COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz für Krankenhäuser
Das Bundesgesundheitsministerium hat den Formulierungshilfe eines „Gesetzes zum Ausgleich COVID-19 bedingter finanzieller Belastungen der Krankenhäuser und weiterer Gesundheitseinrichtungen (COVID-19-Krankenhausentlastungsgesetz)“ veröffentlicht (zu den vielfältigen weiteren Regelungen s. hier). Die zwischenzeitlich, nur durch eine Ausgleichsregelung für die Rehabilitationseinrichtung ergänzte Fassung, ist unterdessen vom Bundestag verabschiedet worden (s. hier zum eingebrachten Entwurf und hier zum Verzicht auf Änderungen durch den Gesundheitsausschuss).
Ziel dieses Gesetzentwurfes ist angesichts der sich verschärfenden Pandemie (unter anderem) die kurzfristige Schaffung weiterer Versorgungskapazitäten, die kurzfristige Liquiditätssicherung der Krankenhäuser, und die Gewährleistung des Gesundheitsschutzes von Pflegebedürftigen und medizinischem Personal. Dabei wird das vorgeschriebene Gesetzgebungsverfahren mit dem nötigen Hochdruck durchgeführt. Alle drei Lesungen im Bundestag sollen am Mittwoch (25.03.) durchgeführt werden, die Lesung im Bundesrat dann am Freitag. Inkrafttreten soll das Gesetz bereits am kommenden Montag (30.03.).
CAVE: Auch wenn der G-BA bestimmte Qualitätssicherungen gelockert hat (siehe: hier), die zulässige Prüfquote gesenkt und ein Dispens von den Strafzahlungen erfolgt, gelten keine Erleichterungen für die Dokumentationsvorgaben komplexer Prozedurenschlüssel. Nach wie vor müssen die Vorgaben der Mindestmerkmale zur Dokumentation (und zu allen anderen Aspekten auch) und die durch das Bundessozialgericht aufgestellten Anforderungen stets erfüllt werden. Andernfalls droht auch weiterhin bei Verstößen gegen die Vorgaben der Mindestmerkmale oder der Rechtsprechung des BSG der Vergütungsverlust.
Kernpunkte für die Krankenhäuser stellen die folgenden neugeschaffenen Vorschriften dar:
1. Ausgleichszahlungen für freigehaltene Kapazitäten mit einem Tagessatz in Höhe von 560,- EUR je freigehaltenem Bett.
Ausschlaggebend ist die Differenz in der Anzahl der Patienten im Jahresdurchschnitt 2019 zur Zahl der am jeweiligen Tag behandelten Patienten. Bei einem positiven Ergebnis ist dieses mit dem Tagessatz von 560,- EUR zu multiplizieren. Diese Berechnung ist wöchentlich für jeden Kalendertag der zuständigen Landesbehörde zu melden. Die Bundesländer übermitteln dann die aufsummierten Beträge dem Bundesamt für soziale Sicherung. Das Bundesamt zahlt die gemeldeten Beträge an die zuständigen Behörden des Bundeslandes zur Weiterleitung an die Krankenhäuser. Regelungen zu Abschlagszahlungen sollen dabei vom Bundesamt geschaffen werden (§ 21 Abs. 1-4 KHG n.F.).
Problematisch hinsichtlich der tatsächlichen Umsetzung ist insbesondere die in § 21 Abs. 1 S. 1 KHG n.F. beschriebene Kausalität „für die Versorgung von Patientinnen und Patienten, die mit neuartigen SARS-COV-2 infiziert sind“. Nach den Bestimmungen des Absatzes 2, der typisiert auf die Fallzahlabweichungen zu 2019 abstellt, kann es dabei nicht auf eine konkreten Kausalitätsnachweis im Sinne des Absatz 1 ankommen. Aufgrund der Existenz des Absatz 1 kann aber nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden, dass nicht nachträglich zu Unrecht eine solche Kausalität gefordert wird. Folglich kann es sinnvoll sein, sich für den Fall einer solch rechtswidrigen Auslegung zu rüsten.
