Aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 18.05.2021

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Aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts vom 18.05.2021

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hat am 18.05.2021 in den folgenden Verfahren krankenhausabrechnungsrelevante Entscheidungen getroffen. Die Entscheidungsgründe liegen noch nicht vor. Grundlage der folgenden Ausführungen sind die Terminvorschau, der Terminsbericht und die Entscheidungsgründe der Vorinstanzen, soweit diese zugänglich sind. Die ausführliche Begründung des BSG wird in Form der Entscheidungsgründe erst in den kommenden Monaten veröffentlicht. Diese bleibt für eine endgültige Beurteilung abzuwarten.

Zusammenfassung

1. B 1 KR 11/20 R

Aufnahme bei Kurzlieger im Schockraum? –

Mit der Notfallversorgung im Schockraum erfolgt noch keine Aufnahme in den Krankenhausbetrieb. Es handelt sich vielmehr um eine Form der Aufnahmeuntersuchung. Wird der Patient anschließend in ein anderes KH verlegt, hat keine Aufnahme und damit keine vollstationäre Behandlung stattgefunden. Es handelt sich um eine ambulante Notfallbehandlung, die im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung abzurechnen ist. Dies gilt selbst dann, wenn der Patient stabilisiert werden musste und beatmungspflichtig war.

2. B 1 KR 24/20 R und B 1 KR 32/20 R

Wirkt § 7 Abs. 2 Satz 4 PrüfvV (2014) als Ausschlussfrist?

  • 7 Abs 2 Satz 2 bis 4 PrüfvV enthält keinen pauschalen Ausschluss des Vergütungsanspruchs. Die Regelung stellt aber eine Präklusionsvorschrift für Unterlagen dar, die der MDK ordnungsgemäß angefordert hat und von Seiten des Krankenhauses nicht fristgerecht vorgelegt worden sind. Das bedeutet, dass derartige Unterlagen in einem nachfolgenden Gerichtsverfahren als Beweismittel ausgeschlossen sind. Direkt zu den diesbezüglichen Handlungsempfehlungen springen Sie hier.

3.B 1 KR 34/20 R und B 1 KR 39/20 R

Rechnungskorrektur nach Fristablauf § 7 Abs. 5 PrüfvV?

Danach ist die Änderung des nach § 301 SGB V an die Krankenkasse übermittelten Datensatzes nach Ablauf der dort geregelten Änderungsmöglichkeiten grundsätzlich unzulässig, soweit er Gegenstand des Prüfverfahrens (gewesen) ist. Das gilt sowohl für Nachforderungen als auch bei gleichbleibenden oder vermindertem Rechnungsbetrag. Dies gilt jedoch nur für solche Änderungen des Datensatzes, die auch Prüfgegenstand des konkreten MDK-Prüfverfahrens (gewesen) sind. Davon nicht erfasst sind solche Änderungen, mit denen das MDK-Ergebnis umgesetzt wird. Direkt zu den diesbezüglichen Handlungsempfehlungen springen Sie hier.

Dazu im Einzelnen:
1. B 1 KR 11/20 R – „Schockraum“
Sachverhalt und Entscheidung

Die Klägerin ist ein Krankenhaus, in das die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Patientin am 15.2.2015 um 05:40 Uhr mit dem Rettungswagen eingeliefert wurde. Sie war bewusstseinsgestört, machte unkontrollierte Bewegungen und erbrach sich. Um 05:51 Uhr erfolgte eine labortechnische Untersuchung und wegen unklarer Vigilanzminderung und Ausschluss von Blutung/Ischämie eine Computertomografie (CT) des Schädels. In der CT fand man ein Hämatom, teilweise mit frischem Blut. Im weiteren Verlauf war die Versicherte bewusstseinsgestört, nicht ansprechbar und bewegte initial spontan alle Extremitäten. Bei fehlenden Schutzreflexen wurde sie in den Schockraum verbracht und dort intubiert sowie beatmet. Gegen 06:50 Uhr wurde die Versicherte in die Neurochirurgie des Klinikums Saarbrücken in Begleitung eines Arztes verbracht. Dort wurde sie noch am selben Tag operiert und am 23.2.2015 entlassen.

