergesellschaften mit der Rechtsform der Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Nach dem Wortlaut des § 95 Abs. 6 Satz 5 SGB V i.d.F.d. TSVG wird die Gründereigenschaft auf die angestellten Ärzte erstreckt, die in einem medizinischen Versorgungszentrum tätig sind und Gesellschafteranteile der anderen Ärzte übernehmen, die ursprünglich niedergelassen waren und zugunsten der Anstellung in einem medizinischen Versorgungszentrum auf die Zulassung verzichtet haben (§ 95 Abs. 6 Satz 4 SGB V). Die Übernahme soll jederzeit möglich sein.
Praktische Umsetzung der Neuregelung
Inzwischen zeigt sich, dass jedenfalls die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns diese neue Regelung eingrenzend auffasst: § 95 Abs. 6 Satz 5 SGB V i.d.F.d. TSVG sei so auszulegen, dass die Gründereigenschaft nach Übernahme von Gesellschaftsanteilen durch den angestellten Arzt auf diesen vom ursprünglich gründenden Arzt nur dann übergehe, wenn der angestellte Arzt alle Gesellschaftsanteile eines Gründerarztes übernimmt, der dann ausscheidet. Diese Rechtsauffassung wird in die Zulassungsausschüsse hineingetragen, die sich dem wohl anschließen, wie aus dem Zulassungsausschuss für Ärzte Oberpfalz zu erfahren war.
Diese Rechtsauffassung wird durch den Wortlaut des § 95 Abs. 6 Satz 5 SGB V i.d.F.d. TSVG nicht gedeckt. Die von der KVB nun gewählte Auslegung geht auch nicht aus der amtlichen Begründung zu § 95 Abs. 6 Satz 5 SGB V i.d.F.d. TSVG hervor, welche wie folgt lautet:
„Mit der Regelung soll verhindert werden, dass einem Medizinischen Versorgungszentrum nach dem Ausscheiden (z.B. aus Altersgründen) aller originärer Gründer die Zulassung zu entziehen ist, weil alle Ärzte mit Gründereigenschaft ausgeschieden sind und damit die Gründungsvoraussetzung für das Medizinische Versorgungszentrum entfallen ist. Vorgesehen wird daher, dass die Gründungsvoraussetzung gewahrt bleibt, wenn Angestellte und damit nach § 95 Abs. 1a Satz 1 nicht gründungsberechtigte Ärzte des Medizinischen Versorgungszentrums die Gesellschafteranteile übernehmen. Dies gilt, solange sie in dem Medizinischen Versorgungszentrum tätig sind.“
Der 14. Ausschuss hat ergänzend ausgeführt:
Mit der Änderung wird zum einen klargestellt, dass in einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) angestellte Ärztinnen und Ärzte auch Gesellschafteranteile von Ärztinnen und Ärzten in dem MVZ übernehmen können, die nicht auf ihre Zulassung zugunsten einer Anstellung verzichtet, sondern ihren Vertragsarztstatus beibehalten haben. Zudem soll mit der Anfügung eines zusätzlichen Halbsatzes klargestellt werden, dass die Übernahme von Gesellschafteranteilen durch die in einem MVZ angestellten Ärztinnen und Ärzte jederzeit und damit nicht erst dann erfolgen kann, wenn die letzte gründungsberechtigte Ärztin bzw. der letzte gründungsberechtigte Arzt aus dem MVZ ausscheidet und damit der Wegfall der Gründungsvoraussetzungen droht. So kann beispielsweise bei einem von drei Vertragsärztinnen und Vertragsärzten gegründeten MVZ bereits beim Ausscheiden der ersten (Mit-)Gründerin bzw. des erstem (Mit-)Gründers deren bzw. dessen Gesellschaftsanteile von einer in dem MVZ angestellten Ärztin bzw. einem in dem MVZ angestellten Arzt übernommen werden.“
Der letzte Satz der Begründung des 14. Ausschusses ist extra als Beispielsfall gekennzeichnet worden.
Auf dieses Beispiel eine eingrenzende Auslegung zu stützen, welche im Wortlaut der Regelung nicht angelegt ist, dürfte einer gerichtlichen Überprüfung unter dem Gesichtspunkt eines Eingriffs in die Berufsausübungsfreiheit nicht standhalten. Denn ihr liegen keine nachvollziehbaren Gründe der Mengensteuerung zugrunde: Die Anzahl der Gesellschafter der Betreibergesellschaft eines MVZ sagt nichts aus über die Anzahl der Versorgungsaufträge, mit denen das MVZ in der kassenärztlichen Leistungserbringung tätig ist. Auch ist die eingrenzende Auslegung nicht erforderlich im Hinblick auf die Freiheit Medizinischer Versorgungszentren von wirtschaftlichen Interessen (Private Equity usw.). Denn die Vorschrift des § 95 Abs. 6 Satz 5 SGB V i.d.F.d. TSVG setzt ja gerade voraus, dass der übernehmende Gesellschafter selbst angestellter Arzt in dem MVZ ist. Es gibt deshalb auch unabhängig vom klaren Wortlaut der Regelung keinen nachvollziehbaren Grund dafür, dass die Gründereigenschaft nur perpetuiert werden könne, wenn einer der Ärzte erster Generation gleichzeitig aus dem MVZ ausscheidet.
