Ist die Atemunterstützung mit einer High-Flow-Nasenkanüle (HNFC) bei Säuglingen als maschinelle Beatmung im Sinne der Nummer 1001l DKR 2017 / 1001h DKR 2009 zu werten?

Ist die Atemunterstützung mit einer High-Flow-Nasenkanüle (HNFC) bei Säuglingen als maschinelle Beatmung im Sinne der Nummer 1001l DKR 2017 / 1001h DKR 2009 zu werten?

1. Einleitung

Die Abrechnung von Beatmungsleistungen geht mit einer Phalanx an ungeklärten Problemen einher. Diese rühren vor allem aus dem Umstand, dass die Vorgaben der Deutschen Kodierrichtlinien Kapitel DKR 1001I nicht mehr den aktuellen Stand der medizinischen Erkenntnisse und Praxis abbilden. Zumindest ein Problempunkt wird in den nächsten Monaten eine vorläufige Klärung erfahren. In diesem Zusammenhang ist eine Revisionsentscheidung des Bundessozialgerichtes auf Grundlage einer Entscheidung des LSG München vom 13.03.2018 (Az.: L 5 KR 504/15) zur Abrechnungsfähigkeit von HFNC-Beatmungsstunden zu erwarten, mit der das LSG die Abrechnung des Krankenhauses bestätigt hatte. Dazu hat das Bundessozialgericht die Klärung der folgenden anhängigen Rechtsfrage in Aussicht gestellt:

Ist die Atemunterstützung mit einer High-Flow-Nasenkanüle (HFNC) bei Säuglingen als maschinelle Beatmung im Sinne der Nummer 1001h DKR 2009 zu werten?

 

2. Zusammenfassung und Handlungsempfehlung

Die bisherige Entscheidungspraxis des 1. Senates lässt befürchten, dass die Entscheidung LSG München und damit die Abrechnungsfähigkeit von Beatmungsstunden beim Einsatz von HFNC-Systemen nicht per se, also in genereller Hinsicht bestätigt wird. Dabei darf aber nicht vernachlässigt werden, dass es sich bei den ausgeurteilten Sachverhalten immer um spezielle Einzelfälle handelt. Problematisch ist, dass diese Einzelfallkonstellationen von den Sachbearbeitern in Abrechnungsabteilungen der Kostenträger generalisiert und über die konkret entschiedene Konstellation auch auf nicht passende Fälle ausgedehnt werden. Ohne Einzelfallberücksichtigung werden dann Rechnungen mit dem pauschalen Verweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zurückgewiesen.

Vor diesem Hintergrund lohnt es sich trotz ungünstiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts jeden Fall gewissenhaft zu dokumentieren und sorgfältig zu prüfen, ob die Behandlungsfälle, deren Vergütung verweigert wird, tatsächlich mit der Konstellation vergleichbar ist, die höchstrichterlich entschieden worden ist. In vielen Fällen bestehen angesichts der differenzierten Bewertungspraxis Spielräume, die zumindest in einen Vergleich führen können. Zudem gibt es keinen Anlass durch eine Hinnahme von Kürzungen Krankenkassen zu weit über den Rechtsstand hinausgehende Kürzungen zu motivieren.

 

3. Problemaufriss

Das DRG basierte Vergütungssystem ist vom Gesetzgeber als jährlich weiter zu entwickelndes System angelegt, so dass zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen sind, wie der 1. Senat des Bundessozialgerichts in ständiger Rechtsprechung betont. Faktisch bewirken die unterdessen in frustraner Regelmäßigkeit ergehenden durchgehend krankenhausfeindlichen Entscheidungen dieses Spruchkörpers das Gegenteil. Losgelöst von jeder Vorhersehbarkeit eröffnet der 1. Senat mit Entscheidungen kapitale Möglichkeiten zur nachträglichen Verrechnung bereits gezahlter Vergütungen. Beispielhaft stehen allein aus den vergangenen 12 Monaten die Entscheidungen zur Transportzeit im Rahmen der neurologischen Komplexbehandlung (BSG, Urt. v. 19.06.2018, B 1 KR 38/17 R), zu den praxisfernen und medizinisch zweifelhaften Dokumentationsanforderungen bei der Geriatrische frührehabilitative Komplexbehandlung (BSG, Urt. v., 19.12.2017, B 1 KR 19/17 R), oder zum Erfordernis einer „Gewöhnung“ als Voraussetzung für die Berücksichtigung von Weaningzeiten bei der Maskenbeatmung (BSG, Urt. v. 19.12.2017, B1 KR 18/17 R). Hinzu kommt der Effekt der schiefen Ebene, indem in der Verwaltungspraxis die Grenzen des konkret entschiedenen Sachverhalts im Nachhinein bis ins äußerste ausgedehnt werden.

