Honorararzt als Vertreter im MVZ – keine selbständige Tätigkeit, sondern abhängige Beschäftigung Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 07.02.2020, L 9 BA 92/18

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Honorararzt als Vertreter im MVZ – keine selbständige Tätigkeit, sondern abhängige Beschäftigung
Beschluss des LSG Berlin-Brandenburg vom 07.02.2020, L 9 BA 92/18

In Anwendung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes zur Tätigkeit eines Honorararztes im Krankenhaus, wonach diese regelmäßig im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung ausgeübt wird, hat nunmehr das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg auch für den Fall einer dreimonatigen Urlaubsvertretung eines Arztes in einem Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) das Vorliegen einer sozialversicherungspflichtigen abhängigen Beschäftigung eines als Vertreter bestellten Arztes bejaht. Dieses Urteil erscheint folgerichtig und bestätigt im Übrigen die auch schon vor den letzten Entscheidungen des Bundessozialgerichtes überwiegende Rechtsprechung, wonach bei einer Eingliederung in die Praxisorganisation eine abhängige Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinn vorliegt.

Für die Betreiber eines MVZ bedeutet das jedoch ebenso wie bereits für die Betreiber eines Krankenhauses, dass die freiberuflich selbständige Beschäftigung von (Honorar-) Ärzten kritisch hinterfragt und zur Vermeidung von sozialversicherungsrechtlichen Risiken wie der Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen in häufig fünfstelliger Höhe regelmäßig nicht erfolgen sollte.

Als Alternative kommt hier insbesondere eine befristete (Teilzeit-)Anstellung in Betracht. Im Fall einer bestehenden hauptberuflichen Selbständigkeit des Vertretungsarztes sowie der Beantragung der Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zugunsten des ärztlichen Versorgungswerkes entstehen im Rahmen einer solchen Anstellung ohnehin im Wesentlichen nur Mehrkosten im Hinblick auf die Beiträge zur Arbeitslosenversicherung von derzeit 2,4 % des Bruttoeinkommens bis zur Beitragsbemessungsgrenze (maximal 165,60  € monatlich) sowie die Umlagen und Beträge zur Berufsgenossenschaft. Hierzu steht das Nachzahlungsrisiko aus diesseitiger Sicht in keinem Verhältnis, zumal dieses allein den Auftraggeber und nicht den Arzt trifft.

Zu der Entscheidung des LAG Berlin-Brandenburg

Gegenstand der Entscheidung war die Urlaubs-Vertretung eines in einem MVZ tätigen Arztes für drei Monate, die nach § 32 ZV-Ärzte der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung ordnungsgemäß angezeigt war. Der Vertretungs-Arzt war nach den vertraglichen Vereinbarungen für 32 Stunden im Monat für das MVZ tätig und behandelte dort Patienten des MVZ. Er nutzte die Organisations- und Infrastruktur des MVZ und arbeitete dort auch mit dem nichtärztlichen Personal zusammen und konnte diesem auch Anweisungen erteilen. Die Vergütung betrug nach den Feststellungen des Gerichtes etwa das Dreifache von dem Lohn eines angestellten Arztes. Nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien sollte der Arzt freiberufliche selbständig tätig und nicht als Arbeitnehmer abhängig angestellt sein.

Das LAG Berlin-Brandenburg hat nunmehr ausdrücklich unter Hinweis auch auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes zur Honorararzttätigkeit im Krankenhaus eine selbständige Tätigkeit des Vertretungs-Arztes verneint. Das Bundessozialgericht hat mit mehreren Grundsatzentscheidungen vom 04.06.2019, (z.B. B 12 R 11/18 R) entschieden, dass ein Honorararzt im Krankenhaus regelmäßig nicht als Selbständiger tätig wird, sondern sozialversicherungspflichtig abhängig beschäftigt ist.

Maßgeblich für die hiesige Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg war zum einen die Eingliederung in die Organisations- und Infrastruktur des MVZ. Der Vertretungs-Arzt nutzte keine eigenen Arbeitsmittel, sondern war wie ein sonstiger angestellter Arzt in den Räumen des MVZ, mit den Mitteln des MVZ und unter Zuhilfenahme des nicht-ärztlichen Personals des MVZ tätig. Er behandelte Patienten des MVZ, für die das MVZ zuvor Termine vereinbart hatte. Er konnte nicht frei entscheiden, wann und wo er Patienten behandelte. Außerdem hatte er sich an die allgemeinen Behandlungsleitlinien des MVZ zu halten.