Unklar ist daneben vor allem aber der konkrete Abrechnungs- und Zahlungsvorgang. Insbesondere ist unklar, binnen welcher Frist tatsächlich Zahlungen zu erwarten sind. Das Gesetz regelt bislang nur die Grundzüge und bereits diese sind kompliziert: Krankenhaus an Land, Land an Bundesamt für Soziale Sicherung, Auskehrung von Abschlägen/Mitteln aus der Liquiditätsreserve an das Land zur Weiterleitung an die Krankenhäuser. Kein Wort jedoch dazu, wie das Geld konkret zum Krankenhaus kommt.
Diesbezügliche Vorgaben sollen die Vertragsparteien nach § 21 Abs. 7 n.F. durch Vereinbarung konkreter Verfahrensregelung zum Abrechnungsverfahrens aufstellen. Diese Verfahrensregelung sollen die Art und Weise des Nachweises der im Vergleich zum Referenzwert behandelten Patienten umfassen. Im Lichte der des hohen Konfliktpotential und der nur eingeschränkten Konsensbereitschaft beider Seiten, der denkbar langsamste und ungünstigste Ansatz zur Bewältigung der Auswirkungen einer Pandemie. Hier bleibt wenig Anlass auf ein unkompliziertes und sicheres Abrechnungsverfahren zu hoffen. Streit ist hier regelungsimmanent vorprogrammiert.
2. Investitionskostenzuschuss in Höhe von 50.000 EUR für zusätzlich geschaffene Intensivbetten (§ 21 5 KHG n.F.). Die Höhe des Investitionskostenzuschuss von 50.000 EUR ist nicht hinreichend, um die Kosten für die Einrichtung eines Intensivbettes zu decken, die sich regelmäßig auf 85.000 – 90.000 EUR belaufen. Ob der verbleibenden Investitionskostenanteil dann tatsächlich und garantiert vom Bundesland zugeschossen werden, bleibt nach diesem Gesetzesentwurf ungewiss.
3. Pauschale Abgeltung von Preis und- Mengensteigerungen insbesondere für Schutzkleidung in Höhe von 50,- EUR für jeden Patienten der zwischen dem 1. April 2020 und einschließlich dem 30. Juni 2020 zur voll- oder teilstationären Behandlung aufgenommen worden ist (§ 21 Abs, 6 KHG n.F.). Ihrem Sinn und Zweck nach und auch vom Wortlaut her („jeden Patienten“) scheint die Norm eindeutig einen Anspruch auf Zuschlag für tatsächlich jeden Patienten zu gewähren. Problematisch ist aber auch hier die Formulierung im ersten Halbsatz: „Preis- und Mengensteigerungen infolge des neuartigen Coronavirus“, sodass Kausalitätsanforderungen zwar nicht gewollt, aber auch nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden können.
4. Auf der Budgetebene werden Leistungen zur Behandlung von COVID-19-Patienten aus dem Fixkostendegressionsabschlag herausgenommen; zudem wird der Fixkostendegressionsabschlag für das Jahr 2020 komplett ausgesetzt (§ 4 Abs. 2a KHEngtG n.F.).
5. Der Pflegeentgeltwert wird von 146,55 EUR auf 185,- EUR erhöht. Dies gilt zukünftig auch als Mindest-Pflegeentgeltwert (§ 15 Abs. 2a KHEntgG n.F.)
6. Im Jahr 2020 finden keine Strukturprüfungen statt (§ 275b 4 SGB V n.F.).
7. Die MDK-Prüfquote von 12,5 auf 5 % wird 2020 reduziert (§ 275c Abs. 2 SGB V n.F.).
CAVE: Den Krankenkassen verbleibt gemäß § 275c Abs. 2 Satz 5 SGB V auch weiterhin die Möglichkeit, über die Quote von 5% hinaus zu prüfen, wenn der begründete Verdacht systematisch überhöhter Abrechnung besteht. Angesichts der stark reduzierten Quote ist es möglich, dass die Krankenkassen diese Regelung häufiger anzuwenden versuchen.
