Aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Fälligkeit von Krankenhausrechnungen und zur Verfahrenskostenlast bei abweichender Kodierung

Aktuelle Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Fälligkeit von Krankenhausrechnungen und zur Verfahrenskostenlast bei abweichender Kodierung

BSG Urteil vom 09.04.2019, B 1 KR 3/18 R

Zusammenfassung

Der 1. Senat des Bundessozialgerichts hatte am 09.04.2019 über einen Sachverhalt zu urteilen, in dem sich ein Krankenhaus (KH) einer abweichenden Kodierung eines gerichtlich bestellten Sachverständigen angeschlossen hat, die in dieselbe DRG mündete. Das bedeutet, die Höhe der abgerechneten Vergütung blieb unangetastet. Wie wir in unserem Newsletter vom 12.04.2019 bereits berichteten, hat der 1. Senat entschieden, dass die Rechnung des KH erst in dem Augenblick fällig geworden ist, in dem es sich die Kodierung des gerichtlichen Sachverständigen zu Eigen gemacht hat.. Auch die Kosten des Gerichtsverfahrens gehen dann zulasten des Krankenhauses.

Unterdessen sind Entscheidungsgründe zu diesem Urteil veröffentlicht.

 Sachverhalt und Entscheidung

Das beklagte Krankenhaus kodierte u.a. die erlösrelevanten Nebendiagnosen ICD-10-GM F01.1 (Multiinfarkt-Demenz) und N30.0 (Akute Zystitis) und berechnete hierfür – ausgehend von der Fallpauschale DRG B02D – 12.457,19 Euro. Die klagende Krankenkasse beglich die Abrechnung. Nachfolgend machte sie jedoch eine Erstattung i.H.v. 4.655,11 Euro mit der Begründung geltend, die Kodierung der ND F01.1 und N30.0 sei unzutreffend.

Das Sozialgericht hat zu dieser Frage Beweis durch ein Sachverständigengutachten eingeholt. Der Sachverständige hat die streitigen Nebendiagnosen nicht bestätigt. Gleichzeitig hat er jedoch zur abgerechneten ND 30.0 die ND B95.2! und U80.4! hinzugefügt. Diese Nebendiagnosen hatte das KH bislang nicht bei der Kodierung berücksichtigt. Die Streichung der umstrittenen ND F01.1 und N30.0 und zusätzlichen Kodierung der beiden ND B95.2! und U80.4! führte wiederum zur ursprünglich vom KH abgerechneten DRG B02D. Da die Änderungen des Sachverständigen keine Auswirkung auf die Vergütungshöhe hatte, hat sich das KH diesem Ergebnis angeschlossen. Das Sozialgericht wies daraufhin die Klage der Krankenkasse ab.

Mit der dagegen gerichteten Berufung hat die Krankenkasse zunächst ihr Rückzahlungsbegehren weiterverfolgt. Während des Berufungsverfahrens hat die Krankenkasse dann ihren Antrag auf Feststellung eines Schadensersatzanspruches geändert. Das Krankenhaus soll verpflichtet werden, sämtliche materiellen Schäden, welche der Krankenkasse durch und im Zusammenhang mit dem erstinstanzlichen und zweitinstanzlichen Gerichtsverfahren entstanden sind oder noch entstehen werden, zu erstatten.

Das LSG hat den Feststellungsantrag als unzulässig verworfen und die Kosten beider Instanzen der Krankenkasse auferlegt: Weder habe das Krankenhaus in die Klageänderung eingewilligt, noch sei diese sachdienlich. Für die geänderte Klage bestehe kein Feststellungsinteresse. Das LSG habe ohnehin über die Tragung der Kosten des gerichtlichen Verfahrens zu entscheiden, wobei ein mögliches Verschulden  der entstandenen Kosten auch Berücksichtigung findet. Im vorliegenden Fall habe jedoch die Beklagte nicht schuldhaft zum Rechtsstreit beigetragen.

Die dagegen gerichtete Revision der Krankenkasse war erfolgreich. Der 1. Senat des BSG hat die Urteile des SG und des LSG geändert und festgestellt, dass sich der Rechtsstreit betreffend die Krankenhausvergütung dadurch erledigt hat, dass die Beklagte sich den Inhalt der ergänzenden Stellungnahme des gerichtlich bestellten Sachverständigen zur Kodierbarkeit der Nebendiagnosen B95.2! und U80.4! zu eigen gemacht hat. Dadurch wurde erstmals eine korrekte und damit die Fälligkeit der Krankenhausvergütung auslösende Rechnung für den streitigen Behandlungsfall erstellt.

Einordnung

Der Entscheidung lag die Problemkonstellation zugrunde, dass der durch das Sozialgericht beauftragte Sachverständige weder die Kodierung des KH, noch die Änderungen des MDK bestätigt hatte. Wie dargestellt, führten aber die Änderungen des Sachverständigen in dieselbe DRG, die auch das KH kodiert hatte. Da die Vergütungshöhe also nicht berührt war, hat das KH die Änderungen akzeptiert.