Die Klägerin berechnete für die stationäre Behandlung DRG B70I mit 1.127,55 Euro. Die beklagte Krankenkasse wies die Rechnung zurück, weil ein stationärer Aufenthalt der Versicherten nicht vorgelegen habe, zahlte aber versehentlich und verrechnete den Betrag mit unstreitigen Forderungen.

Dagegen erhob das Krankenhaus Klage mit der Begründung, dass es sich um eine Aufnahme zur vollstationären Krankenhausbehandlung gehandelt habe. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage auf Zahlung von 1.127,55 Euro nebst Zinsen abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat den Gerichtsbescheid des SG aufgehoben und die beklagte Krankenkasse antragsgemäß zur Zahlung verurteilt. Die Versicherte sei ungeachtet der kurzen Dauer bereits im Krankenhaus der Klägerin vollstationär behandelt worden. Die hierfür maßgebliche Aufnahmeentscheidung sei von den Krankenhausärzten jedenfalls konkludent getroffen worden, indem die Versicherte im Schockraum behandelt worden sei. Bei einer Intervention in einem Schockraum handele es sich um eine intensivmedizinische Maßnahme, die nur als stationäre Behandlung qualifiziert werden könne.

Die dagegen gerichtete Revision der Krankenkasse hatte Erfolg. Das BSG hat das Urteil des LSG aufgehoben. Nach Auffassung des 1. Senats hat mit der Notfallversorgung im Schockraum noch keine Integration in den Krankenhausbetrieb stattgefunden, wenn der Patient nach seiner Stabilisierung in ein anderes Krankenhaus verlegt wird. Es handelt sich dann um eine Aufnahmeuntersuchung, die als ambulante Notfallbehandlung im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung abzurechnen ist.

Vorinstanzen:

Sozialgericht für das Saarland – S 23 KR 491/15, 07.12.2017
Landessozialgericht für das Saarland – L 2 KR 2/18, 23.07.2019

Einordnung

Bekanntlich entsteht der Vergütungsanspruch eines Krankenhauses gegenüber der Krankenkasse spiegelbildlich mit dem Anspruch des Versicherten auf vollstationäre Krankenhausbehandlung (unbeschadet weiterer Voraussetzungen im Einzelfall). Gedanklich davon zu trennen ist dann die Frage, ob beim Vorliegen der vollstationären Behandlungsbedürftigkeit auch tatsächlich eine vollstationäre Krankenhausbehandlung stattgefunden hat. Dafür ist entscheidend, inwieweit der Patient physisch und organisatorisch in das Versorgungssystem des Krankenhauses eingegliedert worden ist.

Ob eine derartige Eingliederung stattgefunden hat, ist im Lichte des konkreten Einzelfall zu entscheiden. Hierfür hat das Bundessozialgericht Fallgruppen entwickelt, die aber nicht abschließend und immer im Lichte des konkreten Einzelfalls zu betrachten sind:

  • Eine Eingliederung soll regelmäßig dann anzunehmen sein, wenn sich die Behandlung nach dem Behandlungsplan des Krankenhausarztes zeitlich über einen Tag und eine Nacht erstreckt.
  • Dabei soll es jedenfalls dann nicht auf die tatsächliche Aufenthaltsdauer ankommen, wenn nach dem Behandlungsplan eine längere Behandlungsdauer vorgesehen war B 3 KR 17/06 R 28.02.2007.
  • Dies soll auch für die durch den Patienten selbst abgebrochene Behandlung gelten, sofern ein vollstationärer Behandlungsplan dokumentiert ist (BSG, Urt. v. 19.09.2013, Az.: B 3 KR 34/12 R).
  • Daneben soll unabhängig von der zeitlichen Dauer eine Eingliederung in den Krankenhausbetrieb auch bei einer besonders intensiven Behandlung vorliegen. Dies hat das BSG ausdrücklich für die Versorgung auf einer Intensivstation zur Abklärung eines Herzinfarktes entschieden (BSG, Urt. v. 28.02.2007, Az.: B 3 KR 17/06 R).

Bei diesen Aspekten handelt es sich nicht um zwingende Voraussetzungen, sondern vielmehr um von der Rechtsprechung entwickelte Indikatoren für die Frage, ob eine Eingliederung in das KH stattgefunden hat. Erforderlich und ausschlaggebend ist immer die Gesamtbewertung der Umstände des Einzelfalles.

