Gesellschaftsvertragliche Regelungen zum Verbleib der Zulassung beim Ausscheiden
Die Gesellschaftsverträge von Ärztesozietäten (BAGen) sehen fast immer Regelungen für das Ausscheiden eines Arztes aus der Gesellschaft vor, die das Schicksal seiner kassenärztlichen Zulassung betreffen. Häufig finden sich „Zurücklassungsverpflichtungen“ in den Verträgen. Die Klauseln lauten beispielsweise: „Bestehen im Ausscheidenszeitpunkt Zulassungssperren, so ist der Ausscheidende verpflichtet, auf Verlangen der verbleibenden Gesellschafter an der Verwertung seiner Zulassung zugunsten der Gesellschaft mitzuwirken. Zu diesem Zwecke tritt er den verbleibenden Gesellschaftern bereits mit der Unterschriftsleistung unter diesen Vertrag das Nachbesetzungsrecht ab und bevollmächtigt sie zur Abgabe der für die Durchführung des Nachbesetzungsverfahrens erforderlichen Erklärungen vor den Gremien der Kassenärztlichen Selbstverwaltung.“ Kompensatorisch ist für den ausscheidenden Gesellschafter die Auszahlung einer Beteiligung am immateriellen Wert der Gesellschaft entsprechend seiner Vermögensbeteiligung vorgesehen. Verstöße gegen die Mitwirkungsverpflichtung bei der Nachbesetzung der eigenen Zulassung werden mit empfindlichen Schadensersatzzahlungen geahndet.
Ob solche Klauseln wirksam sind, ist – wie so oft – eine Frage, die nicht pauschal und für alle Fälle gleich beantwortet werden kann.
1. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
Zu der interessierenden Frage gibt es zwei Grundsatzurteile des BGH aus dem Jahr 2002:
Im Leitsatz des Urteils vom 22.07.2002 (AZ II ZR 90/01) heißt es: „Eine gesellschaftsvertragliche Regelung, die den neu eintretenden Vertragsarzt für den Fall, dass er freiwillig aus der Gemeinschaftspraxis ausscheidet, die Pflicht auferlegt, auf seine Zulassung als Kassenarzt zu verzichten, verstößt jedenfalls dann nicht gegen § 138 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 12 Abs. 1 GG, wenn der ausscheidende wegen der relativ kurzen Zeit seiner Mitarbeit die Gemeinschaftspraxis noch nicht entscheidend mitprägen konnte.“
Dem Fall lag folgende Konstellation zugrunde: Eine Gemeinschaftspraxis mit drei Kollegen besetzte den Sitz des ausscheidenden Seniors mit dem späteren Beklagten nach. Im Rahmen der Verhandlungen über den Abschluss eines Gesellschaftsvertrags kam es zu Unstimmigkeiten, sodass der später Beklagte nach 10 Monaten seine Mitarbeit bereits kündigte. Der Zulassungsausschuss stellte das Ende der Gemeinschaftspraxis entsprechend fest. Die Parteien stritten nun darum, ob der Beklagte die Zulassung bei seiner Kündigung den verbleibenden Gemeinschaftspraxispartnern zur Nachbesetzung habe zur Verfügung stellen müssen.
Nach Auffassung des BGH ist dies der Fall gewesen. Diese Verpflichtung folgt nach Auffassung des BGH auch ohne dahingehende ausdrückliche Abmachung aus Sinn und Zweck der im Entwurf des Gesellschaftsvertrags zwischen den Parteien vereinbarten Probezeit in Verbindung mit dem Umstand, dass der Ausscheidende die Zulassung als Kassenarzt gerade als Nachfolger seines Vorgängers in der Gemeinschaftspraxis der Kläger erhalten hatte. Der Bestand der Gemeinschaftspraxis sei durch Art. 12 Abs. 1 GG (Berufsausübungsfreiheit) geschützt. Diesem Schutz sei es immanent, dass die Gemeinschaftspraxis in der Form und mit der Anzahl von Vertragsärzten grundsätzlich weiter betrieben werden könne, in der sie vor dem Beitritt genehmigt wurde. Deshalb habe der Gesetzgeber die Verkleinerung einer Gemeinschaftspraxis durch das Ausscheiden eines Vertragsarztes in § 103 Abs. 6 SGB 5 erschwerten Bedingungen unterworfen. Das BSG habe aus dem Sinn und Zweck dieser Bestimmung für die Ärzte einer Gemeinschaftspraxis ein eigenes Recht hergeleitet, nach dem Ausscheiden eines Vertragsarztes ein Ausschreibungsverfahren für dessen Nachfolge einzuleiten. Außerdem habe das BSG entschieden, dass im Nachbesetzungsverfahren Ärzten, welche die Tätigkeit des ausgeschiedenen Arztes in der Gemeinschaftspraxis nicht fortsetzen wollen, auf der Grundlage des § 103 Abs. 4 Satz 3 SGB 5 keine Zulassung erteilt werden dürfte (vgl. BSGE 85,1).