Die Kodierfähigkeit des HFNC-Systems als maschinelle Beatmung ist bei den Instanz- und Berufungsgerichten umstritten, ohne dass eine einheitliche Linie zu erkennen ist.

Die Gerichte, die eine Kodierung des HFNC-Systems als maschinelle Beatmung ablehnen, verweisen im Kern auf die Definition der maschinellen Beatmung in der DKR:

Maschinelle Beatmung (künstliche Beatmung) ist ein Vorgang, bei dem Gase mittels einer mechanischen Vorrichtung in die Lunge bewegt werden. Die Atmung wird unterstützt durch das Verstärken oder Ersetzen der eigenen Atemleistung des Patienten. Bei der künstlichen Beatmung ist der Patient in der Regel intubiert oder tracheotomiert und wird fortlaufend beatmet. Bei intensivmedizinisch versorgten Patienten kann eine maschinelle Beatmung auch über Maskensysteme erfolgen, wenn diese an Stelle der bisher üblichen Intubation oder Tracheotomie eingesetzt werden kann.“

Zu dieser Definition hat der 1. Senat des Bundessozialgerichts in seinem Beschluss vom 10.03.2015 (Az.: B 1 KR 82/14 B) ausgeführt, dass es grundsätzlich ausreiche, wenn eine moderne Beatmungsmaschine Atemanstrengungen des passiven Patienten erkenne und diese aktiv unterstütze (Atemassistenz). Im Wesentlichen komme es darauf an, ob die eigentliche Atemarbeit durch die Beatmungsmaschine oder den Patienten erfolge. Im genannten Beschluss hat der 1. Senat dies für die CPAP-Beatmung verneint. Für den Einsatz des HFNC-Systems bei Säuglingen hat aktuell das SG Aachen im Urteil vom 24.04.2018 (Az.: S 14 KR 434/17) entschieden, dass die Atemarbeit durch den Säugling selbst erfolge. Mittels des HFNC-Systems werde ebenso wie bei der CPAP durch einen maschinell erzeugten Atemgas Flow ein kontinuierlicher positiver Atemwegsdruck erzeugt. Dies führe primär zu einer Erhöhung der für die Sauerstoffresorption zur Verfügung stehende Oberfläche und erleichtere dadurch dem insofern die Atemarbeit übernehmenden, spontan atmenden Patienten die Atemarbeit. Aufgrund dessen falle das HFNC-System nach dieser Entscheidung nicht unter die Definition der maschinellen Beatmung. Deshalb seien diese Beatmungsstunden nicht zu kodieren.

Die Gegenauffassung stützt die Kodierfähigkeit auf einem systematischen Argument. Sie leitet die Kodierfähigkeit aus Ziffer 3) der 1001l DKR 2017 / 1001h DKR 2009 her:

„Bei Neugeborenen und Säuglingen (ist) zusätzlich ein Kode aus 8-711 Maschinelle Beatmung bei Neugeborenen und Säuglingen anzugeben.“

