Neues zum Honorararzt/-zahnarzt: Pool-Arzt im vertragszahnärztlichen Notdienst nicht automatisch selbstständig

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Neues zum Honorararzt/-zahnarzt: Pool-Arzt im vertragszahnärztlichen Notdienst nicht automatisch selbstständig

Das Bundessozialgericht hat am 24.10.2023 (B 12 R 9/21 R) zur Tätigkeit eines freiberuflichen Honorarzahnarztes entschieden. Die Tätigkeit des Zahnarztes im Rahmen eines durch die kassenzahnärztliche Vereinigung Baden-Württemberg (nachfolgend KZV BW) organisierten Notdienstes wurde als abhängige Beschäftigung für die KZV BW bewertet. Dieses führt zu einer Sozialversicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung, sofern kein Befreiungstatbestand im Einzelfall gegeben ist.

I. Entscheidung des Bundessozialgerichtes

bislang liegt die Entscheidung des Bundessozialgerichtes im Volltext noch nicht vor. Der veröffentlichten Terminvorschau sowie dem Terminbericht können jedoch zusammenfassend der Sachverhalt sowie die wesentlichen Entscheidungsgründe entnommen werden. Alleine die Reichweite darüber hinaus ist noch nicht klar. Darüber werden die Entscheidungsgründe möglicherweise weiteren Aufschluss ergeben.

1. Sachverhalt

Der Entscheidung des Bundessozialgerichtes liegt im wesentlichen folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Kläger ist Zahnarzt und war nach dem Verkauf seiner Praxis nicht mehr zur vertragszahnärztlichen Versorgung zugelassen. In der Zeit vom 20.01.2018 bis zum 19.04.2019 war der klagende Zahnarzt für die KZV BW als Zahnarzt im Rahmen des Notdienstes tätig. Die KZV BW betreibt ein Notfalldienstzentrum in von ihr angemieteten und von ihr mit Geräten, Material und Personal ausgestatteten Räumlichkeiten. Der Notdienst wurde sowohl durch die an der zahnärztlichen Versorgung teilnehmenden Zahnärzte als auch durch nicht zugelassene Zahnärzte – so dann auch durch den Kläger – durchgeführt. Der Kläger übte seine Tätigkeit in konkreten Schichten aus. Hierbei unterstützten ihn ein bis zwei zahnmedizinische Fachangestellte, die Assistenz- und Dokumentationstätigkeiten ausführten. Hierfür erhielt der Kläger abhängig von der jeweiligen Schicht pro Stunde eine Vergütung in Höhe zwischen 34 EUR und 50 EUR.

Auf einen Statusfeststellungsantrag des Klägers hin stellte die Deutsche Rentenversicherung Bund (nachfolgend DRV) fest, dass die Tätigkeit des Klägers im Notfalldienstzentrum nicht im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses ausgeübt worden sei und deswegen auch keine Versicherungspflicht in der Sozialversicherung bestanden hätte.

Die gegen diese Entscheidung gerichtete Klage blieb in der ersten und in der zweiten Instanz erfolglos. Die Revision war jedoch erfolgreich. Es wurde festgestellt, dass der Kläger in seiner Tätigkeit für die beigeladene KZV BW aufgrund abhängiger Beschäftigung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag.

2. Gründe

Ausweislich des Terminberichtes stützt sich die Entscheidung des Bundessozialgerichtes im Wesentlichen auf eine Weisungsabhängigkeit des Klägers. Er war nicht berechtigt, im Verhinderungsfall eine Vertretung zu organisieren. Ihm war kein unternehmerischer Spielraum eingeräumt. Abgesehen vom Kernbereich der medizinischen Behandlung war seine Tätigkeit fremdbestimmt. Im Übrigen war auch keinem nennenswerten Unternehmerrisiko ausgesetzt. Er erhielt einen festen Lohn für geleistete Einsatzstunden und hatte keinen Verdienstausfall zu befürchten.

Eine Abweichung von dieser Beurteilung als abhängige Beschäftigung ergibt sich nach Auffassung des Bundessozialgerichtes auch nicht aus den Besonderheiten des Vertrags(zahn)arztrechtes. Maßgeblich für die Bestimmung des sozialversicherungsrechtlichen Status sind die Gesamtumstände des Einzelfalls. Selbst wenn die Notdiensttätigkeit aufgrund eines Verwaltungsaktes erbracht worden wäre, würde allein dadurch eine Beschäftigung nicht ausgeschlossen. Zudem war der Kläger auch nicht dazu berechtigt, die von ihm im Notdienst erbrachten Leistungen individuell abzurechnen. Er war nicht in die Strukturen des Vertragsarztsystems einbezogen, sondern erhielt eine feste Stundenvergütung.