Diesen gesetzlich geschützten Interessen der Gemeinschaftspraxis stehe das Grundrecht des ausscheidenden Arztes auf Berufsfreiheit gegenüber. Dieser Konflikt sei nach dem Grundsatz der „praktischen Konkordanz“ zu lösen. Es dürfe nicht eine der widerstreitenden Rechtspositionen bevorzugt und maximal behauptet werden, sondern alle müssten einen möglichst schonenden Ausgleich erfahren (vgl. zur praktischen Konkordanz BVerfGe 93, 1, 120 mit weiteren Nachweisen): Dabei sei zu ermitteln, welche verfassungsrechtliche Position für die konkret zu entscheidende Frage das höhere Gewicht haben (vgl. BGH vom 21.07.2002, a.a.O., zitiert nach Juris, dort Randzahl 17 mit weiteren Nachweisen). Die schwächere Position dürfe nur soweit zurückgedrängt werden, soweit das logisch und systematisch zwingend erscheine.
In dem Verfahren hatte der ausscheidende Arzt – wie der BGH richtig feststellt – seine Zulassung von der Gesellschaft und wegen seiner Bereitschaft erhalten, in die Gemeinschaftspraxis einzutreten. Sein Ausscheiden aus der Gemeinschaftspraxis erfolgte – wie der BGH weiter richtig feststellt – nur wenige Monate nach der Aufnahme der Tätigkeit in der GP. Auch war der Beklagte jedenfalls nach dem Entwurf des GP-Vertrags auf Probe in der Gemeinschaftspraxis tätig. Beiden Seiten war nach dem Entwurf des Gesellschaftsvertrags das Recht eingeräumt, das Vertragsverhältnis ohne Folgen – wie etwa Abfindungsansprüche – kurzfristig zu beenden. Für den ausscheidenden Arzt – so der BGH – ist der Zulassungsverzicht in dieser Fallkonstellation nicht einschneidender als für jeden Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis während der Probezeit endet: Nach der Kündigung und dem Verlust der Zulassung steht er lediglich da, wo er wenige Wochen oder Monate vorher gestanden hat: Er müsste sich erneut nach einer Stelle umschauen. Jeder vernünftig handelnde – so das Gericht – werde für diese Zeit daher keine nicht oder nur schwer rückgängig zu machende Dispositionen treffen, sodass von zwangsweise eintretenden Folgen privater und finanzieller Art entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht die Rede sein könne. Der Ausscheidende – so der BGH – sei im Ergebnis viel zu kurz als Vertragsarzt in der Praxis der klagenden Gemeinschaftspraxispartner gewesen, um eine Rechtsposition erlangt zu haben, die gegenüber der der Kläger vorrangig sei. Er habe noch nicht in die Praxis investiert und keine Einlage in das Gesellschaftsvermögen erbracht.
Im Parallelfall des BGH vom 22.07.2002 (AZ II ZR 265/00) hatte der Beklagte gleichfalls die Zulassung aus einer zweigliedrigen Gemeinschaftspraxis bestehend aus Vater und Sohn gehalten. Er war nach einem Jahr und 9 Monaten aus der Gemeinschaftspraxis ausgeschieden. Hierzu stellte der BGH fest: „Der Beklagte war lediglich ein Jahr und 9 Monate in der Gemeinschaftspraxis tätig. Dieser Zeitraum ist zu kurz, um dem Beklagten eine Rechtsposition zu verschaffen, die gegenüber der des Klägers (verbleibender Arzt) vorrangig sein könnte. Jede Aufnahme eines Partners in eine Praxis würde zum unkalkulierbaren Risiko, könnte der ausscheidende Arzt seine Zulassung mit der Folge des Verlustes des Vertragsarztsitzes für die aufnehmende Praxis nach derartig kurzer Zeit einfach mitnehmen. Anders mögen die Dinge allenfalls dann liegen, wenn aus Gründen, für die der aufnehmende Arzt verantwortlich ist, der weitere Verbleib für den Aufgenommenen unzumutbar ist. Ein solcher Fall liegt jedoch hier eindeutig nicht vor; der Beklagte nennt keinen Grund, warum er die Zusammenarbeit mit dem Kläger beendet hat.
