Potenzial für NUB mit Potenzial: Hilft das Bundesverfassungsgericht der BSG-Rabulistik ab?

Potenzial für NUB mit Potenzial: Hilft das Bundesverfassungsgericht der BSG-Rabulistik ab?

Zur Demontage des § 137c Abs. 3 SGB V durch Kassel und Hoffnungen auf Karlsruhe:  BSG, Urt. vom 24.04.2018, B 1 KR 10/17 vs. BVerfG, Beschl. vom 06.06.2018, 1 BvL 7/14 u. 1 BvR 1375/14

Die für die stationäre Versorgung zuständigen Richter des BSG erschweren seit längerer Zeit die stationäre Versorgung mit sog. NUB (neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden). Das hatte bereits den Gesetzgeber auf den Plan gerufen und zur Regelung des § 137c Abs. 3 SGB V geführt. Behandlungsmethoden mit Potenzial sollten erbracht werden können, auch wenn deren Nutzen noch nicht nach dem Gold-Standard evidenzbasierter Medizin belegt war. Schon damals war zu erwarten, dass die Bindung an das Gesetz durch den zuständigen Senat variabel gehandhabt würde. Das ließen öffentliche Äußerungen von Senatsrichtern erwarten, die NUB in Krankenhäusern als „qualitätsfreie Zone“ einstuften. So kam es auch. Bereits angedeutet in der Entscheidung vom 19.12.2017, B 1 KR 17/17 R, Rn. 23, wurde in der Entscheidung des BSG vom 24.04.2018, B 1 KR 10/17, der § 137c Abs. 3 SGB V in seinem Gehalt negiert und ihm ein vermeintlich verfassungswidriger Inhalt attestiert.

Diese Behauptung eines verfassungswidrigen Inhaltes wurde durch vielgestaltige Argumentationsansätze begründet, doch in rabulistischer Manier unter Verletzung der Kompetenzen des Bundesverfassungsgerichtes und des Gesetzgebers aufgestellt. Der Gesetzgeber hat nämlich über die letzten Jahrzehnte hinweg ein differenziertes System für NUB entstehen lassen, das namentlich im Vergleich zwischen den Leistungsbereichen (z. B. ambulante ärztliche Leistungen, ambulante Arzneimittelversorgung und stationäre Behandlung) zwar einiges an Brüchen und Widersprüchlichkeiten aufweist. Das ist aber vor allem Ausdruck dessen, wie schwierig die Balance zwischen Innovationsförderung, Qualität und Wirtschaftlichkeit zu finden ist. § 137c Abs. 3 SGB V ist eine dieser Bestimmungen, die zwar auf Widersprüchlichkeiten hinweist, jedoch selbst eine vermittelnde Lösung befördert und sicher keinen verfassungswidrigen Gehalt aufweist. Diese differenzierte Struktur des NUB-Rechts hat das BSG hier aber willkürlich ausgeblendet. Hätte das BSG auf seine Argumente vertraut, hätte es zudem der für solch einen Fall vorgesehenen Verpflichtung zur Einschaltung des Bundesverfassungsgerichtes nachkommen können und die nachfolgende Entscheidung des Gesetzgebers akzeptieren können. Stattdessen wurden diese Instanzen, leider nicht zum ersten Mal, umgangen.

Mit dieser Feststellung würde die Einordnung der Entscheidung an sich ihr Ende finden, da eine Korrektur durch das Bundesverfassungsgericht zwar als möglich, doch nicht unbedingt wahrscheinlich einzustufen war, sodass auf ein erneutes Eingreifen des Gesetzgebers zu warten wäre. Allerdings erging nur sechs Wochen später ein Beschluss eben des Bundesverfassungsgerichtes, der Hoffnung macht: im Allgemeinen auf eine stärkere Würdigung gesetzgeberischer Motive in zukünftiger höchstrichterlicher Rechtsprechung und im Speziellen für schwer Erkrankte und Krankenhäuser, deren Ärzte sich durch Einsatz innovativer Methoden um die Realisierung des Eides des Hippokrates bemühen. Sie haben nun trotz der konterkarierenden BSG-Rechtsprechung zumindest eine Chance. Diese Chance liegt in Instanzgerichten, die sich per Rückgriff auf die Maßgaben des Bundesverfassungsgerichtes stärker dem Gesetz als dem BSG verbunden sehen. Weiterhin liegt sie in Karlsruhe selbst, sei es über den steinigen Weg bis hin zu einer Verfassungsbeschwerde, sei es per schnellerem Entscheidungsweg ohne die wiederholte Befassung des BSG durch klug gestaltete Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes oder der konkreten Normenkontrolle.

Nachfolgend wird dargestellt, worauf sich diese Hoffnung im Einzelnen gründen lässt:

 

I. § 137c Abs. 3 SGB V idF des GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes mit Wirkung vom 23.07.2015

Die Entscheidung des BSG zum Az. B 1 KR 10/17 ist durch einen Streit über die Gewährung einer stationären Liposuktion veranlasst. Die Liposuktion begehrte die Klägerin aufgrund einer massiv belastenden Lipödem-Erkrankung. Im Mittelpunkt stand die Auslegung des § 137c Abs. 3 SGB V. Diese Norm lässt für die Phase, in welcher noch ausreichend Belege für bzw. wider eine Behandlungsmethode fehlen, im Fall stationärer Behandlung das Potenzial einer Behandlungsmethode genügen. Dieser reduzierte Evidenzgrad weicht von den Anforderungen ambulanter Behandlungen ab, ähnelt jedoch z. B. dem strukturell ähnlichen Konzept für Fertigarzneimittel, bei jedoch weit schärfer ausgestalteten Wirtschaftlichkeitsanforderungen. Die gesetzliche Konzeption sieht damit für den stationären Sektor eine vermittelnde Lösung vor, die zwischen restriktiven Innovations- und Wirtschaftlichkeitsmaßgaben ambulanter ärztlicher Versorgung und den innovationsfreundlichen und vergütungsrechtlich großzügigeren Maßgaben für die Arzneimittelversorgung steht.