Die Kernargumentation der gut begründetet Entscheidung des LSG folgte u.E. der dargestellten Rechtsprechungslinie des BSG, insbesondere mit Blick auf die Fallgruppe der intensivmedizinischen Versorgung, die damals noch der 3. Senat festgestellt hatte. Ob der 1. Senat damit die Rechtsprechung des 3. Senat aufgibt, oder sich schlichtweg überhaupt nicht dazu positioniert, wird die Entscheidungsbegründung zeigen.

Abzuwarten bleibt auch mit welcher Begründung der 1. Senat ausgerecht die Schockraumbehandlung dem ambulanten Vergütungsregime zuordnet. Denn die Notfallversorgung im Schockraum ist angesichts der dafür notwendigen Konzentration der zum Einsatz gebrachten personellen und apparativen Mitteln und der daraus resultierenden allerhöchsten Behandlungsintensität das geradezu prototypische Gegenteil eines ambulanten Versorgungsvorgangs; und das auf Knopfdruck 24/7 im Sinne des Wortes.

Fest steht jedoch auch, dass die Vergütungslücke für Kurzlieger, seit langem besteht und auch allen bekannt ist. Es dürfte nunmehr um dringendere Aufgabe der Interessensvertretungen der Krankenhäuser sein, entsprechende gesetzliche Anpassungen anzustoßen und umzusetzen.

2. B 1 KR 24/20 R und B 1 KR 32/20 R – § 7 Abs. 2 Satz 4 PrüfvV 2014

2.1 B 1 KR 24/20 R

Sachverhalt und Entscheidung

Das klagende Krankenhaus behandelte eine bei der beklagten Krankenkasse Patientin vom 20. bis 22.05.2015 nach notfallmäßiger Aufnahme wegen zunehmender Luftnot bei laufender Chemotherapie mit metastasierendem Brustkrebs stationär und rechnete hierfür einen Betrag von 2.078,64 Euro nach DRG E71C ab. Die Krankenkasse zahlte den Rechnungsbetrag zunächst und leitete eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst (MDK) ein. Der MDK teilte dem Krankenhaus den Prüfauftrag mit und forderte bei diesem mehrere im Einzelnen benannte Behandlungsunterlagen an. Er fügte hinzu, sollten darüber hinaus weitere Unterlagen für die Bewertung des Sachverhalts relevant sein, so seien diese den genannten Unterlagen beizufügen. Aus den vorgelegten Unterlagen erschloss sich dem MDK die Notwendigkeit der Dauer der stationären Krankenhausbehandlung nicht in allen Teilen. Die Krankenkasse verrechnete daraufhin einen Erstattungsbetrag von 1.166 Euro mit unstreitigen Vergütungsforderungen des Krankenhauses.

Dagegen erhob das Krankenhaus Klage vor dem Sozialgericht (SG). Im Verfahren vor dem SG legte das Krankenhaus auf Anforderung der Krankenkasse die vollständige Patientenakte vor. Auf dieser Grundlage bestätigte der MDK die Notwendigkeit der stationären Krankenhausbehandlung für den gesamten Zeitraum. Das SG hat die Krankenkasse zur Zahlung von 1.166 Euro nebst Zinsen verurteilt. Das Landessozialgericht (LSG) hat das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Der streitige Vergütungsanspruch sei nach § 7 Abs 2 Satz 3 PrüfvV mit Ablauf der vierwöchigen Frist zur Vorlage der zur Prüfung der Rechnung vom MDK benötigten und angeforderten Unterlagen erloschen. Die Vorschrift enthalte der Sache nach eine materiellrechtliche Ausschlussfrist, die bewirke, dass der Vergütungsanspruch bei nicht fristgerechter Vorlage der angeforderten Unterlagen auf den von der Krankenkasse zugestandenen Betrag beschränkt sei.

Die dagegen gerichtete Revision des Krankenhauses war erfolgreich. Das BSG hat die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Dabei muss LSG feststellen, ob die Voraussetzungen des geltend gemachten Vergütungsanspruchs vorliegen. Es darf dabei die – konkret bezeichneten – Unterlagen nicht berücksichtigen, die der MDK beim Krankenhaus angefordert, aber nicht fristgerecht vom Krankenhaus an den MDK übermittelt worden sind.