2. Die untergerichtliche Rechtsprechung:
Die Untergerichte haben sich dieser Sichtweise angepasst: Es werden jeweils die Interessen des Ausscheidenden an einer Mitnahme und diejenigen der verbleibenden Gesellschafter auf Grundlage der konkreten Umstände beim Abschluss des Vertrages, der getroffenen Vereinbarungen, der Erwartungen und natürlich auch der Zeitdauer der Mitarbeit des Ausscheidenden bewertet und sodann versucht, einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen zu finden. Dabei ist folgende Tendenz erkennbar: Ein Zeitraum der Mitarbeit von unter 2 Jahren ist im Regelfalle zu kurz, um dem Ausscheidenden einen Vorrang gegenüber den Interessen der verbleibenden Gesellschafter zu verschaffen.
Das OLG Frankfurt (22 U 91-08) hat in einem Fall, in dem der Ausscheidende nach anderthalb Jahren gekündigt hatte und nach zwei Jahren ausgeschieden war, immer noch den Vorrang der verbleibenden Gesellschafter gesehen. Auch hier war der klagende ausscheidende Gesellschafter als Nachfolgegesellschafter für eine Ärztin eingetreten, die zuvor bereits in der Gesellschaft tätig war.
Das LG Heidelberg (5. Zivilkammer vom 30.09.2013, AZ 5 O 104/13) hatte einen anderen Fall zu entscheiden. Die Klägerin (eine Gemeinschaftspraxis bestehend aus den Gesellschaftern Dr. L und Dr. B) hatte am 02.01.2010 eine Gemeinschaftspraxis gegründet. Im Jahr 2011 wurde eine Aufnahme der Beklagten in die Berufsausübungsgemeinschaft in Aussicht gestellt. Hierfür sollte die Beklagte zuvor einen hälftigen vertragsärztlichen Versorgungsauftrag erwerben und in die Gemeinschaftspraxis einbringen, was sie auch tat. Sie erwarb zunächst für 15.000,00 Euro einen hälftigen Vertragsarztsitz. Wie vorgesehen wurde zum 01.10.2011 die Gemeinschaftspraxis gegründet, im zweiten Halbjahr 2012 kam es zur Auseinandersetzung zwischen den beiden verbliebenen Gesellschaftern und der Beklagten. Die Beklagte schied aus, nahm ihren hälftigen Vertragsarztsitz mit und wurde im grundsätzlich konkurrenzgeschützten Gebiet tätig. Das LG Heidelberg sah es als zweifelsfrei an, dass die ausscheidende Gesellschafterin ihren hälftigen Vertragsarztsitz mitnehmen dürfe, weil sie ihn eingebracht und bezahlt hatte, und vertrat den Standpunkt, dass das vereinbarte Konkurrenzverbot unwirksam sei.
Die 8. Zivilkammer des LG Traunstein (AZ 8 O 259/18) hat im bisher neuesten Fall am 01.02.2018 in einem Eilverfahren, in dem wir den ausgeschlossenen Gesellschafter vertreten haben, der seine Zulassung mitnehmen wollte, den Antrag auf einstweilige Verfügung der Gemeinschaftspraxis zurückgewiesen, die unseren Mandanten verpflichten wollte, vor dem Zulassungsausschuss zu Gunsten eines Bewerbers der Gemeinschaftspraxis auf die eigene Zulassung zu verzichten. Der Gesellschaftsvertrag der Parteien sah eine Regelung vor, nach der alle Gesellschafter bei Ausscheiden auf ihre Zulassung zugunsten eines von den verbleibenden Gesellschaftern benannten Arztes verzichten und die Gesellschafter schon bei Unterschrift unter den Gesellschaftsvertrag ermächtigen sollte, das entsprechende Verfahren beim Zulassungsausschuss durchzuführen. Verstöße waren sanktioniert. Ein kompensatorischer Anspruch auf den immateriellen Wertanteil war vorgesehen.