Bei dem OPS 7-711 maschinelle Beatmung bei Neugeborenen und Säuglingen wurde im Jahr 2011 als Unterpunkt der OPS 8-711.4 die Atemunterstützung durch Anwendung von High-Flow Nasenkanülen (HFNC-System) aufgenommen. Durch die ausdrückliche Zuordnung des HFNC-Systems unter eben diesem OPS-Kode anstelle des OPS 8-720 Sauerstoffzufuhr bei Neugeborenen, sei die Atemunterstützung mittels des HFNC-Systems bei der Beatmungsdauer zu berücksichtigen. Aufgrund dieser expliziten Zuordnung sei es unerheblich, dass es sich bei dem HFNC-System streng medizinisch-physikalisch nicht um eine maschinelle Beatmung im engeren Sinne der Definition der DKR handele oder die Methode noch als relativ jung anzusehen sei. Insoweit sei auch der Wortlaut unter Ziffer 3) der DKR Regelung eindeutig.

Nachstehend soll das gegenständliche Urteil der Revision des LSG München in seinen Wesentlichen Zügen dargestellt werden. Hierauf schließt sich ein Fazit an, in welchem die entscheidungserhebliche Merkmale aufgezeigt werden und welche Konsequenzen die Entscheidung des 1. Senates für die Krankenhäuser haben kann.

 

4. Urteil des LSG München v. 13.03.2018 (Az.: L 5 KR 594/15)

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin, ein Universitätsklinikum, behandelte den in der 33. Schwangerschaftswoche entbundenen C. Der Frühgeborene C wies ein Geburtsgewicht von 1.335 Gramm auf. Aufgrund der Frühgeburtlichkeit musste C künstlich beatmet werden. Hierfür verwendete die Klägerin ein Beatmungsgerät, welches angereichertes, aufgewärmtes und angefeuchtetes Atemgas erzeugte und dieses unter Beatmungsdruck setzte. Das Beatmungsgerät wurde mit einem Beatmungsendschlauch verbunden, welches in den Rachen des C eingeführt wurde. Sodann kam eine Atemmaske zum Einsatz. C wurde mittels Intubierung und der Atemmaske für 71,2 Stunden beatmet. Anschließend wurde C mit Hilfe einer High-Flow-Nasenkanüle für 33,5 Stunden beatmet. Streitig war, ob die Beatmungszeit in Höhe von 33,5 Stunden mittels des HFNC-Systems als maschinelle Beatmung kodiert werden konnte.

Dies wurde von der Eingangsinstanz, dem SG München, im Urteil vom 01.10.2015 (Az.: S 2 KR 1501/13) zu Gunsten der Klägerin bejaht. Die Klägerin habe durchgehend ein identisches Beatmungsgerät benutzt. Auch seien die Überwachung und Pflegeintensität der eingesetzten Beatmungsmethoden jeweils identisch gewesen. Ebenso erzeuge das HFNC-System einen positiven Beatmungsdruck, der die Atemarbeit erleichtere.

Das Urteil wurde in der Berufungsinstanz vom LSG München bestätigt. Das eingesetzte HFNC-System erfülle die Definition der maschinellen Beatmung im Sinne der DKR dem Wortlaut nach. Durch die Beatmungsmaschine werden Atemgase aufbereitet, die zur Vermeidung von Austrocknung der Frühgeborenenlunge maschinell angefeuchtet und um einer Auskühlung der Lunge vorzubeugen, aufgewärmt.

Auch das Tatbestandsmerkmal, dass die Atemgase mittels einer mechanischen Vorrichtung in die Lunge bewegt werden, sei für das HFNC-System gegeben. Das HFNC-System sorge für einen positiv ausdehnenden Druck und erweitere die Gasaustauschfläche eines Frühgeborenen. Dies erweitere dessen Atemzugsvolumen und Atemarbeit mit dem gleichen Effekt wie die Beatmung mittels Rachentubus und Atemmaske. Bei Frühgeborenen mit einem Gewicht von weniger als 1.500 Gramm könne der notwendige Druckaufbau auch mittels nicht geschlossener Nasenkanüle erfolgen. Dies werde daran deutlich, dass die Druckeinstellung in Abhängigkeit zum Gewicht kalibriert werden müsse, um Bläheffekten, die bei Überdruck zu Verletzungen und zu Rupturen der Lunge und des Magens führen können, vorzubeugen. Mittels dieses spezifischen Atemdruckes werde auch die eigene Atemleistung zumindest unterstützend verstärkt, womit auch dieses Tatbestandsmerkmal gegeben sei.

