Erfolg vor Gericht: Sozialgericht stärkt Rechte von Krankenhäusern bei Mindestmengenregelungen
1. Einleitung
Das Sozialgericht Düsseldorf hat in einem Beschluss vom 6. Dezember 2024 (Az. S 27 KR 1751/24 KH ER) die Rechte von Krankenhäusern im Umgang mit den strengen Mindestmengenregelungen gestärkt. Diese Entscheidung unterstützt die Versorgungsangebote für Patienten durch Kliniken, die sich angesichts angepasster Mindestmengen im Vorfeld des KHVVG mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sehen. Sie unterstreicht, dass die Widerlegung der Prognosen nicht allein auf zu geringe Fallzahlen in der Vergangenheit gestützt werden kann und schützt die Planungshoheit der Länder davor, durch eine restriktive Auslegung der Mindestmengenregelungen unterlaufen zu werden.
2.Problemstellung
In Deutschland sind Krankenhäuser dazu verpflichtet, für bestimmte medizinische Leistungen sogenannte Mindestmengen zu erreichen. Diese Regelungen, die durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) festgelegt werden, können dazu führen, dass Kliniken Leistungen nicht mehr anbieten dürfen, wenn sie die Mindestmengen nicht erfüllen.
Mindestmengenregelungen wurden eingeführt, um die Versorgungsqualität bei komplexen medizinischen Eingriffen zu sichern. Diese Anforderungen wurden in den letzten Jahren zunehmend erweitert und verschärft, um sicherzustellen, dass solche Leistungen nur in Kliniken mit ausreichend Erfahrung und Routine durchgeführt werden.
Mindestmengen gelten derzeit für komplexe medizinische Leistungen wie chirurgische Eingriffe an der Leber, Niere, Speiseröhre und Bauchspeicheldrüse, sowie für die Stammzelltransplantation. Sie betreffen außerdem orthopädische Eingriffe wie Kniegelenks-Totalendoprothesen und die Versorgung von Früh- und Reifgeborenen mit einem Geburtsgewicht von unter 1.250 Gramm. Weitere Regelungen gelten für die Behandlung von Brustkrebs und Lungenkarzinomen, um die Versorgungsqualität durch erfahrene, spezialisierte Teams sicherzustellen.
Insgesamt sind die Mindestmengenregelungen in den letzten Jahren ausgebaut worden, sowohl in Bezug auf die Anzahl der betroffenen Bereiche als auch auf die geforderten Fallzahlen. Diese Entwicklung spiegelt den wachsenden Anspruch an eine Vermutung zugunsten einer hohen Behandlungsqualität wider, stellt jedoch die Gewährleistung einer flächendeckenden Versorgung in Frage, weil es keinen anderen Qualitätsnachweis als die Menge gibt, selbst wenn diese anderweitig gesichert wie belegbar wäre.
Krankenhäuser, die Mindestmengenregelungen unterliegen, sind folglich verpflichtet, eine fundierte Prognose zur erwarteten Fallzahl für das kommende Jahr abzugeben, um ihre Leistungsfähigkeit nachzuweisen. Dabei können notwendigerweise Änderungen im Versorgungsumfeld Bedeutung gewinnen, die auch aus anstehenden planerischen Entscheidungen resultieren können.
3.Der Fall
Der vorliegende Fall betraf den Bereich der chirurgischen Behandlung von Lungenkarzinomen (Thoraxchirurgie). Nachdem bis zum Jahr 2024 eine Übergangsregelung mit 40 Eingriffen pro Jahr galt, ist ab dem Jahr 2025 eine Mindestmenge von 75 Eingriffen vorgeschrieben.
Das von PPP vertretene Krankenhaus gab in seiner Prognose gegenüber den Krankenkassen an, die für das Jahr 2025 zu erreichende Fallzahl von 75 Leistungen zu erreichen.
Die Krankenkassen äußerten jedoch Zweifel an der Prognose des Klinikums, da die Mindestmengen in der Vergangenheit nicht erreicht wurden. Das Krankenhaus hatte im Jahr 2023 weniger als 60 Leistungen und diesen Wert in Q3 und Q4 2023 sowie Q1 und Q2 2024 zusammen auch nicht überschritten. Damit wurde zwar die für das Jahr 2024 erforderliche Mindestmenge erreicht, nicht jedoch die ab dem Jahr 2025 geltende Mindestmenge von 75 Leistungen. In einem Bescheid untersagten die Krankenkassen dem Klinikum die Abrechnung entsprechender Leistungen für das Jahr 2025.