Das LG Traunstein sah diese Regelung als sittenwidrig an und judizierte wie folgt: „Der BGH hat entschieden, dass Klauseln wie die streitgegenständliche (nur) dann nicht sittenwidrig sind, wenn der (freiwillig) Ausscheidende wegen der relativ kurzen Zeit seiner Mitarbeit die Gemeinschaftspraxis noch nicht entscheidend mitprägen konnte (BGH NJW 2002, 3536).“
In den vom BGH entschiedenen Fällen, so das Gericht weiter, befanden sich die ausscheidenden Gesellschafter noch in der Probezeit oder waren weniger als zwei Jahre tätig, bzw. hatten die Zulassung durch Nachbesetzung aus der Gesellschaft erhalten. So liege der Fall hier gerade nicht. Der Ausscheidende sei schon seit vielen Jahren in der Gesellschaft tätig und habe die Zulassung nicht durch Nachbesetzung aus der Gesellschaft erhalten, sondern aufgrund eigener Tätigkeit als Jobsharer (LG Traunstein, a.a.O., Seite 3).
3. Bewertung der Rechtsprechung:
Häufig ist die Sachlage noch etwas komplizierter: Der Ausscheidende hat den Sitz selbst eingebracht oder es handelt sich gerade nicht um eine Nachbesetzung, sondern der Bestand der KV-Zulassungen wurde erweitert. Wirtschaftlich ist aber möglicherweise die Gesellschaft für den Sitz aufgekommen. Häufig werden auch Rückkaufsrechte für 3 bis 5 Jahre vereinbart.
Die Verbleibenden argumentieren dann: Wir haben mit dem Ausscheidenden ein Rückkaufsrecht vereinbart, damit er aus unserer Gesellschaft ausscheiden kann. Das war eine Besserstellung für ihn gegenüber einer Probezeitregelung nur für die ersten zwei Jahre. Es war klar, dass er bei Ausstieg seinen Einkaufspreis zurückbekommt, die Zulassung dafür aber auch auf einen anderen Bewerber übertragen muss: Er sollte für längere Zeit „raus“ wie „rein“ aus unserer Gesellschaft.
Der Ausscheidende scheidet allerdings nach bspw. 3 bis 5 Jahren zu einem Zeitpunkt aus, zudem er schon einen eigenen „Goodwillanteil“ gebildet hat und damit ein schützenswertes Interesse i.S.d. Rechtsprechung des BGH, diesen Goodwill zukünftig auch weiterbearbeiten zu können. Häufig ist der Planungsbereich für die eigene Fachgruppe gesperrt, die angrenzenden Planungsbereiche in der Regel ebenfalls. Die Rückgabe der Zulassung stellt sich dann als Berufsverbot im Hinblick auf die ambulante Tätigkeit dar.
Hier wird es bei Anwendung der Regelungen zur praktischen Konkordanz i.S.d. Rechtsprechung des BGH – mithin den Regelungen zum möglichst schonenden Interessenausgleich – immer auf alle Details des Einzelfalls ankommen. Nicht zuletzt wird es von maßgeblicher Bedeutung sein, ob die verbleibenden Gesellschafter auf den Verbleib der Zulassung in der Gesellschaft wirtschaftlich angewiesen sind (z.B. Radiologische Großgerätepraxis mit nur zwei Zulassungen) und wie weit der ausscheidende Gesellschafter den kritischen Zeitraum von zwei Jahren bereits hinter sich gelassen hat. Auch kann von wichtiger Bedeutung sein, ob die Gesellschaft möglicherweise den Standort, aus dem die Zulassung früher einmal eingebracht wurde, bereits selbst schon wieder geschlossen hat, sodass hier keine relevanten Gesellschaftsinteressen mehr bestehen und deshalb eine Zulassung genau an diesem Ort für den Ausscheidenden in Betracht käme.
Das Feld bleibt spannend.
Frau Dr. Pittrof
Rechtsanwältin