Dem BSG ist indes die differenzierte Systematik der Evidenzanforderungen, jeweils soweit es die vermittelnde Lösung für stationäre Einrichtungen betrifft, ein Dorn im Auge. Das hat das BSG in der Vergangenheit schon häufiger erkennen lassen. Deswegen hatte der Gesetzgeber den § 137c Abs. 3 SGB V eingeführt, um dieser Rechtsprechungstendenz entgegenzutreten. Die Norm bestimmt hierzu (Hervorh. d. d. Verf.):

Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der Gemeinsame Bundesausschuss bisher keine Entscheidung nach Absatz 1 getroffen hat, dürfen im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt werden, wenn sie das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten und ihre Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, sie also insbesondere medizinisch indiziert und notwendig ist. Dies gilt sowohl für Methoden, für die noch kein Antrag nach Absatz 1 Satz 1 gestellt wurde, als auch für Methoden, deren Bewertung nach Absatz 1 noch nicht abgeschlossen ist.

 Der Gesetzgeber hat dazu in BT-Drs. 18/4095, S. 121 f., ausgeführt:

Durch die Ergänzung eines dritten Absatzes in § 137c wird das in der Krankenhausversorgung geltende Prinzip der Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt konkreter im Gesetz geregelt. Die Regelung ist erforderlich, weil die Gesetzesauslegung in der jüngsten höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. etwa BSG, Urteil vom 21. März 2013, Az. B 3 KR 2/12 R) mit dem in § 137c zum Ausdruck gebrachten Regelungsgehalt in einem Wertungswiderspruch steht.  […]

Eine Methode, deren Nutzen nach Feststellung des Gemeinsamen Bundesausschusses zwar noch nicht hinreichend belegt ist, die aber das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet, kann nach den gesetzlichen Vorgaben im Rahmen der Krankenhausbehandlung weiterhin zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden. […] Bis zum Vorliegen dieser Erkenntnisse und einer abschließenden Entscheidung des Gemeinsamen Bundesausschusses bleibt es dabei, dass die Methode im Krankenhaus angewandt werden kann, insbesondere damit sie zur Versorgung der typischerweise schwerer erkrankten Versicherten mit besonderem Bedarf nach innovativen Behandlungsalternativen weiterhin zur Verfügung steht. Insoweit handelt es sich um eine Konkretisierung des allgemeinen Qualitätsgebots des § 2 Absatz 1 Satz 2.

Diese Wertentscheidung gilt es auch in dem Fall zu beachten, dass der Gemeinsame Bundesausschuss noch keine Überprüfung nach § 137c Absatz 1 durchgeführt hat. Es stünde mit dem dargestellten Konzept der grundsätzlichen Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt nicht in Einklang, wenn jede einzelne Krankenkasse im Einzelfall die Kostenübernahme für eine nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgende Behandlung mit einer Methode, die das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet, mit der Begründung ablehnen könnte, der Nutzen der angewandten Methode sei noch nicht hinreichend belegt. Ebenso wenig wie der Gemeinsame Bundesausschuss eine Methode mit Potential unmittelbar aus der Krankenhausversorgung ausschließen kann, kann eine solche negative Leistungsentscheidung stattdessen auf der Ebene der Einzelkasse erfolgen. Im neuen Absatz 3 wird daher nun ausdrücklich geregelt, dass innovative Methoden, für die der Gemeinsame Bundesausschuss noch keine Entscheidung getroffen hat, im Rahmen einer nach § 39 erforderlichen Krankenhausbehandlung zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen erbracht werden können. […]

 

II. BSG, Urt. v. 24.04.2018, B 1 KR 10/17 R

Bei unbefangener Lektüre des Gesetzestextes und der zu Grunde liegenden Motivlage meint man, dass Behandlungsmethoden mit Potenzial erbracht werden können. Nicht so das BSG:

1. Behandlungspotenzial

Die Demontage des § 137c Abs. 3 SGB V durch das BSG beginnt damit, dass es durch Gestaltung des Tatbestandes Empathie mit der Klägerin zu unterbinden sucht. Erwähnt ist nur die Methode der Liposuktion, gemeinhin also eine Fettabsaugung. Die Erwähnung der Methode löst nicht die Assoziation einer belastenden Erkrankung aus, sondern kosmetischer, medizinisch entbehrlicher Maßnahmen. Das zu Grunde liegende Leiden erschließt sich nur, wenn man den entsprechenden Tatbestandsteil der Vorinstanz liest (LSG, Baden-Württemberg, Urt. v. 31.08.2016, L 5 KR 609/16, Rn. 2 . Dort ist ausgeführt:   