Vorinstanzen:

Sozialgericht Kassel – S 12 KR 171/17, 14.02.2018
Hessisches Landessozialgericht – L 8 KR 221/18, 28.05.2020

2.2 B 1 KR 32/20 R

Sachverhalt und Entscheidung

Das klagende Krankenhaus behandelte eine bei der beklagten Krankenkasse versicherte Patientin vom 9. bis 15.12.2015 stationär und rechnete hierfür 7607,48 Euro nach DRG L06A ab. Die Krankenkasse zahlte diesen Betrag zunächst und leitete eine Prüfung durch den MDK ein. Der MDK forderte beim Krankenhaus im Einzelnen bezeichnete Behandlungsunterlagen an. Eine Begutachtung durch den MDK erfolgte unter Hinweis darauf nicht, dass das Krankenhaus die geforderten Unterlagen nicht vorgelegt habe. In der Folge verrechnete die Krankenkasse den Rechnungsbetrag mit unstreitigen Vergütungsforderungen des Krankenhauses.

Dagegen erhob das Krankenhaus Klage vor dem Sozialgericht (SG). Das SG hat die Klage auf Zahlung der abgerechneten Vergütung abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Krankenhauses zurückgewiesen. Da das Krankenhaus die vom MDK angeforderten Unterlagen nicht vorgelegt habe, sei der Vergütungsanspruch insgesamt weggefallen. Denn § 7 Abs 2 Satz 3 und 4 PrüfvV 2014 enthalte eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist und sei insoweit von der Ermächtigungsgrundlage in § 17c Abs 2 KHG gedeckt.

Die dagegen gerichtete Revision des Krankenhauses war erfolgreich. Das BSG hat die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Dabei muss LSG feststellen, ob die Voraussetzungen des geltend gemachten Vergütungsanspruchs vorliegen. Es darf dabei die (konkret bezeichneten) Unterlagen nicht berücksichtigen, die der MDK beim Krankenhaus angefordert und die dieses nicht (innerhalb der Frist von 4 Wochen) vorgelegt hat.

Vorinstanzen:

Sozialgericht Marburg – S 14 KR 1/18, 02.01.2019
Hessisches Landessozialgericht – L 8 KR 41/19, 27.08.2020

2.3 Einordnung

In beiden zuvor beschriebenen Verfahren ist das LSG Hessen davon ausgegangen, dass der Anspruch des Krankenhauses per se erlischt, sofern Unterlagen teilweise oder in Gänze nicht fristgerecht nach § 7 Abs 2 Satz 3 PrüfvV (2014) an den MDK übermittelt werden. Diese Vorgehensweise war traurige Praxis seit Inkrafttreten der PrüfvV 2014. Diesen Ansatz hat das BSG nun jedoch verworfen.

Nach Auffassung des 1. Senats führt die Verwirkung der Fristenregelung nicht per se zum Untergang des streitigen Teils der Vergütung. Sie wirkt aber präkludierend für Unterlagen, die nicht innerhalb der Frist übermittelt worden sind. Präkludierte Unterlagen dürfen in einem späteren Gerichtsverfahren nicht mehr als Beweismittel verwendet werden. Das schließt aber nicht aus, dass das Krankenhaus den notwendigen Beweis durch andere, nicht präkludierte Unterlagen, oder durch Zeugenbeweis erbringt.

Diese Präklusion tritt aber nur für solche Unterlagen ein, die der MDK ausdrücklich und konkret bezeichnet angefordert hat. Dafür sind die floskelhaften Anforderungsschreiben des MDK, wonach alle Unterlagen die OPS oder ICD XY belegen zu übersenden sind, nicht ausreichend. In der mündlichen Verhandlung führte der Bericht erstattende Richter, Herr Dr. Estelmann, aus, dass auch die pauschale Anforderungen der Patientenakte als solche hierfür nicht ausreiche. Es bleibt abzuwarten und zu hoffen, dass diese Aussage so auch in der schriftlichen Urteilsbegründung wiederzufinden ist.

