Kein Facharztfilter für Ermächtigungen bei fehlendem Angebot Niedergelassener Anmerkungen zu SG Duisburg, Urteil vom 28.11.2018, Az.: S 19 KA 7/17 (nicht rechtskräftig)

Kein Facharztfilter für Ermächtigungen bei fehlendem Angebot Niedergelassener
Anmerkungen zu SG Duisburg, Urteil vom 28.11.2018, Az.: S 19 KA 7/17 (nicht rechtskräftig)

I. Ergebnis und Empfehlung

  • Sogenannte „Facharztfilter“ (oder Überweisungsvorbehalte), nach denen ein Ermächtigter nur auf Überweisung der Patientinnen und Patienten durch einen Fachkollegen (vorliegend konkret: Facharzt für Innere Medizin, Schwerpunkt Gastroenterologie) tätig werden kann, sind rechtswidrig, wenn und soweit ein quantitativ oder qualitativ unzureichendes Leistungsangebot der Niedergelassenen in der Umgebung vorliegt. Solche trotz Versorgungsdefizit ausgesprochenen Facharztfilter verstoßen gegen höchstrichterliche Rechtsprechung (vgl. BSG, B 6 KA 6/15 R, Rn. 49 – juris m.w.N.) und können als Nebenbestimmungen isoliert angefochten werden.
  • Konsequent hat das SG Duisburg in einem von uns anwaltlich begleiteten sozialgerichtlichen Verfahren einen entsprechenden fachinternistischen Facharztfilter mangels speziellen Leistungsangebots der umliegenden, fachinternistischen Niedergelassenen für rechtswidrig erklärt und den beklagten Berufungsausschuss zur Neubescheidung ohne den strittigen Facharztfilter verpflichtet.
  • In der Praxis ist zu prüfen, inwieweit ein Bedarf an den ermächtigungsantragsgegenständlichen Leistungen vorliegt und ggfs. von den Ausschüssen sogar bejaht wurde. Liegt ein quantitatives und/oder qualitatives Versorgungsdefizit vor, dann ist ein Facharztfilter, eingrenzend auf dieselbe Fachgruppe bzw. Gebietsbezeichnung des Krankenhausarztes, für den das Versorgungsdefizit betreffenden Leistungsbereich rechtswidrig und kann gerichtlich angegriffen werden. Das fördert die Freiheit der Patientenwahl und stärkt die Unabhängigkeit, da der Überweiserkreis damit offen gehalten wird.

II. Sachverhalt

Verfahrensgegenständlich ist eine spezielle, fachinternistische Ermächtigung eines Krankenhausarztes gem. § 116 SGB V, 31a Abs. 1 Ärzte-ZV.

1. Zulassungsausschuss

Diese wurde anlässlich der Verlängerung vom Zulassungsausschuss teilweise mit einem Facharztfilter einer internistischen Fachdisziplin versehen. Letzteres im Wesentlichen mit der Begründung, dass es sich um eine Ermächtigung aus qualitativ-speziellen Gründen handele und dabei die Beurteilung, ob die Leistungen des Ermächtigten, die spezielle Erfahrungen und Kenntnisse voraussetzten, erforderlich seien, nur von niedergelassenen Fachärzten beurteilt werden könne (nicht von Hausärzten).
Dies führt (aktuell noch) in der Praxis dazu, dass die niedergelassenen Leistungserbringer, welche die streitbefangenen Leistungen nicht bzw. jedenfalls nicht ausreichend erbringen können, zunächst den Patienten – ohne die notwendige Maßnahme durchführen zu können – in ihrer Praxis „sehen“ müssen, um diesen dann in die Ermächtigungsambulanz des Krankenhauses zu überweisen. Dies führt – wegen der Vollauslastung der fachärztlich spezialisierten Internisten – zu nicht unerheblichen Verzögerungen und (nebenbei) auch zu Behandlungsmehrkosten. Die Hausärzte – die regelmäßig selbst Internisten sind bzw. jedenfalls weitreichende internistische Kenntnisse vorweisen können – dürfen nicht mehr direkt in die Krankenhausambulanz überweisen. Ein weiterer Arzt wird vor der notwendigen Veranlassung in die Krankenhausambulanz dazwischengeschaltet. Dagegen wandte sich der Krankenhausarzt erfolglos vor dem Berufungsausschuss.