Die 1986 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Am 13.06.2014 legte die Klägerin der Beklagten das nicht datierte Gutachten des Facharztes für Plastische Chirurgie Dr. R. (Diagnosen: drittgradiges Lipödem der Ober- und Unterschenkel, erstgradiges Lipödem der Oberarme), den Kostenvoranschlag des Dr. R. (Gesamtbetrag 4.051,71 €) und den Arztbrief des Internisten Dr. H. vor und beantragte die von Dr. R. vorgeschlagene stationäre Liposuktion. Ergänzend wies die Klägerin darauf hin, dass mit der Einnahme der Pille im Jahr 2003 ihre Gewichtsprobleme begonnen hätten und sich durch die Schwangerschaft nochmals verschlechtert habe. Vor der Schwangerschaft im Jahr 2010 habe sie 97 kg gewogen. Während der Schwangerschaft hätten dann die Beschwerden in den Beinen begonnen. Seitdem leide sie an starken Wassereinlagerungen, Problemen beim Laufen und ständigen Schmerzen. Obwohl sie regelmäßig Kompressionswäsche trage, einmal wöchentlich manuelle Lymphdrainage durchführe und zu Hause täglich ein Lympha -Pressgerät nutze, nehme der Umfang der Arme und Beine immer mehr zu. Sie habe täglich Spannungsgefühle in den Beinen und bekomme schon bei leichtester Berührung Hämatome. Wegen ihres äußeren Erscheinungsbildes schäme sie sich, unter Leute zu gehen. Zudem befürchte sie, ihren Beruf als Erzieherin nicht mehr ausüben zu können. Durch ihr Gewicht habe sie auch Folgekrankheiten wie beispielsweise hohen Blutdruck, Gelenkschmerzen sowie erhöhte Cholesterin- und Leberwerte. Leider habe auch die durchgeführte Ernährungsberatung von Februar bis Mai 2014 keinen Erfolg gehabt. Insoweit verwies sie auf das Gutachten der Diplom-Ernährungswissenschaftlerin M. vom 04.06.2014 (Größe der Klägerin: 160 cm; Gewicht zwischen 103,3 und 104,5 kg).

Ein Lipödem selbst ist also keine lebensgefährdende Erkrankung (vgl. Sächsisches LSG, Urt. v. 24.05.2018, L 9 KR 65/13, Rn. 33; LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 17.04.2018, L 11 KR 2695/16, Rn. 43; Hessisches LSG. Urt. v. 18.05.2017, L 8 KR 42/16, Rn. 26), indes eine Erkrankung, welche die Lebensqualität massiv mit chronisch fortschreitendem Verlauf beeinträchtigen kann. Bisher bestehen keine ursächlichen Heilungsmöglichkeiten und die symptombezogenen, anerkannten Ansätze (z. B. Lymphdrainage) bleiben mitunter ohne durchgreifende Wirkung. Dann verbleibt die hier umstrittene Liposuktion zwar nicht im eigentlichen Sinne ursächliche, doch im Erfolgsfall mit signifikanter Verbesserung der Lebensqualität verbundene Intervention. Trotz Einsatz seit den 90er Jahren ist die Studienlage jedoch nach wie vor nicht ausreichend für eine abschließende Bewertung nach den Maßgaben des GKV-Rechtes (zum Vorstehenden vgl. zsfd. G-BA, Tragende Gründe zur Richtlinie zur Erprobung der Liposuktion beim Lipödem vom 18.01.2018, S. 3).

Im Bereich der PKV sowie der Beihilfe ist die Erstattung schon längere Zeit möglich (s. z. B. VG Köln, Urt. v. 02.02.2017, 1 K 1983/16). Auch in der GKV wurde die Lipsouktion in Einzelfällen anerkannt. Zwischenzeitlich hat der G-BA in Kenntnis des „Leidensdrucks“ (vgl. Pressemitteilung vom 20.07.2017) außerdem eine Erprobungsrichtlinie beschlossen (Beschl. v. 18.01.2018). Mithin geht es nicht um eine nur leichte oder zumindest vorübergehende Erkrankung und es geht auch nicht um Wunderheilung oder eine Therapie mit wenig Chancen, vielmehr um einen prinzipiell aussichtsreichen Ansatz für austherapierte Patienten, die erheblich beeinträchtigt sind. Das Potenzial der Behandlungsmethode besteht (dies bestätigend: LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 17.04.2018, L 11 KR 2695/16, Rn. 39; ablehnend indes: SG Würzburg, Urt. v. 20.07.2017, S 6 KR 259/16, Rn. 27; LSG Rheinland-Pfalz, Urt. v. 18.05.2017, L 5 KR 95/15, Rn. 20). Auch schließt das Vorliegen einer Erprobungsmöglichkeit die Anwendung des § 137c Abs. 3 SGB V nicht aus (vgl. § 137c Abs. 3 Satz 2 SGB V u. obige Gesetzesbegründung – obiter dictum mit anderer Ansicht ohne Begründung: LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 17.04.2018, L 11 KR 2695/16, Rn. 36).

2. Begründung des BSG

Diese Ausprägung des Erkrankungsbildes und der Begrenzungen der in der GKV anerkannten Therapien hat das BSG jedoch nicht erkennbar reflektiert. Nicht nur bleibt der Hintergrund der Therapie unerwähnt, selbst der Stand des G-BA wird nicht vollständig wiedergegeben. Zwar wird die Absicht der Erprobung des G-BA erwähnt, der tatsächliche Beschluss der Erprobungsrichtlinie aber nicht mehr. Vielmehr geht das BSG weiter und hebelt das Ausreichen des Potenzials contra legem aus. Es stellt in den Entscheidungsgründen folgendes dar:

11

 

 

 

 

 

a) Der Anspruch Versicherter auf stationäre Krankenhausbehandlung aus § 27 Abs 1 S 2 Nr 5, § 39 Abs 1 S 1 SGB V unterliegt nach Wortlaut, Regelungssystem und Regelungszweck den sich aus dem Qualitätsgebot ergebenden Einschränkungen. Eine Absenkung der Qualitätsanforderungen für die stationäre Versorgung auf Methoden mit dem bloßen Potential einer Behandlungsalternative ergibt sich nicht aus § 137c Abs 3 SGB V (idF durch Art 1 Nr 64 Buchst b Gesetz zur Stärkung der Versorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung <GKV-Versorgungsstärkungsgesetz – GKV-VSG> vom 16.7.2015, BGBl I 1211, 1230, mWv 23.7.2015). Allein Hinweise in den Gesetzesmaterialien genügen nicht, um das Ergebnis aller anderen Auslegungsmethoden zu überspielen.