II. Einordnung

Die Entscheidung des Bundessozialgerichtes zur Tätigkeit eines Pool-(Zahn)Arztes reiht sich in die bisherigen Entscheidungen des Bundessozialgerichtes zur Tätigkeit von Honorarärzten sowohl im ambulanten als auch im stationären Bereich ein und ist vor diesem Hintergrund nicht überraschend. Von wenigen Ausnahmen abgesehen ist nach der bisherigen Rechtsprechung die Tätigkeit eines Honorararztes regelmäßig als abhängige Beschäftigung anzusehen (z.B. B 12 KR 29/19 R, B 12 KR 1/21 R). Sobald eine Tätigkeit auf fremden Namen und fremde Rechnung ohne eigenen Einsatz nennenswerter Mittel und ohne nennenswertes eigenes Risiko erfolgt, ist das Urteil „gefällt“. Dass sodann klassische Merkmale einer Weisungsunterworfenheit gleichwohl fehlen können, wird dann als irrelevant eingestuft. Das gilt namentlich für die Dispositionsbefugnis im Hinblick auf die Verfügbarkeit des Dienstleistenden jenseits eines konkret vereinbarten Termins. Das ist aber (leider) nichts Neues.

Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist allerdings, dass hier nicht die Tätigkeit für eine vertragszahnärztliche Praxis oder ein Krankenhaus und damit die abhängige Beschäftigung bei einem anderen Arzt/Zahnarzt oder einem Krankenhausträger festgestellt wurde, sondern die abhängige Beschäftigung für die KZV BW. Die DRV selbst hatte diese Tätigkeit als sogenannter Pool-Zahnarzt als selbstständige Beschäftigung eingestuft. Insofern gestaltete sich hier die Konstellation mit spiegelverkehrten Vorzeichen. Zielt normalerweise die Rentenversicherung auf eine abhängige Beschäftigung und der Dienstleistende wie dessen Dienstgeber auf eine selbstständige Tätigkeit, war es hier umgekehrt. Hier bejahte die Sozialversicherung die Selbstständigkeit und begehrte der Dienstverpflichtete die abhängige Beschäftigung – schlussendlich mit Erfolg.

Die Entscheidung hat nunmehr zur Folge, dass sowohl die kassenzahnärztlichen Vereinigungen als auch die kassenärztlichen Vereinigungen, sofern sie dann den Notdienst selbst organisieren, ihr Modell überdenken und gegebenenfalls anpassen müssen. Ob dann allein die Risiko- und Chancenübernahme bzw. die Abrechnung auf eigenen Namen und Rechnung hinreicht, darf dabei aber nicht als selbstverständlich angesehen werden. Urteile aus den unteren Instanzen zeigen eine Tendenz auf, dass nicht mehr viel dazu fehlt, dass die Einstufung als abhängige Beschäftigung bald aus der bloßen „Art“ der medizinischen Tätigkeit folgen könnte, sodass eine Umgestaltung unter Umständen nur zusammen mit Statusfeststellungsverfahren sinnvoll kombiniert werden kann. Dabei haben solche Verfahren eine gewisse Erleichterung erfahren, als dass die Klärungen für eine ganze Gruppe gleichartig tätiger Dienstverpflichteter erfolgen kann. Hier bietet es sich dann an, von dieser verfahrensrechtlichen Neuerung Gebrauch zu machen.

Der einzelne Pool-Arzt/Zahnarzt sollte spätestens jetzt, sofern er die Zuführung von Beiträgen im Versorgungswerk sicherstellen will, in Betracht ziehen, vorsorglich einen Antrag auf Befreiung von der Pflicht zur Rentenversicherung zugunsten des berufsständischen Versorgungswerkes stellen. Dieses ist nunmehr lediglich elektronisch möglich. Abzuwägen sind dann allerdings etwaige Weiterungen eines solchen Antrags, die davon abhängen, wie sich der bisherige Vollzug ausgestaltete und dann ggf. auch für die Vergangenheit zugunsten der gesetzlichen Rentenversicherung korrigiert wird, für welche der Befreiungsantrag keine Wirkung mehr entfalten kann.

Auch wenn es sie sich um eine Einzelfallentscheidung handelt, zeigt diese Entscheidung wiederum, dass die Beschäftigung eines vermeintlich freiberuflich selbstständigen Arztes bezüglich der Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen risikobehaftet ist und das gilt mehr und mehr für sämtliche Gestaltungen bei denen nicht die Merkmale einer selbstständigen Tätigkeit absolut überwiegen, also Tätigkeit auf eigenen Namen, eigene Rechnung, eigenes Risiko und mit eigenen Mitteln an eigener Betriebsstätte. Alle anderen Konstellationen geraten in den Sog einer Rechtsprechung, die frühere Beschränkungen und Abwägungen nach und nach aufhebt und für die noch nicht absehbar ist, wo sie stoppt bzw. gestoppt wird.

 

Tanja Koopmann-Röckendorf, LL.M.oec.
Rechtsanwältin
zugleich Fachanwältin für Arbeitsrecht und für Sozialrecht