2. Berufungsausschuss

Der Berufungsausschuss wies den Widerspruch zurück und führte zur Begründung der Aufrechterhaltung des Facharztfilters im Wesentlichen aus: Nach § 31 Abs. 7 Satz 2 Ärzte-ZV sei in einem Ermächtigungsbeschluss auszusprechen, ob der ermächtigte Arzt unmittelbar oder auf Überweisung in Anspruch genommen werden könne. Die Einschränkung des Überweisungsmodus auf Fachärzte Innere Medizin mit dem fachinternistischen Schwerpunkt sei rechtmäßig: Der Widerspruchsführer sei in der Vergangenheit über Zielaufträge tätig geworden, bei dem die Indikation und der Umfang der erforderlichen Untersuchung vom Auftraggeber bestimmt würden. Die Leistungen setzten immer eine qualifizierte Voruntersuchung voraus, die bei den hochkomplexen verfahrensgegenständlichen Leistungen nicht von Hausärzten erbracht werden könnte. Hierzu fehle den Hausärzten die Fachkompetenz. Ferner sei nach BSG Rechtsprechung – unter Bezugnahme auf das BSG-Urteil unter dem Az.: B 6 KA 6/16, s.o. a.a.O.) – die Überweisungsbefugnis den spezialisierten Gebietsärzten vorzubehalten, wenn das Leistungsangebot der zugelassenen Vertragsärzte weder unter quantitativen noch qualitativen Gesichtspunkten Defizite aufweise und die Ermächtigung lediglich eine Einschaltung des Krankenhausarztes in besonderen Problemfällen ermöglichen solle. Dazu, dass bislang im Verfahren ein qualitativ-spezieller Bedarf für die speziellen Leistungen des Widerspruchsführers (unproblematisch) bejaht worden war, verhielt sich der Ausschuss nicht. Qualitative Leistungsdefizite seien bislang nicht festgestellt worden.

3. Entscheidung des Sozialgerichts Duisburg

Dagegen wandte sich der von uns vertretene Krankenhausarzt im Klagewege. Das SG Duisburg gab der Klage im Wesentlichen mit folgender Begründung statt:

Der Facharztfilter sei rechtswidrig. Vorliegend handele es sich um eine Ermächtigung gem. § 31a Abs. 1 Ziffer 1 Ärzte-ZV, die dem Kläger wegen besonderer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden erteilt worden wäre. Wiederum unter Bezugnahme auf das vorgenannte BSG-Urteil (a.a.O.) sei der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu entnehmen, dass die Ermächtigung eines Krankenhausarztes in Fällen eines quantitativ oder qualitativ unzureichenden Leistungsangebots der niedergelassenen Vertragsärzte grundsätzlich nicht auf die Überweisung durch Fachkollegen beschränkt werden dürfe. Lediglich wenn das Leistungsangebot der Niedergelassenen weder unter qualitativen noch quantitativen Aspekten Defizite aufweise und die Ermächtigung lediglich die Einschaltung eines Krankenhausarztes ermöglichen solle, sei die Überweisungsbefugnis den spezialisierten Gebietsärzten vorzubehalten. Damit bedürften Facharztfilter zwei kumulativen Voraussetzungen, namentlich erstens „kein Leistungsdefizit der Niedergelassenen“ und zweitens, „die Ermächtigung solle nur der Einschaltung in besonderen Problemfällen dienen“. Da es sich unstreitig vorliegend um ein Ermächtigung in qualitativer Hinsicht dem Grunde nach handele (qualitativ-spezieller Bedarf), liege bereits die erste Voraussetzung (s.o.) nicht vor. Mithin sei der Klage vollumfänglich stattzugeben. Der Berufungsausschuss hat Rechtsmittel eingelegt.

II. Anmerkungen – rechtliche Würdigung

Die Entscheidung des SG Duisburg ist vor dem Hintergrund der einschlägigen BSG-Rechtsprechung konsequent. In der Praxis sind zu enge Facharztfilter bei eng umgrenzten, spezialisierten Ermächtigungsambulanzen häufig bloße Versorgungsumwege mit nicht unerheblicher Zusatzbelastung für die betroffenen Patienten und das Gesundheitssystem. So hat das auch das BSG in mehreren Entscheidungen judiziert (BSG SozR 3-2500 § 116 Nr. 6; BSG SozR 3-2500 § 116 Nr. 11; BSG SozR 3-2500 § 116 Nr. 12; vgl. bereits BSGE 29, 65 = SozR Nr. 32 zu § 368a RVO). Es besteht kein Grund von der in diesem Kontext entwickelten und auch vom SG Duisburg aufgegriffenen Dogmatik abzuweichen. Die Tendenz der Ausschüsse, insbesondere in Nordrhein, vermehrt einschränkend mit Facharztfiltern zu arbeiten ist insofern nicht grundsätzlich abzulehnen, aber deren Voraussetzungen sind kritisch zu überprüfen.