12

 

 

 

 

 

 

Dabei geht der erkennende Senat davon aus, dass der Leistungsanspruch der Versicherten auf Krankenhausbehandlung ein Individualanspruch und nicht lediglich ein bloßes subjektiv-öffentlich-rechtliches Rahmenrecht oder ein bloßer Anspruch dem Grunde nach ist. Seine Reichweite und Gestalt ergibt sich erst aus dem Zusammenspiel mit weiteren gesetzlichen und untergesetzlichen Rechtsnormen (stRspr; vgl zB BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29, RdNr 11 mwN; BSGE 117, 10 = SozR 4-2500 § 13 Nr 32, RdNr 8; BSGE 117, 236 = SozR 4-2500 § 11 Nr 2, RdNr 13; BSG Urteil vom 11.7.2017 – B 1 KR 30/16 R – Juris RdNr 11, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-2500 § 27 Nr 29 vorgesehen; vgl auch Hauck in Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Bd 1, Stand November 2017, § 13 SGB V RdNr 53 f). Hierzu gehören auch Regelungen des Leistungserbringungsrechts.

13
[…]
14
[…]
15
 

bb) Krankenhausbehandlung ist iS von § 39 SGB V konform mit dem Regelungssystem grundsätzlich nur dann erforderlich, wenn die Behandlung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht und notwendig ist (stRspr; vgl zB BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 14). Der Anspruch eines Versicherten auf Krankenhausbehandlung unterliegt nach dem Gesetzeswortlaut und dem Regelungssystem wie jeder Anspruch auf Krankenbehandlung grundsätzlich den sich aus dem Qualitäts- und dem Wirtschaftlichkeitsgebot ergebenden Einschränkungen (vgl § 2 Abs 1 S 3 SGB V und § 12 Abs 1 SGB V). Er umfasst in diesem Rahmen nur solche Leistungen, die zweckmäßig und wirtschaftlich sind und deren Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (BSGE 117, 10 = SozR 4-1500 § 13 Nr 32, RdNr 11; BSGE 113, 241 = SozR 4-2500 § 13 Nr 29, RdNr 13 mwN; Hauck, NZS 2007, 461, 466 ff). Ausnahmen vom Qualitätsgebot bestehen im Rahmen grundrechtsorientierter Leistungsauslegung – sei es verfassungsunmittelbar oder nach § 2 Abs 1a SGB V – und bei Seltenheitsfällen (stRspr; vgl zB BSGE 115, 95 = SozR 4-2500 § 2 Nr 4, RdNr 27 mwN) mit Auswirkungen sowohl für den Leistungsanspruch der Versicherten als auch für die Rechte und Pflichten der Leistungserbringer als auch der KKn.

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Das SGB V sichert auch im Recht der Leistungserbringung in seinem Vierten Kapitel „Beziehungen der Krankenkassen zu den Leistungserbringern“ die Beachtung des Qualitätsgebots. […]

 

17  

Gleiches gilt für die Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsverfahren im Krankenhaus: […]

18

 

 

 

 

 

Nach Wortlaut und Regelungssystem ändert auch die Norm des § 137c Abs 3 S 1 und 2 SGB V an den Anforderungen des Anspruchs Versicherter auf Krankenhausbehandlung nichts. […] Die Regelung trifft bereits nach ihrem Wortlaut („dürfen … angewendet werden“) – anders als zB jene des § 2 Abs 1a SGB V (Versicherte „können … beanspruchen“) – keine Aussage zu Leistungsansprüchen der Versicherten; sie setzt diese vielmehr voraus. Sie können sich etwa aus Ansprüchen Versicherter auf Krankenhausbehandlung bei grundrechtsorientierter Leistungsauslegung (vgl zB § 2 Abs 1a iVm § 27 Abs 1 S 1, § 27 Abs 1 S 2 Nr 5 und § 39 Abs 1 SGB V) ergeben.

19
 

cc) […]Eine Behandlungsmethode gehört dementsprechend grundsätzlich erst dann zum Leistungsumfang der GKV, wenn die Erprobung abgeschlossen ist und über Qualität und Wirkungsweise der neuen Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. […]

20  

Das Gesetz garantiert zugleich mit der Sicherung des Qualitätsgebots die Gleichbehandlung der Versicherten, um den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) zu beachten. […]

21
 

Um das Ziel der Rechtsanwendungsgleichheit im Leistungsrecht der GKV zu erreichen, regelt das Gesetz nicht nur gleiche Rechtsansprüche der Versicherten auf Krankenbehandlung. Es garantiert den Versicherten auch deren Realisierung, nach Wortlaut, Regelungssystem und Regelungszweck einheitlich und eindeutig ausgerichtet am Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1 S 3 SGB V), erweitert um die Fälle grundrechtsorientierter Auslegung (vgl zB BSG Urteil vom 20.3.2018 – B 1 KR 4/17 R – für SozR vorgesehen) […] Das SGB V kennt nach Wortlaut, Regelungssystem und Regelungszweck keine gleichen Garantien für Krankenbehandlung Versicherter mit Methoden, die lediglich das Potential einer Behandlungsalternative haben. Die Gerichte sind bei dieser klaren Gesetzeslage an einer Rechtsfortbildung contra legem gehindert (vgl zu den Grenzen Hauck in Masuch/Spellbrink/Becker/Leibfried <Hrsg>, Grundlagen und Herausforderungen des Sozialstaats – Denkschrift 60 Jahre Bundessozialgericht, Band 2: Bundessozialgericht und die Sozialstaatsforschung – Richterliche Wissensgewinnung und Wissenschaft, 2015, 299, 300 ff).