Weiterhin sind Prüfungen jenseits der 5% Quote ohne Schranken zulässig, sofern der Anteil unbeanstandeter Abrechnungen eines Krankenhauses unterhalb von 20 Prozent liegt, d. h. von den geprüften 5% mehr als 80% beanstandet werden. Bedenkt man, dass eine Rechnung bereits nach einem negativen MD-Gutachten als beanstandet gilt und die Auswahl sehr zielgerichtet machbar ist (z. B. Ausrichtung auf unzutreffende MDK-Auffassungen), können die 5% eher Fluch als Segen sein. Denn bei dieser niedrigen Ausgangsquote ist es für die Krankenkassen um so einfacher die Auswahl der Prüfgegenstände so zu steuern, dass eine möglichst hohe Beanstandungsrate folgt.
8. Die Strafzahlungen werden im Jahr 2020 aufgehoben; die quotenmäßigen Strafzahlungen des Jahr 2021 werden in das Jahr 2022 verschoben (§ 275c Abs. 3 SGB V n.F.).
9. Die Zahlungsfrist für Krankenkassen wird auf 5 Tage verkürzt (§ 330 SGB V n.F.). Die Verkürzung der Zahlungsfrist auf 5-Tage ist sicherlich ein zielführender Ansatz, allein ist dafür auch ein entsprechender Umsetzungswille der Krankenkassen erforderlich, an dem es bei nicht wenigen Krankenkassen auch ohne Pandemiekrise fehlt. Im Gegensteil werden Zahlungen systematisch und vorsätzlich zurückgehalten.
Ob die oben genannten Ziele mit diesem, verständlicherweise mit einer heißen Nadel gestrickte Entwurf, erreicht und die vorgebenden Maßnahmen umgesetzt werden können, ist zumindest zweifelhaft. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob dieser mit noch mehr Verwaltungsaufwand einhergehende Ansatz in Zeiten einer Pandemie der richtige Weg ist, wo doch mit einem massiven Ausfall von Personal zu rechnen ist.
Tatsächlich zeigt die augenblickliche Situation ungeschminkt die Folgen des Aderlasses von Krankenhäusern in den vergangenen zehn Jahren. Das systematische Vorenthalten der Bundesländer von Investitionsmittel, das flächenhafte Zurückhalten und Zurückfordern berechtigter Vergütungen durch die Krankenkassen, die oftmals erst im Wege einer gerichtlichen Auseinandersetzung durchgesetzt werden können und die konsequent krankenhausfeindliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts haben dazu geführt, dass es für die meisten Krankenhäuser selbst unter normalen Umständen schwierig ist, die notwendigen personellen, apparativen und infrastrukturellen Kapazitäten vorzuhalten. Dies bedeutet für den Fall der augenblicklichen Pandemiekrise, dass keine personellen, apparativen und infrastrukturellen Reserven zusätzlich zur Verfügung stehen, die in einer solchen Situation ausgeschöpft werden könnten. Besonders dramatisch ist sodann, dass es mehr oder weniger häufig schlicht an der Liquidität fehlt, um den Krankenhausbetrieb sachgerecht aufzuhalten: Personal kann aktuell erst Recht pünktliche Lohnzahlungen erwarten, Lieferanten liefern ohnehin häufig nur noch gegen Vorkasse. Kapazitäten müssen jetzt freigehalten werden und jetzt fehlt damit das Geld. Selbst bei gelockerten Insolvenzantragspflichten kann das zur Unmöglichkeit führen, weil entweder die Kapazitäten nicht freigehalten werden können oder die Kapazitäten freigehalten werden, aber die Versorgungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen. Es ist ein Armutszeugnis, dass Krankenhäuser sehenden Auges in solch eine Zwangslage gebracht werden.
Deswegen liegt es nun am Gesundheitsministerium, von der Verordnungsmöglichkeit nach § 23 Nr. 1 KHG n.F. Gebrauch zu machen, und die Werte für die Ausfallpauschale, Mehrkosten und Intensivausstattung anzupassen. Hierfür könnte es unter Berücksichtigung des staatshaftungsrechtlichen Gedankens des Aufopferungsanspruchs sogar zwingende rechtliche Gründe geben.
André Bohmeier Dr. Andreas Penner
Rechtsanwalt Rechtsanwalt