Demgegenüber hatte der Arzt kein nennenswertes Unternehmerrisiko. Er erhielt ein feststehendes Entgelt für die geleisteten Dienste. Die Höhe des Verdienstes und die damit mögliche soziale Absicherung waren demgegenüber nachrangig. Der Arzt musste keine der laufenden Kosten des MVZ tragen.

Auch verlangt das Zulassungsrecht und speziell § 32 Ärzte-ZV nach der Auffassung des Medizinischen Versorgungszentrums keine selbständige Tätigkeit eines Vertretungs-Arztes. Das folgt bereits daraus, dass auch ein Arzt im MVZ angestellt sein und gleichwohl vertragsärztlich tätig werden kann. Daher darf für den Vertreter nichts Anderes gelten.

Im Ergebnis hat das LSG unter Abwägung aller Kriterien das Bestehen einer abhängigen Beschäftigung im sozialversicherungsrechtlichen Sinne bejaht. Hieraus folgt sodann die Verpflichtung zur Tragung von Beiträgen zur gesetzlichen Pflege- und Krankenversicherung, sofern keine weiteren Befreiungstatbestände vorliegen, und zur Arbeitslosenversicherung. Da keine Befreiung von der Versicherungspflicht zugunsten des Versorgungswerkes beantragt wurde, besteht auch keine Verpflichtung zur Tragung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung. Da eine rückwirkende Inanspruchnahme des Arbeitnehmers nicht mehr möglich ist, sind sowohl die Arbeitnehmer- als auch die Arbeitgeberbeiträge rückwirkend allein durch das MVZ zu zahlen.

Stellungnahme

Die vorstehende Entscheidung setzt die lange Reihe von Entscheidungen zur abhängigen Beschäftigung und zur Sozialversicherungspflicht von Honorarärzten fort und bestätigt die diesseitigen Empfehlungen, von einer Beschäftigung von Honorarärzten auf selbständiger Basis Abstand zu nehmen. Hierzu gibt es Alternativen, wobei natürlich die Beschäftigung auf Basis als Arbeitnehmer allein erfolgen kann. Hier kommen dann verschiedene Ausgestaltungsmöglichkeiten der jeweiligen Anstellungsverträge in Betracht. Zu denken ist hier an eine (befristete) Teilzeit-Anstellung, die Beschäftigung auf Basis einer Zeitgeringfügigkeit (hierzu auch die Veröffentlichung der Unterzeichnerin in: Krankenhaus-Justiziar Heft 2, 2020, S. 59 f.) oder auch die Tätigkeit aus Basis eines Rahmenanstellungsvertrages.

Jedenfalls sollte die Beschäftigung von freiberuflichen Ärzten nicht ohne weitere Prüfung fortgesetzt werden. Hier drohen erhebliche finanzielle Belastungen in Form der Nachzahlung von Sozialversicherungsbeiträgen und gegebenenfalls auch Säumniszuschlägen.

Das gilt nicht zuletzt auch im Hinblick auf etwaige strafrechtliche Konsequenzen. Derzeit scheint sich eine Milderung im Hinblick auf den Verjährungsbeginn und damit eine Erleichterung im Hinblick auf eine mögliche Strafbarkeit für die vergangenen Zeiträume abzuzeichnen. Hierzu verweisen wir ergänzen auf die nachstehenden Ausführungen: https://www.linkedin.com/pulse/divergenz-als-fortschritt-ultima-ratio-im-und-die-auf-andreas-penner/?trackingId=OnmNnMMSubS9gDZIFZu8WA%3D%3D . Gleichwohl sollte nunmehr für die Gegenwart und die Zukunft, selbst wenn eine Strafbarkeit für die Vergangenheit ausscheiden könnte, sofern noch nicht erfolgt, eine Umstellung alter bzw. kein Abschluss neuer Honorararztverträge auf freiberuflich selbständiger Basis erfolgen.

Tanja Koopmann-Röckendorf, LL.M. oec.                                           Dr. Andreas Penner
Fachanwältin für Arbeitsrecht und zugleich für Sozialrecht             Rechtsanwalt