22
 

Wollte man entgegen Wortlaut, Regelungssystem und Regelungszweck auch Potentialleistungen nach § 137c Abs 3 SGB V in die Ansprüche Versicherter auf Regelversorgung einbeziehen, wäre eine sachwidrige Ungleichbehandlung Versicherter die Folge. […]

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Das Gesetz sieht Abweichungen von den aufgezeigten Garantien der Krankenbehandlung Versicherter nach dem Qualitätsgebot (§ 2 Abs 1 S 3 SGB V) nur außerhalb der Regelversorgung der GKV bei einer Zusatzversorgung aus besonderen sachlichen Gründen vor.So eröffnet die Regelung der Erprobungsrichtlinien (vgl § 137e SGB V) des GBA den Versicherten […] an der Anwendung nicht dem allgemeinen Erkenntnisstand entsprechender Methoden zulasten der GKV teilzunehmen […] Die Ungleichbehandlung Versicherter, die sich aus der eingeschränkten Verfügbarkeit der Leistung ergeben kann, ist wegen des mit der Erprobung verknüpften wichtigen öffentlichen Zwecks und des nur vorübergehenden Ausnahmefalls aufgrund notwendiger Befristung der Erprobung verfassungsrechtlich gerechtfertigt.

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Auch die Regelung der Genehmigungsfiktion (vgl § 13 Abs 3a SGB V und hierzu BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33; BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 36 und 37; BSG Urteile vom 26.9.2017 – B 1 KR 6/17 R und B 1 KR 8/17 R – beide Juris; BSG Urteil vom 7.11.2017 – B 1 KR 24/17 R – für BSGE und SozR vorgesehen) kann als durch rechtmäßiges Verwaltungshandeln vermeidbare Sanktion in eng begrenzten Ausnahmefällen zu Abweichungen vom Qualitätsgebot führen. […] Wiederum rechtfertigen der zugrunde liegende wichtige öffentliche Zweck und die Enge der hierzu erforderlichen, vermeidbaren Ausnahme die darin liegende Ungleichbehandlung Versicherter.

25

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

dd) Soweit die Gesetzesmaterialien zu einem von Vorstehendem abweichenden Ergebnis führen, vermag der erkennende Senat dem nicht zu folgen. Gesetzesmaterialien sind mit Vorsicht, nur unterstützend und insgesamt nur insofern heranzuziehen, als sie auf einen objektiven Gesetzesinhalt schließen lassen und im Gesetzeswortlaut einen Niederschlag gefunden haben. Daran fehlt es. Nach den Gesetzesmaterialien sollten „Methoden mit dem Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative“ im Rahmen der Krankenhausbehandlung zulasten der KKn erbracht werden können, insbesondere damit sie zur Versorgung typischerweise schwerer erkrankter Versicherter mit besonderem Bedarf nach innovativen Behandlungsalternativen zur Verfügung stünden (vgl Entwurf der Bundesregierung eines GKV-VSG, BR-Drucks 641/14 S 147 f zu Nr 64 <§ 137c SGB V> Buchst b). Dies gewährleiste die Teilhabe der Versicherten am medizinischen Fortschritt auch außerhalb von Studien (Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit – 14. Ausschuss – zum Entwurf eines GKV-VSG, BT-Drucks 18/5123 S 135 zu Nr 64 <§ 137c SGB V> Buchst b). Besteht – wie hier – eine Diskrepanz, muss dem Gesetzeswortlaut, dem Regelungssystem und dem Regelungsziel der Vorrang zukommen (stRspr; vgl zB BVerfGE 62, 1, 45; BVerfGE 119, 96, 179; BSG SozR 4-2500 § 62 Nr 8 RdNr 20 f; Hauck/Wiegand, KrV 2016, 1, 4). Die Erweiterung der Regelversorgung der stationären Krankenhausbehandlung auf Methoden mit Potential ohne die im bisherigen System vorgesehenen Garantien, die ausdrücklich lediglich für Leistungen entsprechend dem Qualitätsgebot gelten, würde zudem den allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG), das Gebot der Rechtsanwendungsgleichheit für Versicherte (vgl dazu oben, unter II. 3. a cc) verletzen.

3. Würdigung der BSG-Argumente

Diese Argumente des Bundessozialgerichtes vermögen an keiner Stelle zu überzeugen. Die nicht nur punktuelle, sondern sich wie an einer Perlenschnur aneinanderreihenden Unvereinbarkeiten mit dem Gesetz, Kompetenzen und eigenen sonstigen Entscheidungen sind Hinweise darauf, dass der Wille zum Ergebnis die wünschenswerte Unvoreingenommenheit beeinträchtigt hat:

a) Die Aussage in obiger Rn. 18 zum Gesetzesinhalt ist unvereinbar mit dem Gesetzeswortlaut. Die ebenfalls dort getroffene Aussage in Rn. 18 zur Funktion des § 137c Abs. 3 SGB V als bloßer Bestandteil des Leistungserbringungsrecht ist unvereinbar mit der eigenen Aussage in Rn. 12. Nach Rn. 12 konkretisiert das Leistungserbringungsrecht gemäß ständiger Rspr. Versichertenansprüche. Nach Rn. 18 gilt dies indes begründungslos nicht für § 137c Abs. 3 SGB V, obgleich diese Bestimmung für den stationären Sektor das Äquivalent zur Norm des § 135 SGB V bildet, der für den ambulanten Bereich nach ständiger Rechtsprechung unumstritten der Konkretisierung des Leistungsrechtes dient. Schlüssig ist deswegen eine Interpretation des § 137c Abs. 3 SGB V, nach welcher dieser in Inhalt, Systematik und Zweck lex specialis zur Konkretisierung der Versichertenansprüche ist. Die Qualifikation des BSG widerspricht dagegen eigenen Entscheidungen.

b) Warum sodann die diversen anderen „Durchbrechungen“ bei den Anforderungen an eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode (s. o. Rn. 23 f) zu billigen sein sollen, § 137c Abs. 3 SGB V indes nicht, ist nicht nachvollziehbar. Insoweit fällt bereits auf, dass eine sehr prominente, ebenfalls abweichende Gestaltung bereits unberücksichtigt blieb, bei der in der ambulanten Versorgung auch erleichterte Evidenzen gelten, nämlich für Arzneimittel. Für deren Erstattungsfähigkeit genügt erst einmal die Zulassung nach dem Arzneimittelgesetz, das – in sich konsequent – einen sehr viel schwächeren Evidenzgrad erfordert. Erst nachfolgend erfolgt die Überprüfung nach den Maßgaben des GKV-Rechtes. Die vom BSG untergeschobene Darstellung, dass immer und stets das Qualitätsgebot gelte, wie es für die vertragsärztliche Versorgung angenommen wird, und alles andere nur sehr spezielle Ausnahmen seien, hält einer Überprüfung anhand des Normbestandes also nicht stand. Vielmehr ist insgesamt über die Sektoren und Situationen hinweg ein ausgesprochen differenziertes Bild festzustellen.