Damit ist diese Entscheidung des BSG wohl überwiegend positiv für die Krankenhausseite zu bewerten. Denn bislang war es Praxis der Kassen den streitigen Vergütungsanteil oder die Zahlung des kompletten Rechnungsbetrages zu verweigern, sobald irgendwelche Unterlagen nicht an den MDK übermittelt worden sind; selbst dann, wenn diese nicht relevant waren, oder gar nicht konkret vom MDK anfordert worden sind. Diese Vorgehensweise ist mit der Entscheidung des BSG deutlich erschwert.

2.4 Handlungsempfehlung

Fälle der Vergangenheit, in denen die Kasse die Vergütung ganz oder teilweise mit der Behauptung verweigert, Unterlagen seinen verfristet oder gar nicht an den MDK übersendet worden, sollten auf ihre gerichtliche Durchsetzbarkeit überprüft werden. Der streitige Anspruch ist jedenfalls nicht erloschen. Geprüft werden muss dann,

  • ob die notwendigen Unterlagen mit Blick auf die Anforderung des MDK überhaupt der Präklusion unterliegen.
  • Dies ist nur dann der Fall, wenn der MDK auch konkret bezeichnet und angefordert hat.
  • Die üblichen pauschalen Aufforderungen des MD, alle Unterlagen zu übermitteln, die eine bestimmte Diagnose oder Prozedur belegen, dürfte nicht ausreichend konkret sein,
  • Sofern konkret angeforderte Unterlagen tatsächlich mangels rechtzeitiger Übersendung an den MDK präkludiert sind, ist zu prüfen ob die streitigen Aspekte nicht auch anders bewiesen werden können (z.B. Beatmungsminuten aus der Fiberkurve, wenn die Protokolle fehlen).

Für künftige Abrechnungen ist zu erwägen, dem MDK direkt die komplette Patientendokumentation fristgerecht zur Verfügung zu stellen, sofern dies praktisch umsetzbar ist. Jegliche Gefahr einer Präklusion von Unterlagen ist damit von Vornherein ausgeschlossen.

Ohnehin ist diese Vorgehensweise auch mit Blick auf die künftige Einzelfallerörterung gemäß § 17c Abs. 2b KHG ratsam, wonach im Anschluss an das MDK-Prüfverfahren eine einzelfallbezogene Erörterung mit der Kasse durchgeführt werden muss, damit eine anschließende Klage zulässig ist. Denn nach § 17c Abs. 2b Satz 3 KHG sind spätestes solche Einwendungen und Tatsachenvortrag in einem späteren Klageverfahren ausgeschlossen, die nicht Gegenstand des Erörterungsverfahrens gewesen sind.

Dabei kann diese Regelung auch vorteilhaft für das Krankenhaus wirken. Liegt der Krankenkasse die komplette Patientendokumentation vor, ist es auch sie damit ausgeschlossen in einem späteren Klageverfahren Einwendungen gegen die Abrechnung vorzutragen, die noch nicht Gegenstand des Erörterungsverfahren gewesen sind.

3. Rechnungskorrektur und § 7 Abs. 5 PrüfvV (2014) – B 1 KR 34/20 R und B 1 KR 39/20 R

3.1 B 1 KR 34/20 R

Sachverhalt und Entscheidung

Das klagende Krankenhaus behandelte den bei der beklagten Krankenkasse versicherten Patienten vollstationär vom 12.4. bis 14.4.2016 und berechnete hierfür zunächst 5.289,40 Euro auf der Grundlage der DRG F12G. Zu dieser gelangte es, indem es u.a. OPS 5-377.2 (Schrittmacher, Zweikammersystem, mit einer Schrittmachersonde) kodierte. Die Krankenkasse beauftragte den Medizinischen Dienst (MDK) mit der Überprüfung der Abrechnung. Mit Schlussrechnung vom 25.1.2017 änderte das Krankenhaus seine ursprüngliche Abrechnung und forderte auf der Grundlage der DRG F01G vergeblich die Zahlung weiterer 5.371,36 Euro. Es kodierte hierfür OPS 5-377.50 (Defibrillator mit Einkammer Stimulation, ohne atriale Detektion) anstelle von OPS 5-377.2.