Die Kasse ist daraufhin nicht weiter gegen das Ergebnis des gerichtlichen Sachverständigen vorgegangen, weswegen sich der Rechtsstreit erledigt hatte. Im Streit stand dann also nicht mehr die Rückforderung der Krankenkasse, sondern nur noch die Frage, wer die nicht geringen Verfahrenskosten (Gerichts-, Gutachter- und Rechtsanwaltskosten auf beiden Seiten) zu tragen hat. Dies ist davon abhängig, ob die Klage bis zum Eintritt des erledigenden Ereignisses – also der beidseitigen Akzeptanz des Gutachterergebnisses – zugunsten des KH oder zugunsten der Kasse zu entscheiden gewesen wäre.

Ausschlaggebend war im vorliegenden Fall die Frage, ob die ursprüngliche Rechnung des Krankenhauses fällig geworden ist oder nicht. Fälligkeit bezeichnet den Zeitpunkt, von dem an der Gläubiger (KH) die Leistung (Vergütung) vom Schuldner (Kasse) verlangen kann. Folglich lässt nur eine fällige Rechnung den Anspruch des Krankenhauses auf Vergütung entstehen. Ob die Rechnung von Anfang an fällig war, hing wiederum von der Frage ab, ob die Fälligkeit eine in jeder Hinsicht zutreffende Kodierung voraussetzt, oder ob die Rechnung auch bei umstrittenen ND fällig wird, solange dasselbe Fallgewicht und damit dieselbe Vergütungshöhe angesteuert wird.

Wenig überraschend hat der 1. Senat entschieden, dass nur eine korrekte Rechnung die Fälligkeit auslöst. Eine solche habe mangels korrekter Information nicht vorgelegen. Denn ordnungsgemäße Information der KK über die vom Krankenhaus abgerechnete Versorgung nach Maßgabe der Mitwirkungsobliegenheiten insbesondere aus § 301 SGB V sei unverzichtbare Grundlage und Bestandteil einer ordnungsgemäßen Abrechnung. Fehle es an einer dieser Angaben, so trete mangels formal ordnungsgemäßer Abrechnung bereits die Fälligkeit der abgerechneten Forderung nicht ein (Rdnr. 25).

Das bedeutet, dass jegliche Abweichung in der Kodierung der Fälligkeit der Abrechnung entgegensteht. Liegen also Abweichungen vor, entsteht gar nicht erst ein Zahlungsanspruch und die Kasse ist nicht zur Zahlung verpflichtet. Entsprechend fallen auch keine Verzugszinsen an.

Dieser Ansatz des 1. Senats ist nicht neu. Bereits mit der Entscheidung vom 25.10.2016 (B 1 KR 18/16 R) hat der erste Senat ausdrücklich betont, dass nur eine ordnungsgemäße Information der Kasse die Fälligkeit der Rechnung auslöst (Rdnr. 26). Dasselbe gilt, wenn Behandlungsfälle nicht zusammengeführt werden, obwohl die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen (Urt. v. 28.03.2017, B 1 KR 3/16 R, Rdnr. 18).

Anders hingegen sehen dies die Zivilgerichte im Rahmen der Abrechnung nach der Gebührenordnung für Ärzte (GoÄ). Nach deren Ansicht richte sich die Fälligkeit der ärztlichen Vergütung nach der Vorlage einer formgerechten Rechnung nach § 12 Abs. 2 bis 4 GOÄ. Die Fälligkeit werde dagegen nicht davon berührt, dass die Rechnung mit dem materiellen Gebührenrecht nicht übereinstimme (vgl. u.a. BGH, Urteil vom 21.12.2006 – III ZR 117/06 –, Rn.12,14/juris).

 Fazit und Handlungsempfehlung

Dass die zutreffende Kodierung als Grundlage der Abrechnung umstritten sein kann, liegt in der Natur des „lernenden“ DRG-Systems. Die vom BSG konstruierte Verknüpfung von Informationspflicht und Fälligkeit eröffnet den Kassen ein weiteres Tor, missbräuchlich und im ungünstigsten Fall sanktionslos Vergütungen mit der schlichten Behauptung zurückzuhalten, die Kodierung sei nicht korrekt. Dafür bedarf es nicht einmal der Einschaltung des MDK (!). Im Lichte der möglicherweise künftig geltenden Prüfquoten durch das MDK-Reformgesetz drohen hier Umgehungstaktiken.

Mit Blick auf die nunmehr nur noch zweijährige Verjährungsfrist möglicher künftiger Strafzahlungen und des hier dargestellten Problems des Nichteintretens der Fälligkeit ist eine professionelle Primärkodierung essentiell zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftlichkeit. Selbst wenn ein Anspruch in einem anschließenden Rechtstreit durchgesetzt werden kann, droht bei kleinsten Abweichungen in der Kodierung der Verlust des Zinsanspruchs und die Last der Verfahrenskosten, die ansonsten von der Kasse hätten getragen werden müssen.

 

André Bohmeier                     Julia Zink, LL.M.
Rechtsanwalt                         Rechtsanwältin