Nicht einmal auf theoretischer Ebene lässt sich sodann ein solches Idealmodell finden. Man mag zwar im ersten Affekt im Interesse von Qualität und Wirtschaftlichkeit wünschen, dass Versicherte sich nur für Methoden nach dem Goldstandard evidenzbasierter Medizin zu Lasten der Solidargemeinschaft entscheiden dürfen. Der zweite, rationale Blick sollte aber das Spannungsverhältnis zur Innovationsförderung erkennen. Desto höher die Eingangshürden, desto unwahrscheinlicher und teurer werden Innovationen. Der dritte Blick auf die Empirie müsste eingestehen lassen, dass trotz gegenläufiger Faktoren in der Bevölkerungsentwicklung der Morbiditätsentwicklung deswegen standgehalten wurde, weil neben Stärkung von Wirtschaftlichkeit und Wirtschaftskraft riesige Fortschritte in der Medizin erreicht wurden. Gewiss nicht alleine, aber auch wegen der Fortschritte in der Medizin ist die schon seit Jahrzehnten befürchtete Kostenexplosion ausgeblieben.

Mithin gibt es gute Gründe, Innovationen während der Phase der Einführung bis zum Zeitpunkt vertiefter Nachweise zum Nutzen differenzierten Verfahren auszusetzen. Wird die Schwelle zu hoch, bleiben Innovationen aus, was ein noch viel größerer Schaden wäre. Mithin ist die Idealisierung des Qualitätsgebot durch das BSG auch auf theoretischer Ebene unterkomplex und gerade nicht auf einen grundsätzlichen Gerechtigkeitsgehalt zurückzuführen.  

c) Mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz ist sodann der vom Gesetzgeber genannten Grund der typischerweise höheren Erkrankungsschwere vereinbar. Die Schwere der Erkrankung ist ein Differenzierungsgrund, der an anderer Stelle durchgreift, den das BSG an sich anerkennt (§ 2 Abs. 1a SGB V – s. o. Rn. 15 u. 18). In Verbindung mit dem bekannt weiten Einschätzungs- und Typisierungsspielraum des Gesetzgebers ist außerdem eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes jedenfalls in der generellen, vom BSG aufgestellten Diktion, nicht nachzuvollziehen.

aa) Weiterhin wird hier eine den Normadressaten schützende Fundamentalnorm des Grundrechtskanons, der Anspruch auf Gleichbehandlung, gegen den Rechtssuchenden gerichtet. Auch wäre selbst bei angenommener, nicht zu rechtfertigender Ungleichbehandlung, die Entscheidung hierüber infolge der Notwendigkeit der konkreten Normkontrolle dem Bundesverfassungsgericht zu überlassen gewesen. Der Anwendungsbereich des § 137c Abs. 3 SGB V wurde durch die Auslegung beseitigt, mithin nicht nur eine verfassungskonforme Auslegung vorgenommen, sondern eine Verfassungswidrigkeit des Absatzes insgesamt geltend gemacht. Das ist ein Fall, welcher der ausschließlichen Normverwerfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichtes unterliegt. Dem kann auch der Verweis des BSG auf die gesondert geregelten Fälle (§§ 2 Abs. 1a, 13 Abs. 3a, 137e SGB V, Seltenheitsfälle – s. o. BSG Rn. 15, 18, 23 f.) nicht abhelfen. Für keinen dieser Fälle bedarf es für die leistungsrechtliche Vollziehbarkeit des § 137c Abs. 3 SGB V. Ohnehin weisen all diese Sonderbestimmungen voneinander unterschiedliche wie von § 137c Abs. 3 SGBV abweichende Qualitätsmaßgaben auf. Sie lassen sich deswegen nicht unter dem § 137c Abs. 3 SGB V subsumieren. Jeder Anwendungsbereich des § 137c Abs. 3 SGB V, für den dieser Absatz vom Gesetzgeber vorgesehen war und auf den er noch per Auslegung erstreckt werden könnte, ist durch das BSG folglich beseitigt worden. Diese Kompetenz stand dem Gericht aber nicht zu. Vielmehr hätte es die Frage dem Bundesverfassungsgericht vorlegen müssen.

Schließlich hätte bestenfalls die Entscheidung erfolgen können, entweder Erleichterungen bei der ambulanten Versorgung ebenfalls vorzusehen oder Restriktionen bei der stationären Versorgung. Diese Auswahl zu treffen, wohin eine erkannte Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes aufgelöst wird, ist schließlich eine Entscheidung, die dem Gesetzgeber zu überlassen ist und nicht dem Gericht (vgl. z. B. BVerfG, Beschl. v. 29.09.1998, 2 BvL 64/93, Rn. 58). Denn es ist zwar nicht widerspruchslos, dass gleiche Erkrankungen je nach Leistungssektor, die Innovationshürden früher oder später überspringen können. Das hier in Rede stehende Erkrankungsbild zeigt dies beispielhaft. Allerdings liegt der „Fehler“, nimmt man ihn an, dann nicht automatisch in der Gestaltung der NUB für die stationäre Versorgung, vielmehr kann man den Fehler auch in der Gestaltung für die ambulante Versorgung bzw. in unzureichenden sektorenübergreifenden Bestimmungen sehen.