Dagegen erhob das Krankenhaus Klage zum Sozialgericht (SG). Das SG hat der Klage auf Zahlung von 5.371,36 Euro nebst Zinsen stattgegeben. Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen. Dass die stationäre Behandlung des Versicherten richtigerweise unter Kodierung von OPS 5-377.50 nach DRG F01G abzurechnen sei, sei unstreitig. Die sich dadurch ergebende Nachforderung sei weder verjährt noch verwirkt und auch nicht nach § 7 Abs 5 Satz 2 PrüfvV 2014 ausgeschlossen. Die Vorschrift regele keine materiell-rechtliche Ausschlussfrist.

Das BSG hat die dagegen erhobene Revision der Krankenkasse abgewiesen und damit die Entscheidungen des SG und des LSG zugunsten des Krankenhauses bestätigt.

Vorinstanzen:

Sozialgericht Landshut – S 6 KR 151/17, 26.06.2019
Bayerisches Landessozialgericht – L 4 KR 437/19, 13.08.2020

3.2 B 1 KR 39/20 R

Sachverhalt und Entscheidung

Das klagende Krankenhaus behandelte den bei der beklagten Krankenkasse versicherten Patienten vollstationär vom 18.5. bis 14.6.2016 und berechnete hierfür zunächst 13.199,47 Euro auf Grundlage der DRG B04D. Zu dieser DRG gelangte das Krankenhaus, indem es u.a. OPS 9-200.6 (Hochaufwendige Pflege von Erwachsenen, 130 bis 158 Aufwandspunkte) kodierte. Die Krankenkasse beglich die Rechnung und beauftragte den Medizinischen Dienst (MDK) mit der Überprüfung der Abrechnung. Der MDK kam zum Ergebnis, dass OPS 9-200.5 (Hochaufwendige Pflege von Erwachsenen, 101 bis 129 Aufwandspunkte) anstelle von OPS-Kodes 9-200.6 zu kodieren sei; insoweit passte das Krankenhaus seine Kodierung noch während des Prüfverfahrens an. Weiterhin führte er aus, dass eine um sieben Tage kürzere Behandlung medizinisch möglich gewesen sei. Es ergebe sich anstelle der DRG B04D die DRG B39C. Daraufhin forderte die Krankenkasse vom Krankenhaus die Erstattung von 2.558,69 Euro. Mit Schlussrechnung vom 29.3.2017 änderte das Krankenhaus seine ursprüngliche Abrechnung und berechnete auf der Grundlage der DRG B04B nunmehr insgesamt 12.733,02 Euro. Es kodierte hierfür neben OPS 9-200.5 zusätzlich bislang nicht kodierte Nebendiagnosen. Die Krankenkasse wies die korrigierte Rechnung unter Hinweis auf § 7 Abs 5 Satz 2 PrüfvV 2014 zurück und rechnete den gesamten gezahlten Rechnungsbetrag in Höhe von 13 199,47 Euro gegen unstreitige Forderungen des Krankenhauses auf.

Dagegen erhob das Krankenhaus Klage vor dem Sozialgericht (SG). Vor dem SG hat die Krankenkasse die Klageforderung in Höhe von 11 997,62 Euro teilweise anerkannt. Der auf Zahlung von 735,40 Euro nebst Zinsen geänderten Klage hat das SG stattgegeben. Das Landessozialgericht (LSG) hat die durch das SG zugelassene Berufung der Krankenkasse zurückgewiesen. Der entstandene Anspruch auf die (weitere) Vergütung der stationären Behandlung in Höhe von 735,40 Euro sei weder verjährt noch verwirkt und auch nicht nach § 7 Abs 5 Satz 2 PrüfvV 2014 ausgeschlossen. Die Vorschrift regele keine materiell-rechtliche Ausschlussfrist.

Auf die dagegen gerichtete Revision der Krankenkasse hat das BSG das Urteil des LSG aufgehoben und an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen

Vorinstanzen:

Sozialgericht Kiel – S 44 KR 308/17, 17.12.2018
Schleswig-Holsteinisches Landessozialgericht – L 5 KR 13/19, 26.08.2020

3.3 Einordnung

Mit § 7 Abs. 5 Satz 2 PrüfvV ist die Möglichkeit der Änderungen des Datensatzes und damit verbundene Rechnungskorrekturen auf einen Zeitraum von 5 Monate nach Einleitung des MDK-Prüfverfahrens beschränkt. Auf dieser Grundlage haben einige Kassen jegliche Rechnungskorrekturen abgelehnt, selbst wenn damit ein für das Krankenhaus positives MD-Gutachten umgesetzt worden ist, welches Ausnahmsweise zu einer Erhöhung des Rechnungsbetrages führte. Dabei vertraten die Kassen die Auffassung, dass es sich bei der Frist des § 7 Abs. 5 Satz 2 PrüfvV um eine „harte“ Ausschlussfrist handelt, die nach Fristablauf überhaupt keine Korrektur der Rechnung mehr zulässt.