In diesem Zusammenhang sei auch zu berücksichtigen, dass bei Frühgeborenen mit geringem Geburtsgewicht die Lungen und das Atemvermögen nicht ausgeprägt sei. Deshalb seien diese Fälle anders zu beurteilen als die intensivmedizinische Behandlung respektiv maschinelle Beatmung Erwachsener.

Das LSG München nahm hierbei explizit Bezug auf den Beschluss des 1. Senates des Bundessozialgerichts zur CPAP Beatmung. Mithin liege eine maschinelle Beatmung im Sinne der DKR (2009) 1001h vor, wenn Frühgeborene mit einem Gewicht von unter 1.500 Gramm im Wege des HFNV-Systems über Nasensonden beatmet werden.

Des Weiteren wäre die Beatmungszeit mittels des HFNC-Systems zumindest als Entwöhnung in der Beatmungsdauer zu berücksichtigen gewesen. Der frühgeborene C sei nach seiner Geburt zur Eigenatmung nicht in der Lage gewesen. Er sei an der künstlichen Beatmung mittels Tubus und Maske an künstlicher Beatmung gewöhnt gewesen.

Der Schwerpunkt der Entscheidung des LSG München lag also in der rein tatsächlichen Beurteilung, ob das HFNC-Verfahren als maschinelle Beatmung im Sinne der DKR zu kodieren ist. Eine Auslegung des Begriffes unter systematischen Gesichtspunkten nahm das LSG München nicht vor. Der festgestellte Sachverhalt wurde eng am Wortlaut des 1001l DKR 2017 / 1001h DKR 2009 unter Berücksichtigung des Beschlusses des 1. Senates zur CPAP Beatmung subsumiert. Es wurde demnach der gleiche Auslegungsmaßstab wie bei Entscheidungen, die eine Kodierfähigkeit abgelehnt haben, sowie des Revisionsgerichtes, angewendet. Deshalb wird es bei der zu treffenden Entscheidung durch den 1. Senat nicht auf eine dogmatische Klärung des Streites dahingehend ankommen, ob die Aufnahme des HFNC-Systems in die OPS 8-7111 im Rahmen der Auslegung der maschinellen Beatmung zu berücksichtigen ist.

Ausgehend von demselben Auslegungsmaßstab müsste das Urteil folgerichtig in der Revision durch den 1. Senat bestätigt werden. Die Wortlautbindung und die Subsumtion unter DKR-Regelungen mit krankenhausfreundlichem Ergebnis erfährt aber eine mitunter variable Handhabung. Eine negative Entscheidung könnte dann zur Folge haben, dass für die Zukunft Beatmungsstunden mittels des HFNC-Systems nicht mehr kodiert werden können.

Sollte der 1. Senat das Urteil bestätigen und die Kodierung des HFNC-Systems als maschinelle Beatmung bejahen, so ergeben sich folgende Konsequenzen für die Krankenhäuser:

Bei Frühgeborenen können die Beatmungsstunden mittels des HFNC-Systems zu den Beatmungsstunden nach 1001l DKR 2017 bzw. 1001h DKR 2008 hinzugezählt werden, da bei Frühgeburten das Atemvermögen nicht ausgeprägt ist. In diesem Rahmen ist jedoch zu berücksichtigen, dass das LSG München die Entscheidung explizit für Frühgeborene mit einem Geburtsgewicht von unter 1.5000 Gramm getroffen hat und dies in seinem Ergebnis ausdrücklich so festgehalten hat. Deshalb kann hieraus nicht zwingend des Schluss gezogen werden, dass die Kodierung bei einem darüber liegenden Geburtsgewicht grundsätzlich möglich sein soll. Hiervon sind insbesondere die DRG P04A und P04B betroffen.

 

Benjamin Fischer                   André Bohmeier                     Dr. Andreas Penner
Rechtsanwalt                         Rechtsanwalt                         Rechtsanwalt