bb) Ein Fall, der ausnahmsweise im zwingenden Gemeinwohlinteresse eine unmittelbare gerichtliche Entscheidung zur Behebung einer Ungleichbehandlung rechtfertigen könnte, liegt außerdem nicht vor. Auch darüber hätte sodann nur das Bundesverfassungsgericht und nicht das Bundessozialgericht entscheiden können. Zudem ist es nicht erkennbar, welches zwingende Gemeinwohlinteresse das Übergehen des Gesetzgebers begründen könnte. Noch in den 80er und 90er Jahren des vorigen Jahrtausends war die Geltung der Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt in der stationären Versorgung unproblematisch vorgesehen bei einer zugleich für die Krankenhäuser einfacheren Finanzierungsmöglichkeit. Dennoch sind keine system- oder individualinteressengefährdende Zustände aus dieser Periode bekannt, die ihre Ursache gehabt hätten, im damalige NUB-Recht. Die Rechtsanwendungsgleichheit bei der Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt wurde damals zwar als nicht befriedigend hergestellt angesehen. Das ist aber bestenfalls ein Appell an die Verwaltung und Rechtsprechung, disziplinierter für Rechtsanwendungsgleichheit zu sorgen. Gewiss liegt darin kein zwingendes Gemeinwohlinteresse, dem Gericht die Kompetenz zur Entscheidung über die Auflösung eines Gleichbehandlungsverstoßes zuzuweisen.

Namentlich im Hinblick auf die Versicherten ist außerdem zu beachten, dass der Haftungsmaßstab unverändert bleibt einschließlich zusätzlicher Aufklärungspflichten. Sodann fehlt es in der Phase „nur“ an einem Nachweis des Nutzens. Es besteht also nur Unkenntnis, was aber nicht automatisch bedeutet, dass eine Behandlung nicht mit ausreichender Qualität erfolgt. Ob und in welchem Umfang sich ein Versicherter einem Risiko aussetzt, ist damit eine gesonderte Entscheidung, wie auch Behandlern nicht per se die Bereitschaft zu verantwortungslosem Handeln zu unterstellen ist. Schließlich führen auch die abweichenden Finanzierungsmodi in einem Krankenhaus dazu, dass eine NUB erst lange nach einer breiten Einführung bzw. spezifischen Verfahren zu einer gesonderten Finanzierung. Im Zweifel ist die Anwendung von Innovationen also nicht per se gewinnbringend, sodass auch keine falschen Wirtschaftlichkeitsanreize betstehen.

Dementsprechend hatte das BSG deshalb noch 2003 zutreffend festgestellt, dass die Gefahr, dass zweifelhafte oder unwirksame Maßnahmen zum Einsatz kommen, im Krankenhaus schon wegen der internen Kontrollmechanismen und der anderen Vergütungsstrukturen geringer als bei der Behandlung durch einzelne niedergelassene Ärzte sei (BSG, Urt. v.19.02.2003, B 1 KR 1/02 R, Rn. 19). Welche Erkenntnisse seitdem gewonnen wurden oder welche Umstände sich geändert haben, welche diese Annahmen grundlegend erschüttern, ist nicht ersichtlich. Das BSG zeigt auch kein Interesse, Belege hierfür vorzubringen.

Mithin überzeugt das Bundessozialgericht in der Sache nicht und macht von Befugnissen Gebrauch, die nur dem Bundesverfassungsgericht und dem Gesetzgeber zustehen.

 

IV. Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes vom 06.06.2018, 1 BvL 7/14 u. 1 BvR 1375/14

Trotz dieser Einwendungen wäre an sich wenig Hoffnung auf eine schnelle Korrektur des Missgriffs angebracht. Das Bundesverfassungsgericht übte sich bisher – von wenigen Ausnahmen abgesehen – in Zurückhaltung, sodass erst der Gesetzgeber nochmals aktiviert werden müsste, das zu wiederholen und zu vertiefen, was er bereits unmissverständlich zum Ausdruck gebracht hat. Daran ändern auch die eindeutigen gesetzlichen Maßgaben und noch eindeutigeren Gesetzesmotive nichts.

Besonders bemerkenswert ist demgegenüber zwar, dass der Gesetzgeber das BSG in den Materialien ausdrücklich korrigiert und nicht zuletzt aus diesem Grund die Regelung in § 137c Abs. 3 SGB V geschaffen hat und das BSG seine Linie trotzdem unbekümmert fortführte. Mithin setzt sich das BSG nicht nur über den Willen des Gesetzgebers im Allgemeinen hinweg, sondern auch noch über den ausdrücklich gegen die Rechtsprechung des BSG gerichteten Willen des Gesetzgebers. Das mag nicht nur als Missachtung, sondern als Herabsetzung erscheinen, welche die Zusammenhänge demokratischer Rechtsstaatlichkeit umkehrt und zu einer Entbindung von dem Souverän führt, von dem die Richter in ihr Amt berufen wurden. 

Allerdings war in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes die Motivlage des Gesetzgebers häufig nur eine variable Grenze, die der Rechtsprechung keine eindeutige Schranke bei der Auslegung setzte. Dafür gab es als Positionen etwas vereinfacht dargestellt eine sog. objektive Theorie, nach welcher Motive des Gesetzgebers stets unerheblich bleiben, und eine sog. subjektive Theorie, welche für die Beachtlichkeit eintritt. Hierzu hatte sich das Bundesverfassungsgericht nie der einen oder anderen Theorie eindeutig angeschlossen. Es gab jedoch eine Tendenz zur objektiven Theorie, insbesondere wurden Gerichtsentscheidung, die mit der subjektiven Theorie nicht vereinbar waren, nicht alleine deswegen aufgehoben.