Das Klinikum widersprach dem Bescheid mit der Begründung, dass es im Zuge der Krankenhausplanung des Landes Nordrhein-Westfalen zu strukturellen Veränderungen kommen werde. Der Wegfall eines konkurrierenden Leistungserbringers und eine geplante Zuweisung durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales (MAGS) im Rahmen der Krankenhausplanung NRW (2022) würden zu einer deutlichen Fallsteigerung führen. Den Erhalt der für den Bereich der Thoraxchirurgie maßgeblichen Leistungsgruppe 15.1 in einem Umfang von 75 Leistungen hatte das MAGS dem Krankenhaus im Rahmen des Anhörungsverfahrens bereits konkret in Aussicht gestellt.
Hinzu kam, dass die Krankenkassen die Prognosen anderer Krankenhäuser nicht widerlegten, die vergleichbare Fallzahlen aufwiesen und im neuen Krankenhausplan nicht für die Leistungsgruppe 15.1 vorgesehen waren.
4.Die Entscheidung
Das Sozialgericht Düsseldorf ordnete die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Bescheide der Krankenkassen an. Zutreffend habe die Antragstellerin darauf hingewiesen, dass das Nichterreichen der maßgeblichen Mindestmenge im vorausgegangenen Kalenderjahr allein zur Widerlegung der Prognose nicht ausreiche. Vielmehr müsse kumulativ („und“) hinzukommen, dass auch unter Berücksichtigung aller weiteren Kriterien gemäß § 4 Abs. 2 S. 2 bis 4 Mm-R konkrete, objektive Umstände der Richtigkeit der getroffenen Prognose widersprechen.
Dies sei vorliegend nicht der Fall. Insbesondere habe der Umsetzungsprozess zur Krankenhausplanung NRW nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. Dies gelte, obwohl sich die Krankenhausplanung zum maßgeblichen Zeitpunkt noch im Stadium des Anhörungsverfahrens befunden habe.
Das Gericht stellte konkret fest, dass die Prognose des MAGS eine hinreichend verfestigte Grundlage für die Annahme einer Fallsteigerung und damit die voraussichtliche Einhaltung der Mindestmengen darstelle. Es kritisierte, dass die Krankenkassen diese Prognose unzureichend berücksichtigt hatten. Die Entscheidung der Krankenkassen, die Prognose des Klinikums zu widerlegen, wurde als rechtswidrig eingestuft, da sie sich zu einseitig auf die Fallzahlen in den vergangenen Jahren stützte.
Das Gericht hob hervor, dass die Planungshoheit der Länder nicht durch einseitige Entscheidungen der Krankenkassen untergraben werden dürfe. Insbesondere betonte das Gericht, dass das Klinikum durch den Wegfall anderer Leistungserbringer in der Region voraussichtlich eine zentrale Rolle in der thoraxchirurgischen Versorgung übernehmen werde. Ein der Krankenhausplanung gegenläufiger Widerlegungsbescheid würde die Planungshoheit des Landes faktisch aushöhlen. Die Kassen hätten zwar das Recht und die Pflicht, eine unbegründete Prognose zu widerlegen. Damit sei jedoch kein Recht zur Marktsteuerung für die Kassen verbunden.
5.Bewertung
Dieser Beschluss des Sozialgerichts Düsseldorf ist zu begrüßen. Er verdeutlicht, dass die Qualitätssicherung und die Planungshoheit der Länder Hand in Hand gehen müssen, ohne dass einzelne Kliniken durch eine starre oder vergangenheitsbezogene Auslegung der Regelungen benachteiligt werden.
Durch das KHVVG und die damit einhergehende Neuausrichtung der Krankenhausplanung wird es in den kommenden Jahren zu weitreichenden Veränderungen in der Krankenhauslandschaft kommen. Der Beschluss des Sozialgerichts macht deutlich, dass diese strukturellen Veränderungen bei der Beurteilung von Prognosen und Mindestmengen zwingend zu berücksichtigen sind. Krankenhäuser sollten daher sicherstellen, dass die Auswirkungen der Krankenhausplanung in ihren Prognosen darlegen.
Der Beschluss ist rechtskräftig. Auch das Hauptverfahren ist durch eine Rücknahme des Widerlegungsbescheids mittlerweile erledigt.
Prof. Dr. Andreas Penner Dr. Steffen Müller, LL.M.
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