Ferner ist anzumerken, dass dem Terminus des „Leistungsdefizits der Niedergelassenen“ neben der Frage des bestehenden quantitativen bzw. qualitativ-speziellen Bedarfs keine eigene Bedeutung zukommt. Liegt ein Bedarf in qualitativer bzw. quantitativer Hinsicht vor, liegt auch ein Leistungsdefizit vor. Ein Ausschuss kann also keine Ermächtigung mit einem Facharztfilter begrenzt auf dieselbe Gebietsbezeichnung erteilen, der grundsätzlich nach den Ermittlungen der KV und den Würdigungen des Ausschusses entsprechend ein Bedarf zugrunde liegen soll. Facharztfilter mit derselben Gebietsbezeichnung sind nur dann zulässig, wenn kein Versorgungsdefizit (=Bedarf) vorliegt. Dann ist ein subjektiver Ermächtigungsanspruch ohnehin gesetzlich nicht verbürgt bzw. schwer umsetzbar, s. § 116 Satz 2 SGB V. Die Ermächtigung kann aber erteilt werden, um eine Einschaltung des Krankenhausarztes in besonderen Problemfällen ermöglichen. Anders formuliert könnte man sagen, dass ein Versorgungsdefizit nur in gerade diesen besonderen Problemfällen existiert, was wiederum die Ermächtigung bedarfsplanerisch rechtfertigte.

Argumentativ lässt sich die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des SG Duisburg wie folgt (ergänzend) begründen:
Facharztfilter, die allein an der ärztlichen Qualifikation des überweisenden Arztes anknüpfen, sind rechtswidrig, denn weder das Gesetz noch die Rechtsprechung kennen vermeintliche „ärztliche Qualifikationsunterschiede“, was allein die Fähigkeit zur Überweisung eines Arztes an einen anderen, spezialisierten Arzt angeht. Vielmehr ist jeder approbierte Arzt diesbezüglich umfassend qualifiziert, sodass freilich auch ein Hausarzt für die streitgegenständlichen Überweisungen ausreichend qualifiziert ist.

Auch bei „Zielaufträgen“ (§§ 24 Abs. 3 Nr. 1, 24 Abs. 7 BMV-Ä) ist unzutreffend, dass eine Indikationsstellung etwa wie hier durch einen vorgeschalteten Gastroenterologen wegen der Spezialität der Leistungen erforderlich wäre. Die Indikationsstellung ist stets aufgrund Behandlungsvertrages §§ 630a ff. BGB sowie aufgrund strafrechtlicher wie deliktsrechtlicher Implikationen des Schutzes der körperlichen Unversehrtheit von Patienten gem. §§ 823 Abs. 1 , 2 BGB i.V.m. § 223 StGB, Art. 2 Abs. 2 GG die Pflicht des jeweiligen Behandlers. Etwas anderes folgt auch nicht aus den unterschiedlichen Arten der Überweisungen, vgl. § 24 Abs. 7 BMV-Ärzte zur Abstimmung bei fraglichen Auftragsüberweisungen. Insofern kann die der Überweisung zugrundeliegende Indikationsstellung des Überweisenden verfehlt sein, dennoch drohten keine „Fehlbehandlungen mangels fachinternistischer Sachkenntnis“, denn der Ermächtigte prüft die Indikationsstellung als anerkannter Fachmann selbst.

Solange die streitgegenständlichen Leistungen nicht von Niedergelassenen erbracht werden, sind die niedergelassenen Fachärzte, die wegen des Facharztfilters ausschließlich an den Ermächtigten überweisen dürften, reine „Durchlaufstationen“ für die Patienten. Dies kostet die Patienten Zeit und Aufwand ohne irgendeinen Mehrwert und stellt sich als unwirtschaftlich dar.

Abzuwarten bleibt alleine, ob sich auch das Landessozialgericht dieser zutreffenden Würdigung anschließt. Gegen die Entscheidung ist Berufung eingelegt worden.

 

Dr. Felix Reimer, LL.M. (Medizinrecht)
Rechtsanwalt