Demgegenüber ist nun eine Akzentverschiebung durch den Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes zu § 14 Abs. 2 TzBfG vom 06.06.2018, 1 BvL 7/14 u. 1 BvR 1375/14, wahrzunehmen.

a) Prüfungsmaßstab gemäß Beschluss vom 06.06.2018

In den Randnummern 73 bis 75 dieses Beschlusses ist ausgeführt (Hervorh. d. d. Verf.):

73

Zu den Aufgaben der Rechtsprechung gehört die Rechtsfortbildung. Der Gesetzgeber hat dies seit langem anerkannt und den obersten Gerichtshöfen des Bundes die Aufgabe der Rechtsfortbildung ausdrücklich überantwortet (vgl. für das Bundesarbeitsgericht § 45 Abs. 4 ArbGG). Dies belässt dem Gesetzgeber die Möglichkeit, in unerwünschte Rechtsentwicklungen korrigierend einzugreifen und so im Wechselspiel von Rechtsprechung und Rechtsetzung demokratische Verantwortung wahrzunehmen (vgl. BVerfGE 132, 99 <127 Rn. 74>). Richterliche Rechtsfortbildung darf hingegen nicht dazu führen, dass die Gerichte ihre eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzen (vgl. BVerfGE 82, 6 <12 f.>; 128, 193 <210>; 132, 99 <127 Rn. 75>). Die Gerichte dürfen sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen, sondern müssen die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren. Eine Interpretation, die sich über den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinwegsetzt, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (vgl. BVerfGE 118, 212 <243>; 128, 193 <210>; 132, 99 <127 f. Rn. 75>; 134, 204 <238 Rn. 115>).

74

Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption im Gesetz zugrunde liegt, kommt neben Wortlaut und Systematik den Gesetzesmaterialien eine nicht unerhebliche Indizwirkung zu (BVerfGE 133, 168 <205 f. Rn. 66>; vgl. BVerfGE 129, 1 <25 ff.>; 135, 126 <151 f. Rn. 81>; 137, 350 <367 Rn. 43>; 138, 136 <186 ff. Rn. 133 ff., 145 ff., 225, 244>; 138, 261 <281 Rn. 46>; BVerfG, Beschluss vom 13. April 2017 – 2 BvL 6/13 -, www.bverfg.de, Rn. 121). In Betracht zu ziehen sind hier die Begründung eines Gesetzentwurfes, der unverändert verabschiedet worden ist, die darauf bezogenen Stellungnahmen von Bundesrat (Art. 76 Abs. 2 Satz 2 GG) und Bundesregierung (Art. 76 Abs. 3 Satz 2 GG) und die Stellungnahmen, Beschlussempfehlungen und Berichte der Ausschüsse. In solchen Materialien finden sich regelmäßig die im Verfahren als wesentlich erachteten Vorstellungen der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe und Personen.

75

Die Beachtung des klar erkennbaren Willens des Gesetzgebers ist Ausdruck demokratischer Verfassungsstaatlichkeit. Dies trägt dem Grundsatz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) Rechnung. Das Gesetz bezieht seine Geltungskraft aus der demokratischen Legitimation des Gesetzgebers, dessen artikulierter Wille den Inhalt des Gesetzes daher mit bestimmt. Jedenfalls darf der klar erkennbare Wille des Gesetzgebers nicht übergangen oder verfälscht werden (vgl. auch BVerfGE 128, 193 <209>, 133, 168 <205 Rn. 66>). So verwirklicht sich auch die in Art. 20 Abs. 3 und Art. 97 Abs. 1 GG vorgegebene Bindung der Gerichte an das „Gesetz“, denn dies ist eine Bindung an die im Normtext zum Ausdruck gebrachte demokratische Entscheidung des Gesetzgebers, dessen Erwägungen zumindest teilweise in den Materialien dokumentiert sind.

Die Ausführungen namentlich in der zu Randnummer 74 hervorgehobenen Passage können so verstanden werden, dass die sog. „subjektive Theorie“ gestärkt wurde. Dem aus den Gesetzgebungsmaterialien folgenden Willen des Gesetzgebers wird in begrüßenswerter Klarheit Bedeutung beigemessen. Anhand dieser Gesetzgebungsmaterialien können Folgerungen für den Willen des Gesetzgebers gezogen werden. Aus diesem dokumentierten Willen des Gesetzgebers kann sich sodann wieder eine Überschreitung richterlicher Kompetenz ergeben.

b) Anwendung

In Verbindung mit diesem konkretisierten Maßstab des Bundesverfassungsgerichtes erschließt sich sodann die Unvertretbarkeit der vom Bundessozialgericht getroffenen Entscheidung noch deutlicher. Das BSG weist selbst nach, dass es den verfassungsrechtlichen Schranken seiner Kompetenz keine Rechnung tragen will und den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers missachten wollte. Hierzu Bedarf es nur die Maßgaben der Rn. 74 des vorstehenden Beschlusses des Bundesverfassungsgerichtes neben die oben dargestellten Gesetzesmotive und der ebenfalls wiedergegebenen Rn. 25 des Bundessozialgerichtes zu halten. Die Konsequenz der verfassungswidrigen Kompetenzüberschreitung ist dann offensichtlich begründet.

V. Schlussfolgerung

Folglich gibt es Hoffnung, dass das Bundesverfassungsgericht den Gesetzesinhalt des § 137c Abs. 3 SGB V herstellt. Zwar ist nicht bekannt, dass Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidung des BSG erhoben worden wäre. Indes sind andere Verfahren zu § 137c Abs. 3 SGB V anhängig, die ihren Weg nach Karlsruhe finden können. Trotz stets gebotener Zurückhaltung im Hinblick auf die Erfolgsaussichten und prozessualen Herausforderungen wären das Verfahren, die vor dem Bundesverfassungsgericht überdurchschnittliche Aussichten haben.

 

Dr. Andreas Penner
Rechtsanwalt