Dementgegen hatte das BSG mit seiner Entscheidung B 1 KR 40/15 R vom 05.07.2016 klargestellt, dass eine Rechnungskorrektur des Krankenhauses bis zum Ablauf des folgenden vollen Kalenderjahres grundsätzlich möglich ist. Das BSG musste nun entscheiden, ob § 7 Abs. 5 Satz 2 PrüfvV einen wirksamen Ausschluss dieser Korrekturmöglichkeit darstellt, wie die Kassen es behauptet haben.

Diesbezüglich hat das BSG klargestellt, dass § 7 Abs. 5 Satz 2 PrüfvV die nachträgliche Änderung die Teile des 301er-Datensatzes ausschließt, die Gegenstand des MDK-Prüfverfahrens gewesen sind. Rechnungskorrekturen sind auf dieser Grundlage nicht mehr möglich.

Davon erfasst sind aber nur Änderungen des Teils des Datensatzes, die tatsächlich auch Gegenstand des MDK-Prüfverfahrens gewesen sind. Nicht ausgeschlossen sind also solche Änderungen, die den nicht von der erfassten Teil des Datensatzes betreffen. Überprüft der MDK beispielsweise nur die Überschreitung der UGVD, können Änderungen an den Prozeduren ggf. noch vorgenommen werden.

Weiterhin sind Änderungen möglich, mit denen das Ergebnis des MD-Gutachtens umgesetzt wird, was dann auch im seltenen Falle der Erhöhung des Abrechnungsbetrages gilt.

3.4 Handlungsempfehlung

Aus dieser Entscheidung folgt der erhebliche Nachteil für Krankenhäuser, dass die Möglichkeit der nachträglichen Rechnungskorrektur erheblich eingeschränkt wird. Faktisch kann nun keine Rechnung nach Ablauf der 5-Monats-Frist korrigiert werden, wenn die Korrektur eine Änderung des Teils des Datensatzes erfordert, der Gegenstand der MDK-Prüfung war.

Die vom BSG vorgenommene Differenzierung hinsichtlich der Tatsache welche Teile des Datensatzes von der Prüfung und erfasst waren und welche nicht, eröffnet zwar Spielräume für die Krankenhäuser, gleichwohl dürften deren Durchsetzung in vielen Fällen problematisch sein.

Dies mag noch gelingen, wenn der MDK nur eine gezielte Nebendiagnose überprüft und sich anschließend an anderer Stelle Korrekturbedarf bei einer Prozedur herausstellt. Aber bereits bei dem oben bemühten Beispiel der Korrektur eine Diagnose oder Prozedur nach Überprüfung der Verweildauer eröffnet die Abgrenzung Diskussionspotential, ob die zu ändernde Diagnose die Verweildauer beeinflusst oder nicht.

Vor diesem Hintergrund lohnt die Erwägung einer zusätzlichen Überprüfung der Korrektur vor der erstmaligen Übermittlung der Abrechnung an die Kasse. Diese Vorgehensweise führt naturgemäß zu einer Verzögerung in der Erlöskette, weswegen Geschäftsführungsetagen eher damit argwöhnen. Dabei sollte aber noch abgewartet werden, welche konkreten Regelungen hinsichtlich der nachträglichen Rechnungskorrektur mit der künftigen Prüfverfahrensvereinbarung getroffen werden, die derzeit geschiedst wird. Sofern auch im Rahmen dieser Vorgaben eine Korrekturverbot vereinbart wird, ist eine strategische Anpassung des Erlössicherungsprozesses durch eine Vorverlagerung der Kodierprüfung in jedem Fall ratsam.

 

André Bohmeier                     Celina Jasmin Tarras
Rechtsanwalt                          Rechtsanwältin