Im Übrigen ist folgendes richtig: Ein GmbH-Gesellschafter ist nie als Naturperson Mitglied der Gesellschaft, er kann also auch nicht selbst „ausscheiden“. Ein GmbH-Gesellschafter hält Geschäftsanteile an einer juristischen Person. In dem Umfange, in dem er Gesellschaftsanteile überträgt, gibt er seine Rechtsstellung auf.
Es ist der Standardfall der als GmbH organisierten, ärztlich getragenen Medizinischen Versorgungszentren, dass ein Altgesellschafter nicht alle Gesellschaftsanteile in dem Moment abgibt, in dem ein neuer Gesellschafter Anteile übernimmt. Vielmehr wird eine Übergangsphase gewählt, in der der Hinzutretende bereits Gesellschaftsanteile erhält, die Altgesellschafter jedoch gleichfalls Anteile halten. Im Einklang mit der Neuregelung in § 95 Abs. 6 Satz 5 SGB V kann das wie folgt gestaltet werden: Der Neugesellschafter wird auf einer Anstellungsgenehmigung mit 20 Stunden angestellt, der Altgesellschafter reduziert seine Tätigkeit entsprechend von 40 auf 20 Stunden. Der Neugesellschafter übernimmt Gesellschaftsanteile des Altgesellschafters und seiner Partner. Alle gründungsberechtigten Partner scheiden also mit einem Teilanteil aus der Gesellschaft aus, der insgesamt dem Anteil entspricht, den der neu Beitretende erhält. Es erfolgt also ein „Ausscheiden“ aller Ärzte im Umfang des Beteiligungsanteils des neu Beigetretenen, aber es scheidet eben keine Naturperson aus (kein Arzt scheidet aus), weil der Arzt nie als Naturperson Mitglied der GmbH war.
Die eingrenzende Auffassung der KVB auf das „Ausscheiden“ einer Naturperson reflektiert diese gesellschaftsrechtlichen Gegebenheiten nicht, obwohl § 95 Abs. 1 SGB V die GmbH als Trägerrechtsform eines MVZ ausdrücklich zulässt!
Die Rechtsauffassung ist auch deshalb unzutreffend, weil sie als Konsequenz hätte, dass die Kopfzahl der MVZ-Gesellschafter gleichbleiben, mithin immer ein Gesellschafterwechsel gegeben sein müsste. Auch das ist vom Gesetzgeber mit keinem Wort geregelt worden und auch nicht gewollt gewesen.
Die Auffassung konterkariert zudem die Bedürfnisse der Praxis: In der Praxis sind die MVZ-GmbHs die stark zunehmende Träger-Rechtsform der MVZ. Dies liegt am Investitionsvolumen größerer Praxen aber auch an der Tatsache, dass jüngere Ärzte (vor allem Frauen) die Übernahme eines Gesellschaftsanteils mit unbeschränkter persönlicher Haftung scheuen und deshalb nicht gewillt sind, in ein MVZ einzutreten, welches als GbR zugelassener Ärzte geführt wird.
Ärztegesellschaften müssen ihren „Nachwuchs“ heute dann akquirieren und eingliedern können, wenn es in die Lebensplanung der jungen Kollegen passt. Dies ist häufig genau nicht der Zeitpunkt, in dem auch ein Altgesellschafter ausscheiden möchte: Die jungen Ärzte legen Wert darauf, die wirtschaftliche Erfahrung der „Altgesellschafter“ noch genießen zu können. Das wird zunichtegemacht und die jungen Kollegen dadurch vom Eintritt in den ambulanten Versorger abgehalten – die Intention des Gesetzgebers wird ins Negative verkehrt. Die Weichenstellung der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns ist zudem angesichts des extremen Nachbesetzungsdrucks in der Versorgungslandschaft in Bayern fatal und überraschend. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil die nun aufgestellte Forderung, ein Altarzt müsse ausscheiden, damit der angestellte „Neuarzt“ nach Ankauf von Gesellschafteranteilen den Gründerstatus erhalte, im Gesetzgebungsprozess zu keinem Zeitpunkt diskutiert wurde. Die Ärztegesellschaften haben bereits umfangreiche vertragliche Vorarbeiten geleistet, um Neugesellschafter zeitnah den Trägergesellschaften beitreten zu lassen.
Die Auslegung der KVB bewirkt so auch eine Benachteiligung der ärztegetragenen MVZ-GmbH gegenüber den krankenhausgetragenen Gesellschaften, was gleichfalls schwerlich die Intention des Gesetzgebers gewesen sein kann!
Fazit
Eine Erleichterung der Übertragung von Gesellschaftsanteilen auf nachfolgende Ärztegenerationen und damit ein Nachrücken der in medizinischen Versorgungszentren angestellten Jungärzte als Gesellschafter – wie vom Gesetzgeber vorgesehen- wird mit der restriktiven Auslegung des § 95 Abs. 6 Satz 5 SGB V i.d.F.d. TSVG durch die Kassenärztliche Vereinigung Bayern umgangen.
Dr. Ute Pittrof
Rechtsanwältin